Eine Wiedergeburt der Menschlichkeit ist auch heutzutage möglich

Richard David Precht skizziert in seinem neunen Buch „Jäger, Hirten, Kritiker“ das Bild einer wünschenswerten Zukunft im digitalen Zeitalter und stellt die Frage, ob das Ende der Arbeit, wie sie bis heute die Regel war, überhaupt einen Verlust darstellt. Der Autor entwirft dabei eine humane Zukunft, in deren Mittelpunkt nicht die Technik steht, sondern der Mensch. Richard David Precht schreibt: „Wir stehen heute, im Jahr 2018, vor einem Epochenumbruch. Die „Automation“, lang ersehnt, könnte nun zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ein erfülltes Leben ohne Lohnarbeit für sehr viele ermöglichen.“ Was lockt, ist ein Leben in selbstbestimmten Tun ohne Entfremdung, ohne Konditionierung und Eintönigkeit. Der Philosoph, Publizist und Bestsellerautor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

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Das Unbehagen am Kapitalismus ist weit verbreitet

Das unbestreitbar Neue am modernen Kapitalismus, wie er seit knapp zwei Jahrhunderten die westliche Wirtschaft formt, ist seine Dynamik. Sie entsteht, weil Unternehmen ihre Gewinne nicht anhäufen, sondern gleich wieder investieren, vorzugsweise in neue Technik, die dazu führt, dass noch mehr und noch billiger produziert und noch mehr Geld verdient wird. Und so weiter. Auf diese Weise wuchs das Vermögen, vermehrte sich die Masse der Konsumgüter, wuchs die Wirtschaft in einem bisher nie gekannten Maße. Allerdings kam es dadurch auch zu einer völlig neuen Ballung ökonomischer Macht. Heute benutzen den Begriff „Kapitalismus“ fast nur noch seine Kritiker. Vor allem bündelt der Begriff das Unbehagen am aktuellen Wirtschaftssystem. An der Tendenz, allem einen Preis zu geben. An dem Trend, für den wirtschaftlichen Vorteil jede Moral beiseite zu stellen.

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Der Begriff der Mündigkeit spielt heute keine Rolle mehr

Bildung hatte schon immer zwei Seiten: die Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen und die Ansprüche der Gesellschaft. Konrad Paul Liessmann fügt hinzu: „Bildung bedeutet die Steigerung individueller Entfaltungsmöglichkeiten und die Aneignung jener Kenntnisse, Techniken, Traditionen und Fähigkeiten, die eine Gesellschaft für wichtig und verbindlich erachtet.“ Geht dieser Zusammenhang verloren, befindet sich die Bildungssysteme in einer Krise. Die Individualisierung im Bildungsprozess meint folgendes: dass der Einzelne in Auseinandersetzung mit sich und der Welt, mit dem Wissen und der Kultur erfährt, was er und wie er in dieser Welt sein kann. Mündigkeit nannte man dieses Ziel eines bildenden Prozesses der Selbstgewinnung einmal, ein Begriff, der heute keine Rolle mehr spielt. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

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Eine Gesellschaft der Singularitäten kennzeichnet die Spätmoderne

Andreas Reckwitz entwickelt in seinem neuen Buch „Die Gesellschaft der Singularitäten“ eine Theorie der Moderne, die eine spätmoderne Gesellschaft in all ihren Facetten beschreibt, in der das Singuläre überall die Herrschaft übernommen hat. Ein Mensch mit einer Normalbiografie mit seinem Durchschnittsleben ist im Ansehen seiner Mitmenschen ganz unten angesiedelt. An der Spitze der Gesellschaftspyramide stehen authentische Subjekte mit originellen Interessen und ungewöhnlicher Biografie. Nur noch das Besondere zählt, das Normale ist völlig out. Das gilt nicht nur für Menschen, sondern auch für Guter und Events, die unverwechselbar sein müssen. Selbst Communities und Städte sind diesem scheinbar allesumfassenden Trend unterworfen. Die Gesellschaft der Singularitäten zeichnet sich nicht nur durch seine Dynamik und seinen durch nichts zu erschütternden Fortschrittsglauben aus. Sie hat auch ihre Schattenseiten, indem sie ihre ganz eigenen Ungleichheiten, Paradoxien und Verlierer produziert. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Es gibt immer mehr Grauzonen des Rechts

