Künstliche Intelligenzen eignen sich das Weltwissen an

Holger Volland weiß: „Die Sprache ist eine unerschöpfliche Ressource, um daraus neue Welten zu erschaffen und beschreiben zu können.“ Daneben besitzt die Sprache eine einzigartige Fähigkeit: Gefühle zu vermitteln, die weit über die Bedeutung von Wörtern hinausgehen. Die Schriftstellerin und Apothekerin Marie von Ebner-Eschenbach schrieb einmal: „Der Geist einer Sprache offenbart sich am deutlichsten in ihren unübersetzbaren Worten.“ Denn diese zeigen, dass es Dinge gibt, die nicht zur eigenen Kultur gehören. Deshalb braucht man für sie keinen eigenen Begriff. Auch der fremde Klang von Wörtern scheint Dingen eine neue Bedeutungsebene zu geben. Fremde Sprachen ermöglichen auch neue Formen des Denkens. Weil zum Beispiel Begriffe fehlen oder es plötzlich viele Wörter mit feinsten Unterscheidungen gibt. Das gilt für eine Sache, die im Deutschen nur durch ein Wort repräsentiert wird. Der Informationswissenschaftler Holger Volland lehrte an der Hochschule Wismar Gestaltung. Zudem kuratierte er große Ausstellungen der Gegenwartskunst in Argentinien und Deutschland.

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Jürgen Wertheimer beschreibt die Geburt Europas

Irgendwo zwischen Syrien und Libyen beginnt laut Jürgen Wertheimer die Geschichte Europas. Dabei handelt es sich allerdings um eine genuin griechische Geschichte, vielleicht sogar um die Mutter aller Geschichten. Göttervater Zeus hat sich in Europé, die Tochter des mythischen Phönikerkönigs Agenor, verliebt. Er entführt sie, in der Gestalt eines Stieres, über das Meer nach Kreta. Dort verwandelt er sich zurück und zeugt mit Europé drei Söhne. Einer davon war Minos, der später das kretische Labyrinth erfand. Jürgen Wertheimer erklärt: „Entsprechend einer frühen Verheißung Aphrodites, wurde die neue Heimat nach ihr „Europa“ benannt.“ Noch in der Nacht vor ihrer Entführung hatte Europé davon geträumt, dass zwei Kontinente um sie stritten: Asia und das zukünftige Europa. Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.

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Die Vernunft ist die Matrix des Weltgeschehens

Die Leistung der Vernunft erschließt sich laut Volker Gerhardt nicht im rationalen Schließen. Um dies anschaulich zu machen, muss man ihre Tätigkeitsfelder in den Blick nehmen. Dann zeigt sich schnell, welchen Beitrag ihr allein die Organisation des Wissens verdankt. Denn Wissenschaft ist ohne methodische Anleitung, planvolle Heuristik und systematische Schlussfolgerungen nicht möglich. Vor allem im Maschinenwesen ist die Wirksamkeit einer planenden Hand, die eine rationale Überlegung steuert, unübersehbar. Selbst Riten, Zeremonien und Institutionen sind nicht mehr und nicht weniger als angewandte und sozial wirksame Vernunft. Die zentrale Leistung der Vernunft ist dabei das Begreifen von Ganzheiten. Es liegt sogar nahe, die Vernunft als Matrix des gesamten Weltgeschehens anzusehen. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Fortschritt entlastet das Leben

Fortschritt ist eine starke Metapher der Bewegung – und diese hat einen realen Kern. Seit rund 300 Jahren lebt die Menschheit in einem Kontinuum der Forschung und Wissenschaft, das kumulativ wirkt. Peter Sloterdijk ergänzt: „Aus diesem Lernzusammenhang können und wollen wir nicht austreten.“ In der wissenschaftlichen Modernität und ihrer Ergänzung durch Technik spielt sich ein riesiges Experiment ab, das der Entlastung des Lebens gilt. Der technische Fortschritt setzt sich immer dann durch, wenn die Menschen mehr Machtmittel in die Hände bekommen, die ihren Aktionsradius erweitern und ihr Dasein erleichtern. Peter Sloterdijk erläutert: „Fortschritt in einem nicht naiven Sinn bedeutet Ermächtigung und Entlastung.“ Auf dem Gebiet der Moral brauchen seiner Meinung nach allerdings keine Fortschritte gemacht werden. Peter Sloterdijk gilt als einer der wirkungsmächtigsten und zugleich heftig umstrittenen Denker Deutschlands.

