Markus Gabriel denkt über das Denken nach

Was ist Denken? Diese Frage ist so alt wie die Philosophie und hat nichts von ihrer Bedeutung verloren. Markus Gabriel vertritt in seinem neuen Buch „Der Sinn des Denkens“ die These, dass sie im digitalen Zeitalter, in dem Denken oft gleichgesetzt wird mit Künstlicher Intelligenz (KI), aktueller und dringender denn je ist. Er lädt seine Leser dazu ein, über das Denken nachzudenken und erklärt, warum sich menschliches Denken niemals durch intelligente Maschinen ersetzen lässt. Dagegen dominiert im Zeitalter der Digitalisierung die Vorstellung, dass Künstliche Intelligenz denken könne. Diese Annahme verkennt allerdings, dass das menschliche Denken unüberwindbar an biologische Bedingungen gebunden ist und nicht als ein Vorgang der Datenverarbeitung verstanden werden darf. Seit 2009 hat Markus Gabriel den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

Weiterlesen

Eine Kultur lässt sich nie vollständig beschreiben

Die Aufgabe der Intellektuellen besteht darin, dem kollektiven Denken der Menschen einen besonders klaren Ausdruck zu verleihen – und das nicht nur zu ihrem privaten Vergnügen. Beispielsweise sah W. B. Yeats die Aufgabe seiner Dichtkunst darin, den Mythen und Archetypen der irischen Landarbeiter eine Stimme zu geben. Genauso wie in „Das wüste Land“ nicht T. S. Eliot spricht, sondern das, was er selbst ziemlich vollmundig den europäischen Geist nannte, so sieht sich W. B. Yeats einfach als Medium – fast im spiritistischen Sinne – für die zeitlose Weisheit des Volkes. Terry Eagleton nennt ein weiteres Beispiel: „Nach Martin Heideggers etwas düsterer Sichtweise besteht die Aufgabe des Dichters darin, dem Schicksal der Nation seine Sprache zu schenken. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

Weiterlesen

Deutschsein hat etwas mit Herkunft und Tradition zu tun

Deutschsein ist mehr als nur formelle Staatsbürgerschaft. Sogar Anhänger der Grünen sind offensichtlich mehrheitlich der Meinung, es gebe so etwas wie einen Nationalcharakter. Christian Schüle fügt hinzu: „Der Begriff Nationalcharakter hat als vermeintlich veraltetes Konzept keinesfalls ausgedient und wird mitnichten von der nachwachsenden Generation als überwunden erachtet.“ Drei Viertel der Deutschen finden, dass deutsche Kultur „Leitkultur“ für die in Deutschland lebenden Ausländer sein sollte; und gut die Hälfte der Deutschen meint, dass Deutschsein mit Herkunft und Tradition zu tun habe. Das heißt: Politik muss sich an der Wirklichkeit orientieren, und dazu gehört, dass mindestens eine relative Mehrheit der Bevölkerung ihre eigene Nationalität auch über eine in Jahrhunderten gewachsene Kulturtradition und eine gemeinsame Herkunft definiert. Seit dem Sommersemester 2015 lehrt Christian Schüle Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

Weiterlesen

Cicero war einer der bedeutendsten Redner der Antike

Der bei weitem wichtigste Vermittler griechischen Denkens in Rom war der Redner und Philosoph Marcus Tullius Cicero (105 – 43 v. Chr.), als Staatsmann und Theoretiker ein leidenschaftlicher Verteidiger der untergehenden Republik. Bernd Roeck fügt hinzu: „Cicero war nicht nur einer der bedeutendsten Redner der Antike, sondern zugleich einer der brillantesten Stilisten lateinischer Sprache. Die technische Seite des Diskutierens, die Form der Rede und des Schreibens, gewann in seinen Schriften überragende Bedeutung.“ Als junger Mann war Cicero in Athen bei dem Platoniker Antiochos von Askalon in die Schule gegangen. Hier hatte er die Lehren der Akademie kennengelernt. Sie befand sich in einem Gymnasium nahe der Akropolis. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

