Immanuel Kant sucht eine widerspruchsfreie Welt

Immanuel Kant formulierte den kategorischen Imperativ: „Handle so, dass die Maxime deines Handelns Grundlage eines allgemeinen Gesetzes sein könnte.“ Der Philosoph glaubt damit ein moralisches Gesetz formuliert zu haben. Diesem müsse jedes vernünftige Wesen auf alle Zeiten entsprechen. Axel Braig erklärt: „Er war der Ansicht, durch sein Lebenswerk wieder eine zusammenhängende und widerspruchsfreie Weltsicht zu bieten. Diese gebe den Menschen klare Richtlinien für ihr Handeln.“ Immanuel Kant war überzeugt, dass die durch die kopernikanische Wende ausgelösten existenziellen Verunsicherungen mittels der Physik Isaac Newtons und seiner eigenen Philosophie befriedigt werden können. Doch dieser Friede währte nicht lange. Die allgemeine Relativitätstheorie Albert Einsteins relativierte die Physik Isaac Newtons. Axel Braig wandte sich nach Jahren als Orchestermusiker und Allgemeinarzt erst spät noch einem Philosophiestudium zu.

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Ideen verbesserten die Umstände des Menschseins

Die Umstände des Menschseins verbesserten sich nicht dank eines kosmischen Ereignisses oder eines Geschenks der Götter. Es waren Ideen, die alles veränderten. Ideen, die der wissenschaftlichen Revolution und der Aufklärung zugrunde lagen. Die Rettung der Menschheit aus dem erschütternden Elend ihrer Vorväter kam mit der Anerkennung von Gedankenfreiheit. Ebenso wichtig war die Befreiung von Knechtschaft und Aberglaube. Dazu kam noch die Zerschlagung des kirchlichen Monopols durch das Wissen und die Achtung der Autonomie des Individuums. Nadav Eyal ergänzt: „Die Werte der Aufklärung, darunter Freiheit und Gerechtigkeit, bildeten die Grundstein für den Aufbau sozialer Einrichtungen und den Schutz privaten Eigentums.“ Sie brachten einen erheblichen Fortschritt in die Lebensumstände der Menschen. Nadav Eyal ist einer der bekanntesten Journalisten Israels.

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Das Zauberwort der Aufklärung war Vernunft

Der Mensch des 21. Jahrhunderts glaubt an die Macht der Vernunft, Wissenschaft und Objektivität. Er will das Chaos ordnen und Licht ins Dunkel bringen. Lang ist der Arm Immanuel Kants (1724 – 1804) und der Aufklärung des 18. Jahrhunderts. Rebekka Reinhard konkretisiert: „Immanuel Kant stiftete einst zum selbstständigen Vernunftgebrauch an, zum Hinterfragen überkommener Theorien, Dogmen und Autoritäten.“ Die Freiheit, von der Vernunft öffentlich Gebrauch zu machen, auf die der Philosoph so großen Wert legte, liegt auch heute voll im Trend. Als Immanuel Kant zum Selbstdenken ermutigte, dachte er natürlich nicht an Stammtische oder Facebook-Gruppen, wo jedes „Wir“ andere Probleme und Lösungen durchnudelt. Er hatte vielmehr eine „Weltbürgerschaft“ freier, gleicher, brüderlich gesinnter Geistesmenschen mit Spaß am offenen Meinungsaustausch im Sinn. Die Philosophin Rebekka Reinhard ist seit 2019 stellvertretende Chefredakteurin des Magazins „Hohe Luft“.

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Der spielende Mensch ist der Urtyp der Künstlers

Volker Gerhardt weiß: „Platon erkennt schon in einem seiner frühen Dialoge im spielenden Menschen den Urtypus des Künstlers. Das Spiel und die Kunst stehen in enger Verbindung.“ Das gilt bis hin zu Immanuel Kants Rede vom „freien Spiel“ der Einbildungskraft, die das Erleben des Schönen und Erhabenen ermöglicht. Diese Formulierung beschränkt sich auf das Zusammenwirken von Anschauung und Verstand. Dennoch hat sie Friedrich Schiller zu einer poetischen Definition des Menschen inspiriert, die zum geflügelten Wort geworden ist: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Schon Friedrich Schiller hätte bereits vom homo ludens sprechen können. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Im Organismus ist alles Mittel zum Zweck

Die unverzichtbare Verknüpfung von Zweck und Mittel ist in Immanuel Kants kritischer Ethik nur ein Nebenaspekt. Volker Gerhardt ergänzt: „In seiner Theorie des Lebendigen, die er im zweiten Teil der „Kritik der Urteilskraft“ entwirft, wird sie hingegen zum zentralen Thema. Lebendig ist alles, in dem Ursache und Wirkung in einer derart engen Wechselwirkung stehen, dass sie gegenseitig im Verhältnis von Zweck und Mittel stehen.“ In einem Organismus ist alles Mittel zum Zweck der Erhaltung des Ganzen. Dieses kann man selbst als das Mittel begreifen, das jedem seiner Organe die Existenz und die Funktion ermöglicht. Immanuel Kant war der erste, der diese lebendige Einheit unter den Begriff der „Selbstorganisation“ fasst. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Immanuel Kant postuliert den freien Willen

