Die Redefreiheit ist ein Recht für jedermann

„Wir – alle Menschen – müssen in der Lage und befähigt sein, frei unsere Meinung zu äußern und ohne Rücksicht auf Grenzen, Informationen und Ideen zu suchen, zu empfangen und mitzuteilen.“ Dieses Prinzip ist für Timothy Garton Ash diejenige Freiheit, von der alle anderen Freiheiten abhängen. Die Fähigkeit zu sprechen unterscheidet den Menschen von anderen Tieren und von allen bislang erfundenen Maschinen. Nur wenn man seine Gedanken und Gefühle voll und ganz ausdrücken kann, kann man sein Menschsein voll und ganz realisieren. Nur wenn man seine Mitmenschen sehen und hören kann, kann man wirklich verstehen, was es heißt, ein anderer zu sein. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

Weiterlesen

Den Westen verlor seine hegemoniale Stellung

Der Universalitätsanspruch des Westens ist für François Jullien nicht mehr haltbar. Der französische Philosoph spricht in diesem Zusammenhang von „Westen“ und nicht von „Europa“. Denn der Westen ist nicht nur geographisch viel größer. Sondern es handelt sich hier auch um einen ideologischen Begriff und nicht wie bei Europa, um einen historischen. Den Westen versteht François Jullien zudem im Sinne von Macht, normativem Pol und Hegemonie: „Indem er diese hegemoniale Stellung verlor, ging der Westen auch des Ansehens verlustig. Dieses war mit dem Universalismus verbunden, den er zu verkörpern behauptete und den er einzig dank seiner Macht hatte durchsetzen können.“ Die Begegnung mit anderen Kulturen wirft die Frage auf, ob ein solches Trachten nach dem Universellen seinerseits universell ist. François Jullien, geboren 1951 in Embrun, ist ein französischer Philosoph und Sinologe.

Weiterlesen

Glück hat mit Geld nichts zu tun

Geld macht weder glücklich noch unglücklich. Glück hat mit Geld nichts zu tun, sondern mit den eigenen Entscheidungen. Auf den Einwand: „Ich habe keine Zeit!“, antwortet Reinhard K. Sprenger: „Zeit kann man nicht haben. Zeit ist eine Frage der Priorität: Was ist Ihnen wichtig?“ Jeder Mensch hat immer, ausnahmslos immer Zeit für das, was ihm wirklich wichtig ist. „Keine Zeit“ heißt: Es ist Ihnen nicht wichtig.“ Der europäische Osten besaß vor dem Fall der Mauer einen schier unermesslichen Reichtum an Zeit. Im Westen haben die Menschen für ihren materiellen Wohlstand schon immer Zeitarmut in Kauf genommen. Dem liegt eine Entscheidung zugrunde, wie „Reichtum“ zu definieren ist. Reinhard K. Sprenger ist promovierter Philosoph und gilt als einer der profiliertesten Managementberater und Führungsexperte Deutschlands.

Weiterlesen

Spiegelzellen sorgen für emotionale Ansteckung

Nicht nur die Beobachtung von Taten, sondern auch das Lesen oder Hören von Wörtern kann eine Macht haben. Damit kann man das Befinden, Fühlen und Denken anderer Menschen – und damit auch deren freien Willen – verändern. Joachim Bauer erklärt: „Diese sublime Methode der Beeinflussung beruht auf Phänomenen, welche durch das System der Spiegelneurone verursacht werden.“ Spiegelnervenzellen sind neuronale Netzwerke. Diese werden aktiviert, wenn Abläufe, die sie im eigenen Körper auslösen könnten, tatsächlich nicht im eigenen, sondern im Körper eines anderen Menschen stattfinden. Spiegelneurone sind ein neuronales Resonanzsystem. Die eigenen Spiegelzellen reagieren auf andere Menschen allerdings nur dann, wenn diese anderen sich im Wahrnehmungshorizont der eigenen fünf Sinne befinden. Der Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut Joachim Bauer lehrt an der Universität Freiburg.