Weiterlesen

Robert Nozick kennt das Band der Liebe

Das allgemeine Phänomen der Liebe umfasst romantische Liebe, die Liebe einer Mutter oder eines Vaters zu einem Kind, die Liebe zum eigenen Land und vieles mehr. Robert Nozick ergänzt: „Was aller Liebe gemeinsam ist, ist dies: das eigene Wohlergehen ist mit dem eines anderen Menschen oder Dinges, den oder das man liebt, verbunden.“ Wenn einem Freund etwas Schlechtes passiert, dann geschieht auch einem selbst etwas Schlechtes. Wenn jemand, den man liebt, verletzt oder bloßgestellt wird, ist man verletzt; wenn ihm etwas Wunderbares geschieht, fühlt man sich in besserer Verfassung. Nicht jede Zufriedenstellung der Vorliebe eines Geliebten wird allerdings dazu führen, dass man sich besser fühlt; sein oder ihr Wohlergehen und nicht einfach nur eine Vorliebe muss auf dem Spiel stehen. Robert Nozick (1938 – 2002) war ein in Harvard lehrender amerikanischer Philosoph, der vor allem durch seine Schriften zur Moralphilosophie bekannt wurde.

Weiterlesen

Singularität meint das Streben nach Einzigartigkeit

Singularität meint laut Andreas Reckwitz mehr als Selbstständigkeit und Selbstoptimierung: „Zentral ist ihr das kompliziertere Streben nach Einzigartigkeit und Außergewöhnlichkeit, die zu erreichen freilich nicht nur subjektiver Wunsch, sondern paradoxe gesellschaftliche Erwartung geworden ist.“ Markant ausgeprägt ist dies in der neuen, der hochqualifizierten Mittelklasse, also in jenem Produkt von Bildungsexpansion und Postindustrialisierung, das zum Leitmilieu der Spätmoderne geworden ist. An alles in der Lebensführung legt man den Maßstab des Besonderen an: wie man wohnt, wie man isst, wohin und wie man reist, wie man den eigenen Körper oder den Freundeskreis gestaltet. Im Modus der Singularisierung wird das Leben nicht einfach gelebt, es wird kuratiert. Das spätmoderne Subjekt performed sein besonderes Selbst vor den anderen, die zum Publikum werden. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

Weiterlesen

Eine Nation definiert sich durch Willkür und Wille

Am 11. März 1882 hält der französische Historiker, Schriftsteller und Philosoph Ernest Renan an der Sorbonne in Paris einen Vortrag. „Was ist eine Nation?“, fragt Ernest Renan, dessen Forschungsgebiet nationale Identitäten sind, und unterzieht im Weiteren die vier vermeintlichen Wesensmerkmale einer Nation – Rasse, Sprache, Religion, Geografie – einer kritischen Prüfung. Nationen sind, so darf man Ernest Renan verstehen, in der Geschichte etwas ziemlich Neues: „Das Vergessen – ich möchte fast sagen: der historische Irrtum – spielt bei der Erschaffung einer Nation eine wesentliche Rolle, die Vereinigung vollzieht sich immer auf brutale Weise.“ Christian Schüle erklärt: „Über Jahrhunderte hinweg war es üblich, dass die Nation vor allem eine Dynastie war, die eine alte Eroberung repräsentiert, mit der die Masse der Bevölkerung sich zunächst abgefunden und die sie dann vergessen hat.“ Seit dem Sommersemester 2015 lehrt Christian Schüle Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