Eine Mehrheit der Deutschen, 62 Prozent, glaubt, dass die Menschen vor dem Gesetz nicht gleich sind, sondern es zum Bespiel von einem teuren Anwalt abhängt, ob man Recht bekommt. Jens Gnisa ergänzt: „Immer noch 57 Prozent gehen davon aus, dass der Ausgang eines Gerichtsverfahrens vor allem durch den Richter und nicht die Gesetze bestimmt wird.“ Fast zwei Drittel der Bevölkerung hält die Gerichte für überlastet, und ein noch größerer Anteil wünscht sich schnellere Prozessabläufe. Jens Gnisa gibt zu, dass es in der Tat immer mehr Grauzonen des Rechts gibt, die Raum für Interpretation in alle Richtungen lassen. Die aktuellen Ursachen dafür liegen vor allem in dem Verlust der inneren Sicherheit, der den Bürgern intuitiv immer deutlicher bewusst wird. Jens Gnisa ist Direktor des Amtsgerichts Bielefeld und seit 2016 Vorsitzender des Deutschen Richterbundes.

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Der Wille eines erwachsenen Menschen ist nicht eigenständig

Der Wille eines Kleinkinds ist von eigentümlicher Reinheit: Das Kind fordert, was es will, was es ablehnt, ohne sich durch irgendetwas beirren zu lassen, das seinem Willen Grenzen setzen könnte. Matthew B. Crawford nennt ein Beispiel: „Es ist bitterkalt draußen, aber das Kind weigert sich, für einen Ausflug zum Spielplatz Schuhe anzuziehen.“ Der Wille eines Erwachsenen hingegen wird durch seine Interaktion mit der materiellen Realität geformt. Wenn man sagt, dass der menschliche Wille durch die Welt gestaltet wird, bedeutet das zum Beispiel, dass man es nicht länger als Annehmlichkeit betrachtet, sich Schuhe anzuziehen. Man tut es einfach, weil es eine Vorbedingung dafür ist, dass man etwas anderes tun kann. Jenseits derart minimaler Bedingungen begibt man sich auf das Gebiet des Könnens. Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

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Skeptiker werden von ihren Mitmenschen oft negativ bewertet

Pyrrhon aus dem griechischen Elis (ca. 360 – 270 v. Chr.) und seine Nachfolger professionalisieren das Zweifeln zur grundsätzlichen Skepsis, bei der heute ein deutlich negativer Beiklang mitschwingt. Ludger Pfeil nennt den Grund: „Der Skeptiker steht in unserer Welt der Effizienzanbetung, in der dem schnellen Entscheiden und Handeln gehuldigt wird, im Generalverdacht, zu lange zu zögern und damit den ganzen Betrieb aufzuhalten.“ Nicht wirklich zu Recht, denn aus eigener Erfahrung kann man wie die alten Griechen wissen: Die Dinge sind in Wirklichkeit nicht unbedingt so, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Vieles nickt man leichtfertig ab, weil es die anderen behaupten, weil die Gewohnheit dazu verleitet oder schlicht weil es so in den eigenen Kram passt. Der Philosoph Dr. Ludger Pfeil machte nach seinem Studium Karriere in der Wirtschaft als Projektleiter und Führungskraft und ist als Managementberater tätig.