Weiterlesen

So entstand das Geld

Geld ist erfunden worden, um den Austausch von Gütern zu erleichtern, sagt die Mehrzahl der Ökonomen. Anfangs hat man einfach nur Naturalien getauscht. Das Weggegebene war gewissermaßen das Geld; das, was man dafür bekam, die Ware. Vor allem Edelmetalle empfahlen sich später als allgemeine Tauschmittel. Christoph Türcke schreibt: „Man begann den Wert, den tauschbare Gebrauchsgüter für den Besitzer oder den Erwerber hatten, in Edelmetallmengen auszudrücken und bekam so eine allgemein anerkannte Währung, die sich als Regelwerk des Austauschs als außerordentlich praktisch erwies.“ So stellte sich zum Beispiel der griechische Philosoph Aristoteles die Entstehung des Geldes vor und die Pioniere der politischen Ökonomie der Neuzeit, John Locke, Adam Smith, David Ricardo und ihre Anhänger, sind ihm darin gläubig gefolgt. Prof. Dr. Christoph Türcke war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig.

Weiterlesen

Elitäre Individualisten gehen auf Distanz

Die einzige Form von Macht, die ein wahrhaft elitäres Wesen unbedingt anstrebt, ist die Macht über sich selbst. Das Streben nach Macht über andere ist dieser Ausrichtung genau entgegengesetzt. Wolfram Eilenberger stellt fest: „Das Kernbedürfnis des elitären Menschen ist also keineswegs, anderen den eigenen Willen aufzuzwingen.“ Das eigentlich zu lösende soziale Problem kommt für elitäre Individualisten vielmehr von der anderen Seite. Es besteht ganz wesentlich und hauptsächlich darin, sich den weithin ungerichteten Willensbestimmungen, die andere auf einen selbst ausüben, zu entziehen. Die Sphäre der Anderen, aller anderen, ist also keine der potenziellen Eroberung. Sondern sie ist eine der möglichst weitgehenden Distanzierung und Befreiung! Wolfram Eilenberger war langjähriger Chefredakteur des „Philosophie Magazins“, ist „Zeit“-Kolumnist und moderiert „Sternstunden der Philosophie im Schweizer Fernsehen.

Weiterlesen

Am Anfang war die Schönheit

Nichts ist für den Philosophen Konrad Paul Liessmann so verführerisch wie die Verführung: „Das Lockende und Verlockende, die Andeutungen und Versprechungen, die Eröffnung von bisher ungeahnten Möglichkeiten, das Verlassen eines sicheren Bodens, das Umgehen des Gewohnten, das Faszinosum des Neuen: Wer wollte dem widerstehen?“ Im Paradies muss es schön gewesen sein, so war es wohl. Am Anfang war die Schönheit, aber diese führte zu Wut, Trauer und Neid. Und der Schöpfer des Menschen ähnelte weniger einem Gott in seiner Machtvollkommenheit als einem Bastler. Dieser probiert einiges aus, um bei einem Produkt zu landen, das er nach kurzer Zeit wieder entsorgen muss. Die Erzählung vom Paradies ist von Anbeginn an eine Geschichte des Aufbegehrens und der Vertreibungen. Die Schöpfung in ihrer Schönheit provoziert den Widerstand desjenigen, dessen Licht diese Schönheit sichtbar macht, ohne selbst daran Anteil nehmen zu können.