Weiterlesen

Große Kulturen haben niemals autochthone oder nationale Wurzeln

Wie kein anderes Volk der Antike suchten die Griechen nach Erkenntnis und versahen die Dinge mit Namen. Schon das Wort „Philosophie“, „Weisheitsliebe“, entstammt der griechischen Sprache. Bernd Roeck erläutert: „Mit der ionischen Naturphilosophie zeigt sich das Fragen und Forschen, die Erkundigung, „historie“, erstmals als systematisches Unterfangen.“ Zur kommunikationsfreudigen Geografie des Mittelmeers, zu politischen und sozialen Umständen kam ein weiterer, das Gespräch bereichernder Faktor: die Beziehungen zum Orient. Große Kulturen haben niemals autochthone oder nationale Wurzeln. Sie entstehen durch Austausch und fruchtbaren Streit. So verdankt griechischer Geist dem Orient mehr, als das Geschichtsbild des humanistischen Gymnasiums wahrnahm. Die griechische Skulptur zum Beispiel nimmt mit Kulturtransfers aus Ägypten ihren Anfang. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

Weiterlesen

Bildung hat sich in einen Religionsersatz verwandelt

Wer heute von Bildung spricht, glaubt an Wunder. In keinen Bereich des Lebens wird so viel Hoffnung gesetzt wie in den der Bildung, es gibt keine Instanz, der man so viel zutraut wie der Bildung. Konrad Paul Liessmann nennt einige Beispiele: „Bildung gilt als unerschöpfliche Ressource rohstoffarmer Länder im globalen Wettbewerb, Bildung ist das Medium, mit dem Mädchen, Migranten, Flüchtlinge, Außenseiter, Unterschichten, Behinderte und unterdrückte Minderheiten emanzipiert, gefördert, integriert und inkludiert werden sollen.“ Und ganz nebenbei befördert Bildung auch das Glück der jungen Menschen und senkt in reproduktionsstarken Gesellschaften die Geburtenrate. Es gibt beinahe nichts, was man den Schulen nicht zutraut. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

Weiterlesen

Die Begriffe Kultur und Zivilisation sind mehrdeutig

Es mag den Anschein haben, als sei Kultur eine Frage der Werte und Zivilisation eine Sache der Gegebenheiten, doch jeder der beiden Begriffe lässt sich normativ und deskriptiv verwenden. Terry Eagleton erklärt: „Das Wort >ganz< in dem Ausdruck >eine ganze Lebensweise< kann deskriptiv >vollständig< bedeuten, aber auch normativ >vereinigt<, >ganzheitlich<, >ohne Mangel<.“ Wenn der Anthropologe Edward Burnett Tylor im 19. Jahrhundert Kultur und Zivilisation definiert als „jenen Inbegriff von Wissen, Glauben, Kunst, Moral, Gesetz, Sitte und allen übrigen Fähigkeiten und Gewohnheiten, welche der Mensch als Glied der Gesellschaft sich angeeignet hat“, spricht er deskriptiv. Wenn der Dichter Henry James Pye im 18. Jahrhundert in seinem Gedicht „The Progress of Refinement“ schreibt: „Auf dem afrikanischen Schwarz zeigt sich keinerlei Kultur“, versteht er das als Wertung. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

Weiterlesen

Als Lebensweise ist Kultur nur eine Frage der Gewohnheit

„Kultur“ ist ein außergewöhnlich komplexes Wort, das vier Hauptbedeutungen beinhaltet: Erstens den Bestand an künstlerischen und geistigen Werken. Zweitens den Prozess geistiger und intellektueller Entwicklung. Drittens die Werte, Sitten, Überzeugungen und symbolische Praktiken, nach denen die Menschen leben. Und viertens eine komplette Lebensweise. Die Kultur eines Volkes kann also Dichtung, Musik und Tanz bezeichnen, aber auch die Lebensmittel, die es isst, die Sportarten, die es betreibt, die Religion, die es praktiziert. Sie kann sogar die Gesellschaft als Ganzes meinen, samt Verkehrsnetz, Wahl- und Müllbeseitigungssystem. Das mag alles typisch für diese Kultur sein, wird aber nicht immer zu ihren Besonderheiten gehören. Terry Eagleton ergänzt: „Kultur in der künstlerischen und intellektuellen Bedeutung des Wortes kann durchaus Innovation miteinbeziehen, während Kultur als Lebensweise im Allgmeinen nur eine Frage der Gewohnheit ist.“ Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