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Der Cyborg ist die Brücke zwischen Gegenwart und Zukunft

Die westlichen Gesellschaften der Moderne sind von Technik durchdrungen. Das prominenteste Beispiel dafür ist das Internet. Sascha Dickel stellt fest: „ES hat den Cyberspace verlassen und wuchert immer stärker in die materielle Welt hinein.“ Keiner weiß, wohin dieser Prozess der Technisierung führen wird. Jede Aussage über die Zukunft ist grundsätzlich mit dem Makel der Gegenwart behaftet, aus dem sich der Mensch nicht befreien kann. Daher braucht man Metaphern und Bilder, die als Wegweiser in das unbekannte Land des Übermorgen dienen. Ein solcher Wegweiser ist der Cyborg. Er ist der technisierte „Neue Mensch“ par excellence. Er ist eine Brücke zwischen Gegenwart und Zukunft. Er verbindet visionäre Spekulation und erfahrbare Wirklichkeit. Er verwischt die Grenzen zwischen Mensch und Technik. Dr. Sascha Dickel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Friedrich Schiedel-Stiftungslehrstuhl für Wissenschaftssoziologie an der Technischen Universität München.

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Selbstvermessung soll von der Geißel der inneren Schwäche erlösen

In der Regel beginnt die Leidenschaft für die Selbstvermessung möglichst vieler Körper- und Lebensdaten mit einem festen Vorsatz, der sich mit hoher Technikfaszination verbündet. Ernst-Dieter Lantermann ergänzt: „Man möchte seinen „inneren Schweinehund überwinden“, seine Vorsätze nach einem gesünderen Leben endlich in die Tat umsetzen, nachdem so viele Anläufe im Sande verlaufen sind.“ Die jederzeit verfügbaren digitalen Wunderwaffen können die Anwender, so die Hoffnung, von der „Geißel der inneren Schwäche erlösen“, wie es Roy Baumeister auf den Punkt bringt. Angeschlossen an die digitalen Geräte, messen die Selbstvermesser ihre zurückgelegte Joggingstrecke, die geleistete Schrittzahl und die Anzahl der Kalorien, die sie bei ihrer körperlichen Ertüchtigung verbrannt haben. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

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Der Markt zählt zu den ältesten gesellschaftlichen Erfindungen

Die Menschheit kennt mehr als nur eine Ordnungsform visionärer Kraft, die sich dem Prinzip Freiheit verpflichtet. Zusätzlich zur dreidimensionalen Kultivierung, also den visionären Kräften von Technik, Medizin und Erziehung, gibt es die konstitutionelle Demokratie. In ihr wird die politisch notwendige Herrschaft von den Betroffenen selbst ausgeübt und dabei an Freiheitsrechte, an negative und positive Freiheiten, gebunden. Otfried Höffe fügt hinzu: „Eine dritte Vision, eine der ältesten gesellschaftlichen Erfindungen, der Markt, erlaubt den Menschen, das für sie notwendige Arbeiten und Wirtschaften sowie jede Form von Wettstreit und Konkurrenz frei und selbstbestimmt, ohne Einschränkung seitens Dritter, vorzunehmen.“ In Bezug auf die Arbeit ergänzt der Markt das Freiheitspotential der Technik. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Matthias Horx stellt die die Zukunft von Liebe vor

Matthias Horx hat mit „Future Love“ das erste Buch vor, dass sich aus Sicht der Trend- und Zukunftsforschung dem Thema Liebe widmet. Er untersucht die Prozesse der Wandlung in Liebe, Partnerschaft und Familie und entwickelt ein Panorama der kommenden Liebeskultur, das von der totalen Digitalisierung der Leidenschaft bis zur „Liquid Love“ reicht. Zuvor erklärt Matthias Horx auf der Basis neuer Erkenntnisse von Psychologen, Neurologen und Sozialwissenschaftlern, welche Macht die Liebe über einen Menschen ausübt und was genau geschieht, wenn zwei Menschen ineinander verliebt sind. Der Zukunftsforscher hat sein Buch in drei große Abschnitte gegliedert. Teil 1: Vergangenheit: Wie die Liebe in die Welt kam. Teil 2: Gegenwart: Liebe in Zeiten der radikalen Individualisierung. Teil 3: Zukunft: Drei Szenarien der futuristischen Liebe. Matthias Horx ist der profilierteste Zukunftsdenker im deutschsprachigen Raum.