Weiterlesen

Judith Butler fordert radikale soziale Gleichheit

Wer sind wir und in welcher Welt wollen wir leben? Judith Butler gibt in ihrem neuen Buch „Die Macht der Gewaltlosigkeit“ folgende Antwort: „In einer Welt radikaler sozialer Gleichheit, die getragen ist von der Einsicht in die Abhängigkeiten und Verletzlichkeiten menschlicher Existenz.“ Diese Welt gilt es gemeinsam im politischen Feld zu erkämpfen – gewaltlos und mit aller Macht. In ihrer Einleitung weist Judith Butler darauf hin, dass Plädoyers für Gewaltlosigkeit im gesamten politischen Spektrum auf Kritik treffen. Ein zentrales Problem für die Verteidiger der Gewaltlosigkeit liegt ihrer Meinung darin, dass die Begriffe „Gewalt“ und „Gewaltlosigkeit“ umstritten sind. So sind zum Beispiel verletzende Äußerungen für die einen Akte der Gewalt. Während andere der Auffassung sind, dass Sprache nur im Fall expliziter Drohungen als „Gewalt“ im eigentlichen Sinne gelten kann. Judith Butler ist Maxine Elliot Professor für Komparatistik und kritische Theorie an der University of California, Berkeley.

Weiterlesen

Machtmissbrauch gehört nicht zur menschlichen Natur

Von der Liebe abgesehen, gibt es keinen anderen Bereich des sozialen Lebens, der so gründlich erforscht ist wie der Erwerb von Macht, ihr Missbrauch und schließlich ihr Verlust. Die großen Geschichten vom Missbrauch der Macht und dem darauffolgendem Verlust derselben, faszinieren Menschen seit jeher. Die Fixierung auf den Machtverlust könnte einen Menschen zu dem Glauben verleiten, der Missbrauch von Macht sei unvermeidlich. Aber das Macht-Paradox ist viel komplexer. Dacher Keltner erklärt: „Machtmissbrauch ist nicht Teil der menschlichen Natur.“ Macht bedeutet nicht nur die Möglichkeit, andere beeinflussen zu können, sie prägt auch das Selbstbewusstsein. Das Gefühl, über Macht zu verfügen, löst einen Rausch an Erwartungen aus. Dacher Keltner ist Professor für Psychologie an der University of California in Berkeley und Fakultätsdirektor des UC Berkeley Greater Good Science Center.

Weiterlesen

Wir alle sind Gefangene der Zeit

In 13 Essays zeigt Christopher Clark in seinem neuen Buch „Gefangene der Zeit“ wie sehr historische Ereignisse und Taten über die Zeiten hinweg fortwirken. An den Vorstellungen von Macht und Herrschaft hat sich bis heute wenig geändert. Die Religion, politische Macht und das Bewusstsein der Zeit sind für Christopher Clark prägende Säulen der neueren europäischen Geschichte. Die religiöse Tradition ordnet dabei das menschliche Bestreben in den größtmöglichen Kompass ein. Politische Macht verbindet Kultur, Wirtschaft und Persönlichkeit mit Entscheidungen, die eine große Anzahl von Menschen betreffen. Die Zeit schließlich wird von Narrativen, religiösen ebenso wie säkularen, konstruiert und geformt. Sie verrät, wie die Präsenz von Macht, in welcher Form auch immer, das menschliche Bewusstsein und den Sinn für Geschichte prägen. Christopher Clark lehrt als Professor für Neuere Europäische Geschichte am St. Catharine`s College in Cambridge.

Weiterlesen

Dacher Keltner definiert einen neuen Begriff der Macht

Seit Niccolò Machiavelli und der Renaissance hat sich die Gesellschaft dramatisch verändert, und zwar in einer Weise, die es erforderlich macht, die ausgediente Definition von Macht fallenzulassen. Dacher Keltner erklärt: „Es wird uns eher gelingen, das Macht-Paradox zu überlisten, wenn wir unser Denken erweitern und Macht als die Fähigkeit definieren, etwas in der Welt zu verändern, insbesondere, indem wir mit Hilfe der Macht andere in unseren sozialen Netzen aufrütteln.“ Nach dieser neuen Definition ist Macht nicht auf ganz besondere Menschen beschränkt, also weder auf grausame Diktatoren noch hochrangige Politiker oder die Reichen und Berühmten des Jet-Sets, die in der Öffentlichkeit stehen. Dacher Keltner ist Professor für Psychologie an der University of California in Berkeley und Fakultätsdirektor des UC Berkeley Greater Good Science Center.