Weiterlesen

Noch nie gab es so wenig Gewalt wie heute

In seinem Buch „Die Naturgeschichte der menschlichen Moral“ verteidigt Michael Tomasello, Direktor des Leipziger Mex-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie, das Mitgefühl als Strategie eigennütziger Interessen. Zudem weist er auf die Tatsache hin, dass sich die Entwicklung der Moral, die das Wohl der Allgemeinheit über den kurzfristigen Lustgewinn des Einzelnen stellt, als gut für die Menschheit und gut für das Individuum herausgestellt hat. Simon Hadler zitiert Steven Pinker, der in seinem Buch „Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit“ folgende These eindrucksvoll darlegt: „Die Gewalt wird historisch gesehen immer wenige, ausgehend von den Jäger- und Sammlergesellschaften über Antike und Mittelalter und quer durch das 20. Jahrhundert bis zur heutigen Zeit, dem Terrorismus und den Kriegen zum Trotz. Noch nie gab es so wenig Gewalt.“ Simon Hadler ist seit 1999 Redakteur bei ORF.at, seit 2009 leitender Kulturredakteur.

Weiterlesen

Ulrich Herbert analysiert die Jugend in der Weimarer Republik

Drei Momente waren es vor allem, welche die Entwicklung der Jugend in der Weimarer Republik kennzeichneten; zum einen die Ausläufer der Jugendbewegung, die sich nun zwar in unzählige „Stämme“, „Bünde“ und „Meuten“ differenzierte, aber doch in gewissen Kernelementen weiterhin Gemeinsamkeiten aufwies. Ulrich Herbert nennt Beispiele: „Wandern, Natur, Großstadtkritik, Autonomie, Kameradschaftsprinzip.“ Dabei war die national orientierte Jugendbewegung die bei Weitem mitgliederstärkste Richtung, organisiert in zahlreichen großen und kleinen Gruppen, unterschieden oft nur durch die Ausrichtung auf verschiedene Anführer oder Idole, aber doch geeint in der Orientierung an Volk, Nation und Deutschtum, wobei der Bogen von den Pfadfindern und politisch neutralen Bünden bis hin zu aggressiven völkischen Jugendbünden reichte. Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

Weiterlesen

Von der unvernünftigen Masse gehen ernste Gefahren aus

In der Geschichte der Politik kann man durchgehend eine Angst vor der Masse erkennen, dem „Plebs“, wie die römischen Senatoren sie nannten. Bilder von Aufruhr, Brandstiftung und Plünderung kommen einem in den Sinn. Kontrolle von oben ist unverzichtbar. Dass eine führerlose Masse eine eigene Dynamik entwickelt, wusste bereits Gustave Le Bon. In „La psychologie des foules“ (1895), deutsch „Psychologie der Massen“, studiert er die revolutionären Massen während der Französischen Revolution. Paul Verhaeghe kennt seine Studienergebnisse: „Er kommt zu dem Schluss, dass Menschen in einer Gruppe auf das Niveau des dümmsten Gruppenmitglieds zurückfallen und ihren niedersten Trieben nachgeben.“ Fünfundzwanzig Jahre später untersucht Sigmund Freud organisierte Gruppen mit einem „Führer“ an der Spitze. Auch er weist auf die Gefahren hin. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