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Europa hat ein gewaltiges Potenzial

Jürgen Wertheimer beschreibt in seinem Buch „Europa“ den gleichnamigen Erdteil als ein labiles und zugleich seit mehr als 2000 Jahren bestehendes Gebilde. Europa ist stets im Zerfall und Aufbau zugleich begriffen. Es hat immer dann am besten funktioniert, wenn eine gewisse artistische Balance zwischen Ansprüchen der Autonomie und Bedürfnissen der Bindung herrschte. Bei der inneren Widersprüchlichkeit Europas ist das alles andere als eine Selbstverständlichkeit. In seinem Buch unternimmt Jürgen Wertheimer den Versuch, sich diesem verwirrenden Kontinent zu nähern und ihn in all seinen Gegensätzen zu erkunden. Im Vergleich zu anderen Kulturen ist Europa viel filigraner und zerbrechlicher. Das ist aber nicht nur seine Schwäche, sondern auch seine Stärke. Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.

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Deutschland muss mehr für die Bildung tun

Die Kultur zu Anfang des 21. Jahrhunderts ist eine Kultur der „Sofortness“. Der Kunde will alles, und zwar sofort. Er ist faul und ungeduldig. Richard David Precht warnt: „Wer alles will, und zwar sofort, ist auf die großen Umbrüche unserer Zeit schlecht vorbereitet. Was zählt, sind langfristiges Denken, Entscheidungsstärke in komplizierten Vorgängen und ethische Haltungen.“ All dies zu trainieren, ist seiner Meinung nach eine wichtige Aufgabe des Bildungssystems. Leider werden die Kinder in den Schulen nur äußerst unzureichend auf die Herausforderungen ihres zukünftigen Lebens vorbereitet. Deutschland muss mehr für die Bildung tun. Für viele Wirtschaftsvertreter ist die Sache einfach: Eine digitale Gesellschaft braucht mehr digitales Know-how. Der Philosoph, Publizist und Bestsellerautor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

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Terry Eagleton lehnt den Kulturrelativismus ab

Der Kulturrelativismus ist eine äußerst fragwürdige Position. Nur Rassisten sind der Meinung, es sei vollkommen rechtens, in Borneo zu vergewaltigen und zu morden, nicht aber in Brighton. Die Ansicht, einige Standpunkte seien besser und wahrer als andere, ist weder „elitär“ noch „hierarchisch“. Terry Eagleton betont: „Völlig zu Recht hat der Philosoph Richard Rorty einmal festgestellt, dass man sich nicht mit Menschen auf Debatten einzulassen braucht, die die Auffassung vertreten, dass jede Ansicht zu einer bestimmten Frage so gut sei wie jede andere, da es solche Ansichten überhaupt nicht gebe.“ Den Parteigängern des Kulturrelativismus widerstrebt es, ihre eigenen Werte absolut zu setzen, da sie für die Lebensweisen anderer offen sind. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Informationen haben den Status des Kognitiven

Andreas Reckwitz unterscheidet deutlich zwischen Daten, Informationen und Kulturformaten. Allen drei begegnet er in den digitalen Medien. Als Daten lassen sich Systeme von Unterscheidungen begreifen. Diese kommen innerhalb maschineller Prozesse – Binärcodes, Algorithmen – vor und wirken damit unabhängig vom Wissen der Menschen. Anders als die Daten bilden Informationen und Kulturformate Sinnzusammenhänge, mit denen menschliche Subjekte hantieren. Während die Information jedoch eine instrumentelle Funktion hat, haben die Kulturformate aus Sicht der Teilnehmer schon für sich genommen einen Wert. Informationen haben den Status des Kognitiven. Sie sind nützliches Wissen, um bestimmte Zwecke zu erreichen. Kulturformate sind stattdessen für die Teilnehmer intrinsisch motiviert, gerade indem sie sie beeinflussen beziehungsweise erregen. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Die Kultur kann von einer störrischen Unnachgiebigkeit sein