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Ein denkendes Wesen möchte nicht der Natur ausgesetzt sein

Nichts ist für den Philosophen Konrad Paul Liessmann so verführerisch wie die Aussicht, die Natur zu überlisten. Denn der Natur ausgesetzt zu sein, ist für ein denkendes Wesen furchtbar, kränkend, demütigend. Daidalos, dessen Name sich vom griechischen Wort „daidallein“ ableitet, ein kunstvolles Arbeiten bezeichnet, hat im antiken Sinne eher nicht gearbeitet. Er war Künstler, Handwerker, Erfinder, aber kein Sklave. Konrad Paul Liessmann erklärt: „Die Antike unterschied feinsinnig unterschiedliche Formen menschlicher Tätigkeit: „ascholía“, eigentlich die Nichtmuße, die Beschäftigung, die eher freudlosen Dinge, die verrichtet werden müssen, um das Lebensnotwendige bereitzustellen, das tägliche Brot im Schweiße unseres Angesichts zu verdienen.“ Diese Arbeit, die auch zur Mühe und Plage, zur Qual – „ponos“ – werden konnte, erachtete man aber eines freien Menschen für unwürdig, dafür hielt man sich Sklaven.

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Der Mensch hat einen besonderen Bezug zum Sein

Für den Philosophen Martin Heidegger zeichnet sich der Mensch durch einen besonderen Bezug zum Sein aus. Er steht im Sein, er kann sagen, was ist, und er kann mithilfe von Technik etwas aus der Verborgenheit ans Licht der Welt bringen. Thomas Damberger erklärt: „Um zu verstehen, war Martin Heidegger meint, macht es Sinn, eine Pflanze anzuschauen. Steckt man ein Samenkorn in die feuchte Erde, wird daraus mit etwas Glück eine Pflanze erwachsen. Die Pflanze kommt also aus sich heraus zu sich selbst, sie entbirgt sich.“ Bei einem Stuhl ist das zum Beispiel anders. Der Stuhl wächst nicht am Baum, sondern wird von einem Handwerker hergestellt. Dr. Thomas Damberger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

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Ohne das Magnetfeld könnte auf der Erde kein Leben existieren

Dass Zugvögel einen sechsten Sinn besitzen, wissen Forscher erst seit ein paar Jahren. Die Erkenntnis, dass auf der Erde eine unsichtbare Kraft waltet, die als Wegweiser dient, ist dagegen uralt. Inzwischen haben Wissenschaftler das Naturphänomen längst enträtselt. Zum Teil haftet seinen Wirkungen aber immer noch etwas Spukhaftes an. So ist das Erdmagnetfeld zum Beispiel daran beteiligt, wenn im ewigen Eis Polarlichter über den Nachthimmel flirren. Beim Magnetstürmen, also großen Feldschwankungen, entstehen starke Ströme in der Atmosphäre. Professorin Claudia Stolle, die am Helmholtz-Zentrum Potsdam die Sektion Erdmagnetfeld leitet, erklärt: „Sie können elektrische Oberleitungen und Satelliten lahmlegen.“ Doch ist das Magnetfeld keineswegs nur ein Störfaktor, der hin und wieder die Technik verwirrt. Ohne es könnte Leben, wie wir es kennen, gar nicht existieren.