Weiterlesen

Der Staat ist zur alternativlosen Herrschaftsform aufgestiegen

Noch besitzt in vielen Regionen der Welt, etwa im Orient, aber nicht nur dort, die Familie und ihre natürliche Fortsetzung, die Sippe, der Klan oder Stamm, eine überragende Bedeutung. Vielerorts spielt auch die Nachbarschaftskultur eine über Jahrhunderte gewachsene Rolle. Auf der anderen Seite gibt es den Einzelstaat, auch Nationalstaat genannt, der nicht sowohl im Orient als auch im Okzident vorherrscht. Otfried Höffe stellt fest: „Nimmt man die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen zum Kriterium, so gibt es mittlerweile 193 Exemplare, weitere zehn warten als Anwärter auf die baldige Aufnahme.“ Da der Staat auch normativ gesehen den primären Ort politischer Legitimation bildet, ist er zur beinahe alternativlosen Herrschaftsform aufgestiegen. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Weiterlesen

Das Deutsch Reich betrieb eine Politik der Täuschung

Die seit 1934 forcierte Aufrüstungspolitik des Dritten Reichs trug das Risiko in sich, dass die Westmächte, vor allem Frankreich, auf diesen Bruch des Versailler Vertrags mit Druck, womöglich mit dem Einmarsch in Deutschland reagierten. Das hätte vermutlich auch das Ende des nationalsozialistischen Regimes bedeutet. Ulrich Herbert ergänzt: „Deshalb begann Adolf Hitler mit einer nach Osten wie nach Westen gerichteten Beschwichtigungspolitik und der unablässigen Bekundung seines Friedenswillens und war sogar bereit, eine Ausgleich mit Polen zu finden.“ Zugleich verließ Deutschland jedoch die Genfer Abrüstungsverhandlungen und den Völkerbund, um gegen den Versuch der Rüstungskontrolle zu protestieren. Um diesen Schritt zu legitimieren, wurden erneut „Neuwahlen“ ausgeschrieben und mit einem Volksentscheid über die Politik der Reichsregierung verbunden. Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

Weiterlesen

Die Deutschen leben in einer zunehmend populistischen Gesellschaft

In seinem neuen Buch „Die Stunde der Populisten“ will der Politologe Florian Hartleb Aufklärungsarbeit leisten und aufzeigen, wie man die Demagogen aufhalten kann. Er definiert Populismus wie folgt: „Populismus heißt erst mal vom Wortlaut her die ständige Beschäftigung mit dem Volk. Populismus heißt im Guten, dass man das Ohr an der Stimme des Stammtisches hat, die Belange des kleinen Mannes berücksichtigt und Politik so runterbricht, dass sie jedermann versteht.“ Im Negativen ist seiner Meinung nach der Begriff stark verbunden mit „nach dem Mund reden“ und mit Blick auf Agitation gegen „die da draußen“ sowie gegen die Eliten, indem der Populist behauptet, die politische Klasse sei korrupt. Der Passauer Politologe und Buchautor Florian Hartleb forscht seit dem Jahr 2000 zu Populismus und Radikalismus.

Weiterlesen

Viele Menschen fürchten sich vor der Freiheit

Anstatt den Einzelnen zu ermutigen, seine Interessen klar zu artikulieren und seine Entscheidungen über die für ihn richtige Lebensführung selbst zu verantworten, verspricht die Ideologie der Gemeinschaft die trügerische Sicherheit ewig fest gefügter Werte, denen man sich unterzuordnen habe. Reinhard K. Sprenger weist darauf hin, dass schon vor gut 150 Jahren liberale Denker wie Alexis de Tocqueville und John Stuart Mill vor der „Tyrannei der vielen“ in der Demokratie warnten, der sich der Einzelne kaum noch entziehen könne. Die Selbstregierung des Volkes schriebt John Stuart Mill, bedeute ja keineswegs „die Regierung jedes Einzelnen über sich selbst, sondern jedes Einzelnen durch alle Übrigen“. Sozialer Druck hat nicht nur eine gleichschaltende Kraft, er entwöhnt die Menschen auch des Gebrauchs der Selbstbestimmung. Reinhard K. Sprenger ist promovierter Philosoph und gilt als einer der profiliertesten Managementberater und Führungsexperte Deutschlands.