In Reaktion auf eine soziale Ordnung, in der Kultur wahrhaftig allumfassend erschien, begannen einige postmoderne Theoretiker in den 1980er Jahren, die Lehre des Kulturalismus zu verbreiten, wonach der Mensch seiner gesamten Existenz nach Kultur sei. Terry Eagleton ergänzt: „Jede Erwähnung der Kultur wurde zutiefst suspekt, paradoxerweise ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt, als die Umweltbewegung auf der Bildfläche erschien.“ Wann immer in einem postmodernen Text das Wort „Natur“ auftaucht, ist es in der Regel von verschämten Anführungszeichen umrahmt. Menschen gelten nicht mehr als natürliche, materielle Tiere mit Bedürfnissen und Fähigkeiten, die ihnen als Art gemeinsam sind, sondern sie werden durch und durch zu kulturellen Geschöpfen. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Selbst denken kann gefährlich sein

In Kulturen, die von Traditionen geleitet werden, ist der Einzelne nicht aufgerufen, die gegebenen Lebensformen zu hinterfragen. Sondern er ist aufgefordert, sie zu erfüllen. Diese in Frage zu stellen, könnte sogar ausgesprochen gefährlich sein. Silvio Vietta erläutert: „Auch in der europäischen Kultur sind Fragende oft aus dem Lande gejagt, ins Gefängnis gesperrt, verbrannt worden. Nicht nur im Mittelalter, auch in den totalitären Phasen der Neuzeit.“ Noch tiefer als eine Frage setzt der Zweifel vorgegebene Formen des Denkens auf den Prüfstand. „Etwas bezweifeln“ heißt deren Richtigkeit in Frage zu stellen. Das ruft wiederum das Denken als eigenverantwortliches Prüfen von Sachverhalten auf den Plan. Vor allem die mittelalterliche Kirche hielt den Zweifel für etwas Gefährliches. Wer an Gott zweifelte, konnte schnell auf dem Scheiterhaufen landen. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

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Die Reichsfürsten hatten kein Interesse an einem deutschen Nationalstaat

Der Traum von der deutschen Nation ist älter als der deutsche Nationalstaat. Thea Dorn weiß: „Und diejenigen, die ihn träumten, waren mitnichten die deutschen Reichsfürsten.“ Im Gegenteil: Die Feudalherren im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation hatten wenig bis gar kein Interesse an einem deutschen Nationalstaat. Das Heilige Römische Reich deutscher Nationen hatte sich im 10. Jahrhundert unter der Dynastie der Ottonen herausgebildet und bestand auf dem Papier bis 1806. Den deutschen Reichsfürsten war viel mehr daran gelegen, unter dem Schutzmantel des Heiligen Römischen Reichs ihre lokale Macht auf den klein- und kleinstaatlichen Schollen zu erhalten. Der Träger und Verfechter des nationalen Gedankens in deutschen Landen war zuallererst das Bürgertum. Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.

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Das Lesen tritt immer mehr in den Hintergrund

Das Lesen ist immer noch allgegenwärtig, wird durchgängig pädagogisch gelobt, ist immer noch Kern der Bildung, kennt aber leider kaum noch eine praktische oder kommunizierte Kultur. Wann soll man lesen, und wenn ja, wie viel? Walter Benjamin sah noch im Studenten den Urtyp des Sammlers – weil Studierende Wissen suchen, sammeln und ordnen. Wer den Hochschulbetrieb wie Frank Berzbach kennt, der weiß, dass die Bildungsidee lange durch die der bloßen Qualifikation ersetzt wurde: „Die bedarf aber weniger der strengen Lektüre, sondern eher der Fähigkeit zur schnellen Recherche. Da Google alles zu wissen scheint, wird das Gedächtnis narkotisiert, die Aufmerksamkeitsspanne wird geringer.“ Das alles mag für den Arbeitsmarkt wichtig sein, für den Zugang zur Schönheit ist diese Entwicklung hinderlich.“ Dr. Frank Berzbach unterrichtet Psychologie an der ecosign Akademie für Gestaltung und Kulturpädagogik an der Technischen Hochschule Köln.