Weiterlesen

Wissen war mit einem Erlebnis verbunden

Wissen ist eine Ressource der Klugheit. Das Wissen, das man sich angeeignet hat, dient dazu innere Bilder und äußere Eindrücke zu sichten und Schlussfolgerungen zu ziehen. Um kluge Schlüsse zu ziehen, muss der Mensch sein Wissen verinnerlichen. Die mündliche Überlieferung von Wissen war und ist hierbei wahrscheinlich von Vorteil. Allan Guggenbühl erklärt: „Das Wissen wurde memoriert und in eindrücklichen, wenn auch möglicherweise langweiligen Zeremonien weitergegeben. Folge war, dass sich die Menschen viel Wissen aneigneten. Sie kannten die Sprüche und Bilder auswendig, sodass sie beim Denken spontan auf sie zurückgreifen konnten.“ Ein weiterer Vorteil der mündlichen Vermittlung war, dass Wissen mit einem Erlebnis verbunden war. Allan Guggenbühl ist seit 2002 Professor an der Pädagogischen Hochschule Zürich tätig. Außerdem fungiert er als Direktor des Instituts für Konfliktmanagement in Zürich.

Weiterlesen

In den USA beherrscht eine Minderheit die Mehrheit

Die USA waren von Anfang an eine repräsentative Demokratie. Die Gründerväter wollten verhindern, dass die Mehrheit die Minderheit unterdrücken kann. Aus diesem Grund verankerten sie in der Verfassung eine Reihe von Schutzklauseln. Darunter fallen auch Beschränkungen der staatlichen Machtausübung. Joseph Stiglitz weiß: „Im Lauf der mehr als 200 Jahre, die seither vergangen sind, hat sich die Lage jedoch verändert.“ Heute gibt es in den USA eine politische Minderheit, welche die Mehrheit beherrscht und daran hindert, im Interesse des gesamten Landes zu handeln. Denn eine große Mehrheit wäre für ein schärferes Waffengesetz und einen höheren Mindestlohn. Die meisten Amerikaner fordern einen besseren Zugang zur Gesundheitsversorgung und Hochschulbildung, ohne dass man sich dafür hoch verschulden muss. Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.

Weiterlesen

Edgar Wolfrum kennt die deutsche Vergangenheit

Die Berufung auf die deutsche Vergangenheit erlaubte es der Bundesrepublik Deutschland immer wieder, schwierige bündnispolitische Entschlüsse gemäß innenpolitischer Opportunität und innerdeutschen Meinungslagern zu fassen. Das Ausland erkannte jedoch darin einen Zug von Unberechenbarkeit. War Deutschland eine Weltmacht wider Willen? Edgar Wolfrum erläutert: „Pazifisten fanden es moralisch empörend, dass Deutschland überhaupt Waffen baute und sie verkaufte. Dagegen verwiesen die Prediger des Pragmatismus auf internationale Verpflichtungen.“ Zu einer Außenpolitik, die seiner Größe und Bedeutung entsprach, fand Deutschland offenbar nicht. Bundespräsident Horst Köhler stolperte 2010 aus dem Amt. Nur weil er eine unerhörte Selbstverständlichkeit angesprochen hatte: dass es zwischen Militäreinsätzen und wirtschaftlichen Interessen Verbindungen gebe. Deutschland blieb ein Land, das zwar zu den Motoren der globalen Ökonomie zählte. Aber es verweigerte jedoch die daraus resultierende Rolle beharrlich. Edgar Wolfrum ist Inhaber des Lehrstuhls für Zeitgeschichte an der Universität Heidelberg.