Weiterlesen

Die Freiheit von Naturzwängen ist heute weniger denn je gegeben

Zwei Dinge erwartete einer der Pioniere der neuzeitlichen Philosophie, René Descartes, von der von ihm mitbegründeten Naturforschung, und beide Dinge sind für die Freiheit relevant: ein müheloses Genießen der Früchte der Erde und eine Befreiung von unendlich vielen Krankheiten, sowohl des Körpers als auch der Seele. Otfried Höffe ergänzt: „Auch heute, bald 400 Jahre später, zeichnet sich selbst im wohlhabenden Westen weder ein müheloses Genießen noch eine Befreiung von unendliche vielen Krankheiten ab.“ Trotzdem kann man die glänzenden Erfolge einer noch immer wachsenden Naturforschung schwerlich bestreiten, weder für den Bereich der Arbeitserleichterung durch die Kunst der Ingenieure samt den neuen Informationstechniken noch für den Bereich von Gesundheit und verlängerter Lebenserwartung mit Hilfe von Medizin, Medizintechnik und Pharmazie. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Weiterlesen

Das Verhältnis zwischen den USA und anderen Ländern wird sich rasant verändern

Auf die Frage, ob die Welt mit dem neuen US-Präsidenten Donald Trump gefährlicher wird, antwortet Anne Applebaum: „Die Welt war immer gefährlich. Aber jetzt wird sie auf andere Art unsicher. Die existierende Ordnung, wie wir sie seit dem Ende des Kalten Krieges gewohnt waren, wird sich radikal transformieren. Die Institutionen, die Frieden brachten und Freihandel ermöglichten, werden schwächer – die Nato, die EU, die Handelszone zwischen den USA, Mexiko und Kanada.“ Das Verhältnis zwischen den USA und anderen Staaten wird sich rasant verändern.“ Zwar möchte Anne Applebaum das Elend nicht vorhersagen, macht sich aber Sorgen um eine neuerliche Besetzung von Teilen Osteuropas. Auch um eine neue russische Kampagne, Einfluss auf Deutschland und andere Teile des Kontinents zu nehmen, um die Demokratien zu schwächen. Die Historikerin Anne Applebaum ist Russland-Expertin und hat für ihr Buch „Gulag“ den Pulitzerpreis bekommen.

Weiterlesen

Eine niedrige Geburtenrate ist ein großer Gewinn

Folgende Stimmungslage ist in Deutschland weit verbreitet: Dem Land gehen wegen der wenigen Geburten die Arbeitskräfte aus; das Land verliert an Innovationskraft und degeneriert zum Altersheim; die Renten werden bald nicht mehr bezahlbar, der Staatshaushalt leidet Not. Auf die Frage der Demoskopen nach den größten Gefahren für Deutschland antworteten 56 Prozent: Dies sei die Alterung der Gesellschaft. Für wünschenswert halten die Mahner mindestens 2,1 Kinder pro Frau. Mit dieser Durchschnittsgröße sei der Bestand des Volkes gesichert. Von diesem Zielwert sind die Deutschen jedoch weit entfernt. Wolfgang Kaden kennt die Zahlen: „Sie brachten es 1995 gerade mal auf 1,25 Kinder. Zuletzt war der Jubel groß, als die Geburtenrate für 2015 auf 1,5 gestiegen war.“ Wolfgang Kaden gehört zu den renommiertesten Wirtschaftsjournalisten des Landes.