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Kreative Arbeit besitzt einen Eigenwert

Modernes Arbeiten ist ein zweckrationaler Prozess, der in der Regel im Rahmen von Organisationen stattfindet. Dies gilt auch für die Arbeit an den singulären, kulturellen Gütern in der creative economy. Andreas Reckwitz erklärt: „Auch sie unterliegt einer formalen Rationalisierung, ist die zweckvolle, systematische Form, in der singuläre Güter verfestigt werden, und bleibt vom klassisch-modernen Optimierungsimperativ geprägt.“ Diese weiterhin existierende Logik des Allgemeinen bildet den Hintergrund für die Kreation kultureller Singularitätsgüter. Im Zuge der Transformation der industriellen Produktion zu dem, was Andreas Reckwitz kulturelle Produktion nennt, verändert die Arbeit jedoch ihre Form: Es bildet sich der Typus des kreativen Arbeitens, der Kreativarbeit aus. Von Seiten der spätmodernen Arbeitssubjekte selbst ist der Begriff des kreativen Arbeitens eindeutig positiv und normativ besetzt. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Werte verleihen einem Menschen Sicherheit

Zu den sensibelsten Bereichen eines Menschen gehören seine Werte, besonders der Selbstwert. Werte sind die als erstrebenswert oder moralisch gut betrachteten Eigenschaften von Menschen, Verhaltensweisen, Handlungsmuster und Charaktereigenschaften, aber auch von Ideen, Sachverhalten und Gegenständen. Reinhard Haller fügt hinzu: „Aus solchen Wertvorstellungen bilden wir unsere Wertesysteme und darauf aufbauend können wir Wertentscheidungen treffen.“ Werte sind ein wichtiges Element einer jeglichen Gesellschaft und Kultur. Sie werden durch ebendiese Kultur und Gesellschaft weitergegeben. Werte geben metaphysisch-religiöse Orientierung, prägen die soziale Ausrichtung und sind zentraler Bestandteil des humanistischen Denkens. Die Wertphilosophie, die ihre Höhepunkte in der Güterethik des Aristoteles und in der „Idee des Guten“ von Platon hatte, wurde später von der Moraltheologie aufgegriffen. Reinhard Haller ist Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik mit dem Schwerpunkt Abhängigkeitserkrankungen.

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Moralische Urteile drücken Wertungen aus

Bei moralischen Prinzipien geht es darum, Schaden zu vermeiden. Warum gilt: „Du sollst nicht töten“ und „Du sollst nicht stehlen“? Weil die Folge einen Schaden für jemanden darstellt: den Verlust des Lebens und des Besitzes. Philipp Hübl stellt fest: „Unsere moralischen Urteile drücken also Wertungen aus. Und unsere Emotionen in gewisser Weise auch.“ Eine Spielart der Angst ist die Hemmung, andere zu töten. Auf der Seite der Moral ist das Tötungsverbot für alle Menschen und Kulturen ein universelles Gesetz. Jedem ist klar, dass das Leben einen Wert darstellt und der Tod als Verkürzung des Lebens somit einen Schaden anrichtet. Die Stärke der Angst spielt also für die moralische Einschätzung eine nicht unbedeutende Rolle. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

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Traditionelle Tugenden sind nicht mehr zeitgemäß

Die vier alten Tugenden Tapferkeit, Klugheit, Gerechtigkeit und Mäßigung ragen aus der Antike in die Gegenwart. Die Dreiheit aus Glaube, Liebe, Hoffnung war lange die gültige christliche Ergänzung der griechisch-römischen Tugenden. Reimer Gronemeyer fügt hinzu: „Diese Klassiker wurden in der Industriegesellschaft noch durch Fleiß, Gehorsam, Sparsamkeit ergänzt.“ Die besagten Tugenden und Werte konnten in einem Milieu gedeihen, das gegenwärtig zerfällt: Familie, Nachbarschaft, Kommune, Vereine und Kirchen. Jenes Milieu bot den gesellschaftlichen Zusammenhang, es stellte sozusagen die Bausteine. Aber was bringt die Zukunft? Nur noch Menschen, die sich selbst vermessen und optimieren? Aus der Unternehmensberatung wird zum Beispiel von einem neuen „Werkzeug“ berichtet, das Personalentscheidungen auf eine sichere Basis stellen soll: Das Tool „Precire“ analysiert Sprachproben eines Menschen. Reimer Gronemeyer ist seit 1975 Professor für Soziologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen, wo er 2018 zum Ehrensenator ernannt wurde.