Weiterlesen

Autorität gibt der Gesellschaft eine Struktur

Wer Macht hat, hat das Sagen. Diese Verbindung spiegelt sich laut Philipp Hübl in den Metaphern wider, mit denen man über Macht spricht. Wer „gehorcht“, der hört auf jemanden. Und wem etwas „gehört“, der hat Verfügungsgewalt darüber. Die etymologische und inhaltliche Nähe zwischen hören, gehören und gehorchen findet sich in vielen indogermanischen Sprachen. Nur wenn jemand Ansagen macht, hat eine arbeitsteilige Gruppe oder Gesellschaft eine Struktur. Genau das regelt das Prinzip der Autorität. Schon John Stuart Mill hat im Jahr 1859 festgestellt, dass neben Fortschritt auch Ordnung und Stabilität Grundbedürfnisse des Menschen sind. Mill zählte zu den Gründervätern des Liberalismus. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

Weiterlesen

Die Kommunikation im Strafrecht besteht aus vier Ebenen

Kommunikation im weiten Sinn ist ein zentraler Faktor des Strafens und des Strafrechts. Sie hat insoweit vier unterschiedliche Ebenen: Erstens eine Ebene der „empathischen“ Entstehung von normativen Ordnungen der Sanktionierung. Zweitens eine Ebene der Entstehung und der Organisation von vorstaatlicher Macht und Monopolisierung der Gewalt. Drittens eine Ebene der gesellschaftlichen Vermittlung von „Sinn“. Viertens eine Ebene der technischen und symbolischen „Abwicklung“ von Strafrecht. Thomas Fischer geht näher auf die dritte Ebene ein und weist darauf hin, dass damit zunächst ganz banale Dinge gemeint sind: „Das Sanktionieren abweichenden Verhaltens ist zwar Bestandteil jedes gesellschaftlichen Lebens. Es ist aber, jedenfalls jenseits sehr kleiner früherer Gemeinschaften, nicht allgegenwärtig und unmittelbar spürbar.“ Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

Weiterlesen

Das Prinzip der Freiheit darf niemals aufgegeben werden

An dem für sie wesentlichen Prinzip der Freiheit zeigt die Moderne, dass sie kein schlechthin neues Ziel verfolgt, sondern eine anthropologisch Grundintention, eben die Freiheit, zur Blüte, am liebsten sogar zur Vollendung bringen will. Otfried Höffe warnt: „Wer das Prinzip Freiheit aufgibt, setzt also mehr als nur das Projekt der Moderne und Einsichten ihrer großen Denker aufs Spiel.“ Allerdings erweist sich die Freiheit samt Moderne als ein vielschichtiges, inneren Spannungen ausgesetztes, in mancher Hinsicht sogar widersprüchliches Ziel. Otfried Höffe versteht also die Freiheit als ein facettenreiches, intern spannungsgeladenes und von Widersprüchen durchwirktes Phänomen. Viele Vorhaben und Visionen, erneut sowohl der Menschheit im Allgemeinen als auch der Moderne im Besonderen, sind von einem Freiheitsgedanken inspiriert. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Weiterlesen

Sanktionen sind nicht zwingend mit Normativität verbunden

Verhalten, das von einer in einer Gesellschaft jeweils gegebenen Norm abweicht, wird „negativ sanktioniert“. Das heißt mit ablehnenden, unangenehmen, auch ausgrenzenden Handlungen beantwortet. Umgekehrt wird normkonformes Verhalten „positiv sanktioniert“, also mit Zustimmung, Anerkennung oder sozialen Vorteilen belohnt. Das erscheint den meisten Menschen im Alltagsleben selbstverständlich, da der Grundsatz auf einer tiefen, naturnahen Ebene des Lebens angesiedelt ist. Thomas Fischer erläutert: „Er hängt unmittelbar mit der Normativität des Denkens und dem Verhältnis von Erwartungen und Vertrauen zusammen.“ Wie die Normativität ist auch die Sanktionierung von einer Vielzahl von Voraussetzungen abhängig. Die wichtigste ist, das die Personen, die Sanktionen vollziehen, auch die soziale Macht haben, solche Handlungen zu definieren. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