Weiterlesen

Die Bibel ist auch ein Denkraum für die Philosophie

In der neuen Sonderausgabe des Philosophie Magazins „Die Bibel und die Philosophen“ interpretieren berühmte Denker die zentralen Passagen des Alten Testaments. Dazu zählen unter anderem Immanuel Kant, Hans Blumenberg, Hannah Arendt, Baruch de Spinoza, Umberto Eco, Walter Benjamin und Søren Kierkegaard. Für die Chefredakteurin der Sonderausgabe, Catherine Newmark, steht fest: „Ohne Zweifel, die Bibel ist die einflussreichste Schrift unserer Geschichte; Malerei, Musik, Literatur, Film sind von ihr inspiriert bis zum heutigen Tag.“ Wenn Glauben archetypisch Passivität und Hingabe bedeutet, so steht die Philosophie umgekehrt für die Selbstermächtigung des Menschen durch Vernunft, hin zu Aktivität und Freiheit. Die in der Sonderausgabe versammelten philosophischen Betrachtungen zeigen: Das Alte Testament ist nicht nur eine Heilige Schrift für Gläubige oder eine Schatzkammer schöner Geschichten für Kulturhistoriker, sondern auch ein ungeheuer bezugsreicher Denkraum, ein Raum für Philosophie.

Weiterlesen

Islamismus und Rechtsextremismus sind siamesische Zwillinge

Was Deutschland gerade erlebt, ist keine regionale, auch keine nationale Besonderheit, keine Reaktion auf irgendein lokales politisches Missmanagement. Nils Minkmar, Historiker und Journalist, erklärt: „Der Aufstieg der radikalen Rechten ist eine schon lang bestehende und wohldurchdachte internationale politische Unternehmung. Ihr stehen beträchtliche finanzielle Mittel zur Verfügung sowie das gesamte Arsenal der digitalen Kommunikationstechniken, und sie rekrutiert durchaus zweckmäßiges politisches Personal.“ Die rechtsextremen Bewegungen und Parteien arbeiten seit Jahrzehnten daran, an die Macht zu gelangen, treffen sich und verfeinern ihre Kommunikation. Einer durch die Finanzkrise, die Eurokrise und die Migration verunsicherten Bevölkerung bieten sie Entlastung an: Schuld sind immer die anderen. Doch das ist nur die eine Deutschland bedrohende Seite. Die andere ist die des militanten politischen Islamismus. Auch der ist seit Jahrzehnten aktiv.

Weiterlesen

Populisten sind auf der ganzen Welt auf dem Vormarsch

In der Türkei ist mit Recep Tayyip Erdoğan ein Staatspräsident an die Macht gelangt, der zwar demokratisch gewählt wurde, aber die Demokratie mit Füßen tritt, um seinen Anspruch auf Alleinherrschaft zu zementieren. Auch in Deutschland sammelt die AfD alle jene ein, die sich maßlos ärgern, dass es zur „Alternativlosigkeit“ Angela Merkels keine Alternative geben soll. Dass diese Bewegung so eine Dynamik erlangt hat, ist nach Erkenntnissen von Experten auch auf den Einfluss der Massenmedien zurückzuführen, in deren Berichterstattung fast nur noch das Negative dominiert. Die Wirklichkeit werde als gigantisches Versagen dargestellt und die Strukturen dieser nach oben offenen Pleitenskala prägten schon seit langem den öffentlichen Diskurs. Wie die Populisten verfolgten auch die Massenmedien im Grunde nur ein Ziel: Aufmerksam um jeden Preis.

Weiterlesen

Niall Ferguson nennt fünf Gründe für den Populismus

Der in diesen Tagen um sich greifende Populismus versetzt die Regierungen in Europa und den USA in Alarmstimmung. Der Duden beschreibt dieses Phänomen „als eine von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft auch demagogische Bewegung, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen zu gewinnen“. Im Klartext wird den Politikern die Bereitschaft abgesprochen, dem Volk zu dienen. Sie hätten keine Antworten auf die großen Probleme der Zeit. Die Populisten sind daher tief davon überzeugt, dass nur sie die wahren Interessen der schweigenden Mehrheit mit ihrem gesunden Menschenverstand vertreten. Wie konnte es überhaupt zu so einer, die repräsentative Demokratie gefährdenden Entwicklung kommen? Der amerikanische Historiker Niall Ferguson von der Harvard-Universität macht dafür fünf Faktoren verantwortlich.

Weiterlesen