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Das Wesen des Menschen umfasst zwei Welten

Das Wesen des Menschen umfasst zwei Welten. Die eine besteht aus den naturgegebenen Regeln der Lebensregulation, deren Fäden durch die unsichtbaren Hände von Schmerz und Freude gezogen werden. Antonio Damasio erklärt: „Wir sind uns weder diesen Regeln noch ihrer Grundlagen bewusst; vielmehr erkennen wir nur bestimmte Folgen, die wir Schmerz oder Freude nennen.“ Es gibt aber auch noch eine andere Welt. In dieser konnten und können die Menschen die Bedingungen umgehen, die ihnen auferlegt wurde. Dazu haben die Menschen kulturelle Formen der Lebensbewältigung erfunden, mit denen sie die Grundlagen ergänzen. Das Ergebnis waren die Entdeckungen, welche die Wissenschaft nach wie vor in den Universen im Menschen selbst und um ihn herum machen. Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.

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Philosophen bewerten die Kunst sehr unterschiedlich

Zahlreiche Philosophen haben der Kultur in der Bedeutung von Kunst höchsten Wert beigemessen. Doch nicht jeder große Denker folgte ihnen darin. Platon steht der Kunst aus politischen Gründen feindselig gegenüber und vertreibt die Dichter aus seinem Staat. Immanuel Kant, der bedeutendste moderne Philosoph, reinigt die Kunst von ihrem Inhalt und reduziert sie auf die reine Form. Terry Eagleton nennt weitere Beispiele: „Für Hegel kann die moderne Kunst nicht mehr die lebenswichtige Aufgabe erfüllen, die sie in der antiken Welt wahrnahm, und muss daher der Philosophie weichen. Jeremy Bentham, dessen utilitaristische Philosophie im 19. Jahrhundert zur herrschenden Morallehre Englands wurde, erweist sich bei ästhetischen Fragen als ausgemachter Spießer.“ Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Untreue lässt sich unmöglich voraussagen

Weder Ehen noch Affären existieren im luftleeren Raum. Wie man sich verliebt, sich einem anderen Menschen gegenüber zur Loyalität verpflichtet und die Verpflichtungen wieder brechen, all dies geschieht innerhalb eines größeren sozialen Kontexts. Shirley P. Glass erklärt: „Als Männer und Frauen unterliegen wir bestimmen Rollenvorstellungen. Auch wenn man Geschlechtsunterschiede berücksichtigt, sehen Menschen die Welt durch ihre persönlichen und sozialen Filter auf unterschiedliche Art.“ Die individuellen moralischen und religiösen Werte haben ihren Ursprung in der Familie und in dem sozialen Umfeld, in dem man aufgewachsen ist. Man hat Erwartungen aufgrund der kulturellen Eindrücke, die man als Kind und Erwachsener erhält. Dr. phil. Shirley P. Glass war niedergelassene Psychologin und Familientherapeutin. Sie starb im Jahr 2003 im Alter von 67 Jahren an einer Krebserkrankung.

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Die Zivilisation ist keine rationale Anordnung

Aufgrund des Zusammenspiels schier unendlich vieler Faktoren im menschlichen Leben kommt es zu Ereignissen, die keineswegs immer und durchgängig absichtlich sind. Die Zivilisation ist keine rationale Anordnung, die irgendjemand am Reißbrett geplant hätte. Markus Gabriel stellt fest: „Jede Verbesserung der sozioökonomischen Lebensbedingungen des Menschen hängt von einer niemals gänzlich durchschaubaren Menge von Umständen ab.“ Dafür gibt es einen einfachen Grund. Die Menschen sind als Lebewesen nämlich mit einer weitgehend nicht intentionalen Umgebung konfrontiert. Die nicht intentionale Umgebung des menschlichen Lebens sind diejenigen Tatsachen, die bestehen, ohne dass jemand vorher ihr Bestehen geplant hätte. Seit 2009 hat Markus Gabriel den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Bei der Gewohnheit ersetzt die Routine die Verantwortung

Das Titelthema des neuen Philosophie Magazin 02/2020 geht der Frage nach, warum es so schwer ist, sich zu ändern. Gewohnheiten, Ängste und Orientierungslosigkeit: Vielfältig sind die Gründe dafür, warum viele Menschen im Alten verharren, selbst wenn es mit Leid verbunden ist. Selbst die extremsten Handlungen oder Ereignisse können sehr schnell zu so banalen Gewohnheiten wie dem Kaffee nach dem Essen werden. Wie die Geschichte zeigt, kann man sich leider an alles gewöhnen, auch daran, ein Kind zu schlagen oder Unschuldige zu erschießen. Wie man sieht, hat die Gewohnheit erhebliche moralische Folgen oder amoralische, um genau zu sein. Sie betäubt den Willen eines Menschen. Ihre mechanische Wiederholung gibt der Gewohnheit ein solches Gewicht, dass sie unverrückbar scheint. Wenn das Bewusstsein abdankt, wenn man schulterzuckend bekennt: „Ich kann nichts dagegen tun!“, dann erweist sich die Gewohnheit als bewährtes Alibi. Die Routine ersetzt die Verantwortung.