Weiterlesen

Thomas Junker kennt den Zusammenhang von Sex und Macht

Ähnlich ambivalent wie das Verhältnis von Sex und Geld stellt sich der Zusammenhang von Sex, Macht und Gewalt dar. Die Attraktivität von Macht liegt auf der Hand, denn sie bedeutet Schutz. Schutz vor den Gefahren der Umwelt und Schutz vor anderen Menschen. Thomas Junker fügt hinzu: „Auch deshalb kann das erotische Spiel mit Macht und Unterwerfung so reizvoll sein. Nicht nur der Marquis de Sade war ihm verfallen.“ Bis heute prallen die Meinungen unversöhnlich aufeinander, ob die spielerische Auseinandersetzung mit sexueller Macht und Gewalt für die psychische Gesundheit eines Menschen unabdingbar ist oder ob es sich um den ersten Schritt in die Inhumanität handelt. Da Männer von einer Vergewaltigung biologisch profitieren können, wenn es zur Schwangerschaft kommt, wäre es denkbar, dass in der Evolution eine entsprechende angeborene Neigung entstanden ist. Thomas Junker ist Professor für Biologiegeschichte an der Universität Tübingen.

Weiterlesen

Die Frage nach den Grenzen des Privateigentums ist aktueller denn je

Das neue Philosophie Magazin 02/2020 beschäftigt sich in seinem Titelthema mit der Frage „Eigentum verpflichtet – aber wozu?“. Mit Blick auf die utopische Literatur wird deutlich: Sammelt sich das Privateigentum in den Händen weniger, wird es zu einer illegitimen Quelle von Herrschaft. Zum anderen wird aber auch klar, dass diese kollektiven Gesellschaftsentwürfe wie Platons „Politeia“, Thoma Morus´ „Utopia“ oder Tommaso Campanellas „Der Sonnenstaat“ keineswegs herrschaftsfrei daherkommen. Ganz im Gegenteil werden bestimmte Gruppen und ihre spezifischen Fähigkeiten mit Macht ausgestattet. Die Frage nach den Grenzen des Privateigentums ist heutzutage aktueller denn je. Denn die 45 reichsten Haushalte in Deutschland besitzen derzeit so viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der gesamten Bevölkerung. Die Menschen sollten wieder streiten lernen, in welchen Eigentumsverhältnissen sie zukünftig leben wollen.

Weiterlesen

Es gibt kein Recht ohne Moral

Das Recht nicht dasselbe ist wie Moral oder Sitte, ist allgemein bekannt. Trotzdem ist der vielfach geschriebene Leitsatz, Moral und Recht hätten „nichts miteinander zu tun“ oder seien „unabhängig voneinander“, zumindest verkürzt. Thomas Fischer nennt den Grund: „Denn es gibt zwar Moral ohne Recht, aber kein Recht ohne Moral.“ Als Recht bezeichnet man Ordnungen oder Systeme von Normen, die eine Metaebene ihrer Geltung enthalten, also eine übergeordnete, ihrerseits normative Sinnebene, die „vorschreibt“, wie, warum und auf welche Weise die Normen Gültigkeit und Legitimität erhalten. Das betrifft insbesondere die Entstehung der Rechtsnormen und ihre Abgrenzung zu außerrechtlichen normativen Erwartungen. „Recht“ kann es zum Beispiel sein, bestimmte Speisen nicht essen zu dürfen. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

Weiterlesen

Otfried Höffe kennt die sechs Stufen der Freiheit

Um sich den Bedeutungsraum der personalen Freiheit zu vergegenwärtigen, kann man sechs Bedeutungen unterscheiden, die, weil sie aufeinander aufbauen, Stufen der Freiheit heißen mögen. Otfried Höffe erläutert: „Weil die ersten drei für den Menschen nicht spezifisch sind, liegt schlichte Freiheit, noch keine personale Freiheit vor. Ihr gegenüber handelt es sich um Vorstufen. Erst bei den nächsten drei Stufen, den Hauptstufen geht es um die personale Freiheit selbst.“ Man mag sich fragen, warum die Überlegungen so weit ausholen. Drei Gründe sprechen für den Beginn bei den Vorstufen. Zum einen vermeidet man eine voreilige Anthropozentrik, denn selbst der Ausdruck, der den Menschen aus der Natur herauszuheben scheint, die Freiheit, bleibt für die naturale Seite des Menschen offen. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Weiterlesen