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Mit jeder Tugend geht ein Laster einher

Augustinus, der lateinische Kirchenlehrer der Spätantike, glaubte nicht daran, dass die Welt feinsäuberlich in die Kräfte des reinen Guten und des reinen Bösen geschieden werden könne. Vielmehr gehe jede Tugend mit einem Laster einher – Selbstvertrauen mit Stolz, Aufrichtigkeit mit Brutalität, Mut mit Leichtsinn und so weiter. Der Ethiker und Theologe Lewis Smedes beschreibt die menschliche Natur der Innenwelt wie folgt: „Unser Seelenleben ist nicht so scharf geschieden wie Tag und Nacht – mit reinem Licht auf der einen Seite und totaler Finsternis auf der anderen. Unsere Seelen sind überwiegend Schattenräume; wir leben an der Grenze, wo unsere dunklen Seiten uns Licht blockieren und einen Schatten auf unsere inneren Plätze werfen. Wir können nicht immer sagen, wo unser Licht endet und unser Schatten beginnt und wo unser Schatten endet und unsere Finsternis beginnt.“

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Die Autorität steht seit der Aufklärung unter Beschuss

Viele Menschen, die mit den aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen nicht einverstanden sind, machen das Schwinden der Autorität dafür verantwortlich. Konservative Stimmen klagen über den Untergang des Abendlandes, und manche suchen die Schuld bei den Ausländern. Damit meinen sie Muslime – ironischerweise Angehörige einer Glaubensgemeinschaft, die wesentlich mehr konservative Normen und Werte verkörpert, als die heutige westliche Gesellschaft, die deren Schwinden beklagt. Mit diesen Stimmen kann sich Paul Verhaeghe nicht identifizieren; zugleich jedoch ist auch ihm klar, dass der Westen mit Autorität ein Problem hat. Das aktuelle Wehklagen könnte den Eindruck erwecken, Autorität sei erst vor Kurzem zum Problem geworden. Aber weit gefehlt: Sie steht bereits seit der Epoche der Aufklärung unter Beschuss. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

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Die Freiheit von Naturzwängen ist heute weniger denn je gegeben

Zwei Dinge erwartete einer der Pioniere der neuzeitlichen Philosophie, René Descartes, von der von ihm mitbegründeten Naturforschung, und beide Dinge sind für die Freiheit relevant: ein müheloses Genießen der Früchte der Erde und eine Befreiung von unendlich vielen Krankheiten, sowohl des Körpers als auch der Seele. Otfried Höffe ergänzt: „Auch heute, bald 400 Jahre später, zeichnet sich selbst im wohlhabenden Westen weder ein müheloses Genießen noch eine Befreiung von unendliche vielen Krankheiten ab.“ Trotzdem kann man die glänzenden Erfolge einer noch immer wachsenden Naturforschung schwerlich bestreiten, weder für den Bereich der Arbeitserleichterung durch die Kunst der Ingenieure samt den neuen Informationstechniken noch für den Bereich von Gesundheit und verlängerter Lebenserwartung mit Hilfe von Medizin, Medizintechnik und Pharmazie. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Menschen beurteilen Situationen nach ihrer Erfahrung

Bei der Beurteilung einer Situation greifen die meisten Menschen auf ihre eigenen Erfahrungen zurück. Sie dient als Referenz bei der Interpretation. Allan Guggenbühl erklärt: „Denken besteht oftmals aus einem Rückgriff auf frühere Erfahrungen. Die daraus gezogenen Schlüsse werden zur Richtschnur bei der Beurteilung einer Situation und wiegen oft mehr als andere gewichtige Argumente.“ Die persönlichen Erfahrungen sind Teil des Dispositivs, mit dem Menschen das Leben meistern. Bei einer bestimmten Herausforderung mobilisiert man dann das gleiche Muster. Gibt es keine Überraschungen, wird die Aufgabe gewohnheitsmäßig bewältigt, ohne großes Engagement und innerliche Beteiligung. Ein tieferer Prozess der Reflexion bleibt aus. Allan Guggenbühl ist seit 2002 Professor an der Pädagogischen Hochschule Zürich tätig. Außerdem fungiert er als Direktor des Instituts für Konfliktmanagement in Zürich.