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Aristoteles zählt die Dichter zu den besten Lehrern des Volkes

Aristoteles zählt in Übereinstimmung mit der griechischen Tradition die Dichter zu den besten Lehrern des Volkes. Dabei spricht er ihnen laut Otfried Höffe nachdrücklich die Aufgabe zu, starke emotionale Wirkungen hervorzurufen. Aristoteles billigt der Dichtung eine eigene vorrangig nicht intellektuelle, sondern affektive Form von Rationalität zu, was auf ein Plädoyer für ein erhebliches Maß an ästhetischer Autonomie hinausläuft. Der griechische Philosoph befasst sich mit dem Wesen der Dichtung, mit ihren verschiedenen Gattungen und mit ihrer anthropologischen Grundlage. Dabei sieht er das Wesen in jener Mimesis, Nachahmung, die nicht etwa täuschende Echtheit sucht. Vielmehr besagt die Mimesis, dass selbst eine geniale Fiktion an vorgängig existierende Wirklichkeit, insbesondere an die emotionale, soziale und politisch Natur und Kultur des Menschen, zurückgebunden bleibt. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Die Religion ist der gefährlichste Feind des freien Denkens

Die unstillbare Sehnsucht nach Reinheit, gefährlichste Feindin freien Denkens, ist die Obsession des Religiösen zu allen Zeiten in allen Kulturen – schon deshalb, weil Religion gewöhnlich auf Absolutes, Immaterielles und damit eben auch Reines zielt. In Krisenzeiten wird der Wunsch nach Reinheit besonders drängend. Bernd Roeck stellt fest: „Gereinigt durch die Taufe beginnen Christinnen und Christen ihr Leben; durch Buße reinigen sie sich im Inneren. Sich Gott zu nähern verlangt Reinheit, vom Priester wie vom Gläubigen. Am Ende helfen Sterbesakramente bei letzter Säuberung.“ Noch nach dem Tod vollzieht das Fegefeuer – jene furchterregende Erfindung der Kirchenväter – eine allerletzte Purgation. Sie erst macht dazu bereit, in den Himmel einzugehen. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

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Kultur ist die Summe intellektueller Errungenschaften

Dass das Wort „Kultur“ auf das Universum der Ideen angewandt wird, hat die Menschheit Cicero und dem alten Rom zu verdanken. Cicero beschrieb mit dem Wort das Heranziehen der Seele – „cultura animi“; dabei dachte er offensichtlich an den Ackerbau und sein Ergebnis, die Vervollkommnung und Verbesserung des Pflanzenwachstums. Was für das Land gilt, kann demnach genauso auch für den Geist gelten. Antonio Damasio schreibt: „An der heutigen Hauptbedeutung des Wortes „Kultur“ gibt es kaum Zweifel. Aus Wörterbüchern erfahren wir, dass Kultur eine Sammelbezeichnung für Ausdrucksformen intellektueller Errungenschaften ist, und wenn nichts anderes gesagt wird, meinen wir damit die die Kultur der Menschen.“ Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.

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Das eigenständige Denken ist der Ursprung der Kultur der Rationalität

Das, was die europäische Kultur am nachhaltigsten von allen anderen Weltkulturen unterscheidet, ist der hohe Wert, den sie von ihren frühen Anfängen in der griechischen Antike auf das eigenständige Denken legte. Silvio Vietta erläutert: „Das eigenständige Denken ist eines der höchsten Werte der abendländischen Kulturgeschichte und zugleich Ursprung und Grund einer ganzen Kultur des Abendlandes: der Kultur der Rationalität.“ Die Aufforderung zum eigenständigen Denken findet sich bereits formuliert in dem Gebot „Erkenne dich selbst“, das über dem Eingang des Apollotempels in Delphi eingemeißelt war und dem Weltweisen Chilon von Sparta zugeschrieben wird. Der Spruch, der den Menschen auch an seine Endlichkeit und Sterblichkeit mahnen soll, bekundet den Anfang des philosophischen Denkens im frühen Griechenland bei den vorsokratischen Philosophen. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

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