Macht offenbart den Charakter eines Menschen

Ein Faktor, dem es immer wieder gelingt, die Ziele eines Menschen und damit auch seine Werte und sein Verhalten zu verändern, ist Macht. John Bargh weiß: „Die Macht der Macht ist legendär: Macht macht korrupt, wie das Sprichwort lautet, und Machtvollkommenheit macht vollkommen korrupt.“ Bei Staatsbeamten kommen Fälle von Machtmissbrauch und Korruption leider nur allzu häufig vor. Korrupte Personen scheinen oftmals gar keinen Sinn dafür zu haben, wie ihr Verhalten auf die Öffentlichkeit wirken muss, als wäre ihnen überhaupt nicht bewusst, dass sie ihre Macht missbrauchen. Macht ermöglicht es ihrem Inhaber, sich das Gewünschte zu verschaffen, trotz der Einwände oder fehlender Zustimmung anderer. Prof. Dr. John Bargh ist Professor für Psychologie an der Yale University, wo er das Automaticity in Cognition, Motivation, and Evaluation (ACME) Laboratory leitet.

Weiterlesen

Der Rechtspopulismus ist eine manisch-sakrale Anrufung von Macht

Der gemeinsame Nenner von Strafen und Waffen ist unübersehbar. Das geht es immer irgendwie um das Thema Macht. Aber auch um das Gegenteil – die Ohnmacht, vor der man sich zum Beispiel schützen will. Uns schon betritt man wieder die politische Arena. Denn im Grunde ist der Rechtspopulismus eine manisch-sakrale Anrufung von Macht und Bedeutung: „Wir sind nur dann jemand, wenn wir mächtig sind.“ Beim Thema Strafen ruft Herbert Renz-Polster als Beispiel die USA auf. Sie sind mit ihrem Anteil an der Weltbevölkerung von nicht einmal fünf Prozent für fast ein Viertel der weltweit registrierten Strafgefangenen verantwortlich. In den dortigen Gefängnissen sitzen heute etwa 2,2 Millionen US-Amerikaner. Der Kinderarzt Dr. Herbert Renz-Polster hat die deutsche Erziehungsdebatte in den letzten Jahren wie kaum ein anderer geprägt.

Weiterlesen

Timothy Snyder kritisiert die Politik der Unausweichlichkeit

Die Politik der Unausweichlichkeit beruht auf der Annahme, dass es keine Ideen gibt. Wer sich sklavisch der Unausweichlichkeit unterwirft, leugnet, dass Ideen von zentraler Bedeutung sind, und zeigt damit nur, dass er seinerseits dem Einfluss einer mächtigen Idee unterliegt. Der Leitspruch der Politik der Unausweichlichkeit lautet: „Es gibt keine Alternativen.“ Timothy Snyder kritisiert: „Wer das akzeptiert, leugnet, dass er als Individuum Verantwortung dafür trägt, geschichtliche Entwicklungen zu erkennen und verändernd einzugreifen. Er wird zum Schlafwandler, der seinem bereits markierten, vorab gekauften Grab entgegenwankt.“ Die kapitalistische Version einer Politik der Ungleichheit, in der der Markt an die Stelle der Politik tritt, schafft eine ökonomische Ungleichheit, die jeden Glauben an Fortschritt unterminiert. Timothy Snyder ist Professor für Geschichte an der Yale University und Autor der Bücher „Über Tyrannei“, „Black Earth“ und „Bloodlands“.

Weiterlesen