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Die Natur ist weder Feind noch Lehrmeister

Beim Thema „Natur“ prallen zwei Meinungen hart aufeinander. Für die einen gilt uneingeschränkt: „Macht euch die Erde untertan.“ Sie wollen den Pfad der Technik weiterbeschreiten und die Natur so vollständig wie möglich beherrschen. Bernward Gesang fügt hinzu: „Natur erleben sie vorrangig als eine Grenze. Eine Grenze unserer Freiheit und unseres Körpers, die uns Krankheiten und Tod bringt.“ Die Menschheit hat die Natur in der Geschichte der Zivilisation enorm verändert, und in der westlichen Welt, also da, wo der Mensch die Natur konsequent beherrscht, geht es fast jedem besser als je zuvor. Das ist das Fazit: Keiner muss mehr hungern, viele Seuchen sind verschwunden und die Lebenserwartung steigt stetig. Hat der Wohlstand die Menschen nicht glücklicher gemacht? Professor Dr. Bernward Gesang lehrt Philosophie mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsethik in Mannheim.

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Technik und Genetik sollen den Menschen verbessern

Aktuell arbeitet die Menschheit an einem Entwurf des perfekten Menschen. Es geht um die Verbesserung und Veränderbarkeit des Menschen in einem neuen Sinn. Konrad Paul Liessmann erklärt: „Nicht durch Erziehung und Bildung, nicht durch Moral, Aufklärung und eine humanistische Kultur soll die Verbesserung des Menschengeschlechts erreicht werden, wohl aber durch Technik und Genetik.“ Für den Soziologen Dierk Spreen befindet sich die moderne Gesellschaft schon jetzt in einer „Enhancement-Gesellschaft“, in der vor allem die Optimierung des Körpers durch Manipulationen, Zusammenschlüsse mit Mikromaschinen und Prothesen zu einem alltäglichen Phänomen geworden ist. Unübersehbar ist auch ein sich allmählich wandelndes Selbstverständnis des Menschen, ein Wandel des Menschenbildes. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

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Die Erfahrung ist ein trügerisches Phänomen

Von Erfahrung und Erfahrungen ist heute in allen Bereichen des Lebens die Rede: Menschen machen Erfahrungen, sammeln sie, versuchen aus ihnen zu lernen, und sich an ihnen zu orientieren. Sie wünschen aus Erfahrung klug, möglicherweise sogar weise zu werden. Sie berufen sich auf ihre Erfahrungen, um ihre Behauptungen zu begründen und um fremde Autoritäten infrage zu stellen. Gleichwohl handelt es sich bei dem Wort „Erfahrung“ um eines der trügerischsten in der ganzen Philosophie, wie Alfred North Whitehead einmal bemerkte. Was es bezeichnet, erscheint einem zwar zunächst unmittelbar vertraut und leicht begreiflich. Versucht man jedoch, Erfahrungen begrifflich und theoretisch zu erfassen, gerät man schnell in Schwierigkeiten und Verwirrung. Trotz einiger Bemühungen, die seit der Aufklärung an Zahl und Intensität zugenommen haben, scheint der Terminus bis heute zu den unaufgeklärtesten Begriffen zu gehören, die es gibt.

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Im Rausch kann der Mensch aus sich selbst heraustreten

Stammestänze, Koka-Blätter, Weihrauch: Alle Kulturen finden Wege, die Sehnsucht nach dem Rausch zu befriedigen. Weil fast jeder Mensch Fluchtwege aus dem Alltag braucht. Das Leben eines Menschen wird bestimmt von Regeln, die eine Gesellschaft aufrechterhalten. Das bringt viele Zwänge mit sich. Zum Ausgleich gibt es die Freizeit. Die einen gehen tanzen, joggen bis zur Erschöpfung oder verbiegen sich beim Yoga. Die anderen gehen in die Kneipe, rauchen Haschisch oder pflegen ihre Briefmarkensammlung. Aber vielleicht wird auch die eigene Persönlichkeit als Zwang empfunden. Der Psychologe und Autor Dr. Jürgen vom Scheidt nennt eine der großen Sehnsüchte, die mit dem Rausch verbunden sind: „Wir können aus uns selbst heraustreten. Der Mensch braucht zwar eine stabile Umgebung, die unter gewissen Regeln funktioniert. Aber manchmal braucht er auch genau das Gegenteil.“