„Was kann ich wissen?“ Es ist der preußische Philosoph Immanuel Kant, der gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein seinem überaus einflussreichen und revolutionären Werk eine Lösung für diese Frage sucht. Er durchdenkt das Verhältnis zwischen Innen und Außen – Selbstbewusstsein und Äußerlichkeit – auf eine neuartige Weise. Diese sollte sich für die moderne Philosophie als prägend erweisen. Ger Groot erläutert: „Auch Kant, der stark unter dem Einfluss des Werks von Newton und der modernen Naturwissenschaften seiner Zeit steht, geht von einer materiellen Wirklichkeit aus. Von der mechanischen, den Gesetzen der Kausalität unterliegenden Wirklichkeit, von der La Mettrie und die Materialisten des 18. Jahrhunderts ausgingen. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam und ist Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Willensimpulse bestimmen die Glücksdynamik

Die künstliche Intelligenz (KI), die einen Meister des „Go“ Spiels schlug, ist nicht emotional. Emotionalität ist kein irrationales Manko des Menschen, wie viele antike Griechen und manchen Philosophen der Aufklärung, wie beispielsweise Immanuel Kant, meinten. Richard David Precht erläutert: „Ohne unsere Gefühle wüsste unser Verstand überhaupt nicht, was er tun soll. Es sind unsere emotionalen Willensimpulse und ihre Erfüllung, die wesentlich unsere Glücksdynamik bestimmen.“ Künstliche Intelligenzen können Emotionen zwar mit Sensoren erspüren und mimisch und stimmlich imitieren. Aber das macht sie beileibe nicht zu emotionalen Wesen. „Affective Computing“ verhält sich zum Empfinden von Emotionen wie Donald Duck zu einer Stockente. Auch können künstliche Intelligenzen nicht alle menschlichen Gefühle lesen. Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

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Der Gottesglauben dämmert weg

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nabelt sich die philosophische Psychologie von der spekulativen Philosophie ab. Sie entwickelt sich zu einer experimentellen Wissenschaft mit Forschern wie Wilhelm Hundt, William James und Gerard Heymans in Groningen. Ger Groot betont: „Das hat einen prägenden Einfluss auf die Art und Weise, wie die Menschen sich selbst sehen.“ Im Laufe des 19. Jahrhunderts sondert sich das Persönliche und da Religiöse zunehmend voneinander ab. Und die Bedeutung des „einzigartigen Ichs“ wird außerhalb der religiösen Sphäre noch wichtiger und nachhaltiger als in ihr. Das Wegdämmern des Gottesglaubens zehrt nicht am Ich, sondern lässt es erstarken. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam. Zudem ist er Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Alle Zwecke sind auf Mittel angewiesen

Das entscheidende Moment des moralischen Handels liegt in dem durchgängig von allen Beteiligten verfolgten Bemühen, sich wechselseitig durch Leistungen zu verbinden. Diese kann man aus freien Stücken derart erbringen, dass der Begünstigte einen merklichen Vorteil hat. Aber der moralisch Handelnde darf sich dabei nicht selbst in seiner Existenz vernichten. Volker Gerhardt erläutert: „Nur so kann die Freiwilligkeit beider Seiten eingebunden und das niemals bloß als Mittel verständlich gemacht werden.“ Ein Mensch muss sich nicht vom Leben distanzieren, um moralisch zu sein. Im Gegenteil: Er hat auch hier auf die durchgängige Vermittlung von Zwecken und Mitteln zu vertrauen. Zudem muss er wissen, dass alle Zwecke auf Mittel angewiesen sind, damit er sie erreichen kann. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Der Begriff der Identität vereint drei Phänomene

Der moderne Begriff der Identität vereint drei unterschiedliche Phänomene. Das erste ist Thymos, ein universaler Aspekt der menschlichen Persönlichkeit, der sich nach Anerkennung sehnt. Das zweite ist die Trennung zwischen dem inneren und äußeren Selbst. Sie ist verbunden mit der Priorisierung des inneren Selbst gegenüber der äußeren Gesellschaft. Diese Erscheinung bildete sich erst im frühzeitlichen Europa heraus. Das dritte ist ein sich entfaltender Begriff der Würde, nachdem Anerkennung nicht bloß einem engen Zirkel, sondern allen Menschen gebührt. Francis Fukuyama stellt fest: „Durch die Erweiterung und Universalisierung der Würde wird die private Suche nach dem Selbst zu einem politischen Projekt.“ Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Sein Bestseller „Das Ende der Geschichte“ machte ihn international bekannt.