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Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Leibeigenschaft aufgehoben

Das 18. Jahrhundert wird als „Pädagogisches Jahrhundert“ bezeichnet. Die Pädagogik etablierte sich in dieser Zeit als eigenständische wissenschaftliche Disziplin. Im Jahr 1779 gab es den ersten Lehrstuhl für Pädagogik. In der Zeit um das 18. Jahrhundert herum geschahen in Europa bedeutende Umwälzungen, die ganz entscheidend für das heutige vorherrschende ökonomische Bildungsverständnis sind. Thomas Damberger erklärt: „Die damalige, vormoderne Gesellschaft kann als eine Agrargesellschaft bezeichnet werden. Die meisten Menschen lebten als Bauern auf dem Land. Sie waren Leibeigene, das heißt, sie gehörten nicht sich selbst, sondern waren Eigentum ihres Feudalherrn.“ Das Land, das sie zu beackern hatten, gehörte ihnen ebenfalls nicht und auch nicht die Werkzeuge und Gerätschaften, mit denen sie tagtäglich arbeiteten. Dr. Thomas Damberger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

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Roboter und Algorithmen geben das Tempo der Arbeitswelt 4.0 vor

Josef Käser, Vorstandschef von Siemens, warnt Aktionäre und Mitarbeiter vor neuen Erschütterungen: „Schnelligkeit, Anpassungsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft sind mehr denn je gefordert. Unordnung ist die neue Weltordnung.“ Siemens ist überall. „Change“ heißt im Manager-Denglisch die alles beherrschende Überlebensweisheit der Wirtschaftswelt. Wolfgang Kaden blickt zurück: „Während in früheren Zeiten, bis in die Siebziger des vorigen Jahrhunderts hinein, die Unternehmen vielleicht alle zehn Jahre ein Reformprogramm durchliefen, löst heutzutage eine Umorganisation die nächste ab.“ Man nennt das: „Never stop reorganizing.“ Und kaum einer fragt, ob die unmittelbar Betroffenen, die Mitarbeiter, dieses Tempo mitgehen können oder wollen. Die Geschwindigkeit und Häufigkeit von Veränderungen wird wie ein Naturgesetz vorgegeben – vom Wettbewerb, von der Technik, von der Beraterzunft. Wolfgang Kaden gehört zu den renommiertesten Wirtschaftsjournalisten Deutschlands.

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Islamismus und Rechtsextremismus sind siamesische Zwillinge

Was Deutschland gerade erlebt, ist keine regionale, auch keine nationale Besonderheit, keine Reaktion auf irgendein lokales politisches Missmanagement. Nils Minkmar, Historiker und Journalist, erklärt: „Der Aufstieg der radikalen Rechten ist eine schon lang bestehende und wohldurchdachte internationale politische Unternehmung. Ihr stehen beträchtliche finanzielle Mittel zur Verfügung sowie das gesamte Arsenal der digitalen Kommunikationstechniken, und sie rekrutiert durchaus zweckmäßiges politisches Personal.“ Die rechtsextremen Bewegungen und Parteien arbeiten seit Jahrzehnten daran, an die Macht zu gelangen, treffen sich und verfeinern ihre Kommunikation. Einer durch die Finanzkrise, die Eurokrise und die Migration verunsicherten Bevölkerung bieten sie Entlastung an: Schuld sind immer die anderen. Doch das ist nur die eine Deutschland bedrohende Seite. Die andere ist die des militanten politischen Islamismus. Auch der ist seit Jahrzehnten aktiv.

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