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Der Markt regelt Angebot und Nachfrage

Nicht nur Wirtschaftstheoretiker, sondern auch Philosophen setzen sich für den Wettbewerb ein. In der Neuzeit etwa von Montesquieu über David Hume und Condorcet bis Immanuel Kant. Montesquieu spricht im „Esprit des Lois“ (Geist der Gesetze, 1748) von der zivilisierenden Kraft des „sanften Handels“. Denn dieser löst den Krieg der Leidenschaften durch den Kompromiss zwischen divergierenden Kräften ab. Otfried Höffe ergänzt: „Und nach Kant ist der Mensch dazu bestimmt, alle seine auf den Vernunftgebrauch abzielenden Naturanlagen vollständig zu entwickeln. Das geschieht wiederum außer durch gezielte Förderung mittels eines Wettbewerbs. Denn dieser erweckt „alle Kräfte des Menschen. Er bringt ihn dahin, seinen Hang zur Faulheit zu überwinden und, getrieben durch Ehrsucht, Herrschsucht oder Habsucht, sich einen Rang unter seinen Mitgenossen zu verschaffen“.“ Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Die Hoffnung ist eine Kraftspenderin in der Not

Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 05/2021 handelt von der Hoffnung. Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler schreibt im Editorial: „Keine Revolution, keine Fridays for Future, keine Zukunft gäbe es ohne den festen Glauben an das Gelingen. Die Hoffnung muss sich von der Angst lösen, um Kraft zu entwickeln.“ Positive Erwartungen sind allerdings auch risikobehaftet. Was, wenn das Erhoffte nicht eintritt? Gar alles noch schlimmer kommt? Andererseits gilt: Wenn die Furcht jede Hoffnung im Keim erstickt, gäbe es kein lebenswertes Morgen mehr. Es besteht für viele Menschen kein Zweifel daran, dass die Hoffnung eine Energiequelle ist, eine Kraftspenderin in der Not. Die antiken Stoiker sahen weder in der Hoffnung noch in der Furcht den Weg zu einem gelingenden Leben. Vielmehr rieten sie ab von jeder affektiven Zukunftserwartung und forderten eine vernunftgeleitete Konzentration auf das Hier und Jetzt.

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Der Geist besitzt eine zweiteilige Realität

Der Geist ist ein Zimmer mit Aussicht: Aus dem Zimmer beobachten die Menschen sowohl die Außenwelt als auch die private Innenwelt. David Gelernter erläutert: „Mental sind wir in unserem Zimmer eingeschlossen, genau wie wir physisch in unserem Körper eingeschlossen sind.“ Die Aussicht ist großartig. Und das ist auch sehr gut so, denn die Menschen können das Zimmer niemals verlassen. In der Philosophie drehen sich viele große, tiefgreifende Fragen um die zweiteilige Realität des Geistes. Immanuel Kant stützt seine beiden grundlegenden, ewig wahren Anschauungen auf den Gegensatz von „innerer“ und „äußerer“ Realität. Die Idee des Raumes unterliegt der Anschauung der Außenwelt. Aber noch vor dem Raum kommt die Zeit, und sie ist eine Anschauung der inneren Welt. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.

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John Rawls repräsentiert den neuen Liberalismus

Für den neueren Liberalismus dürfte John Rawls mit seiner „Theory of Justice“ (1971) der herausragende Repräsentant sein. An der unangefochtenen Spitze seiner berühmten Prinzipien der Gerechtigkeit steht eine Variante von Immanuel Kants einschlägigem Prinzip. Otfried Höffe erklärt: „Danach hat jeder das gleiche Recht auf das umfangreichste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das mit demselben Recht aller anderen verträglich ist.“ Dieses Prinzip spricht sich sowohl für die liberalen Freiheitsrechte als auch die demokratischen Mitwirkungsrechte aus. In einem zweiten Prinzip wird es um ein hohes Maß an Sozialstaatlichkeit erweitert. Denn es erlaubt zwar wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten, aber ist nur unter den Bedingungen fairer Chancengleichheit. Um Gerechtigkeit zu garantieren, muss eine zweiten Bedingung hinzukommen. Die entsprechende Wirtschafts- und Sozialordnung soll auch den Schlechtestgestellten zugutekommen. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Der Mensch versucht seine Ursprünge zu ergründen

Was ist der Mensch? Was macht ihn aus? Woher kommt er? Was unterscheidet ihn vom Tier? Wie geht es weiter mit ihm? Der Mensch als einziges Wesen unter den Tieren versucht seit Langem, seine eigenen Ursprünge zu ergründen. Matthias Glaubrecht stellt fest: „Bereits das macht uns zu etwas Besonderen in der Evolution. Religion und Philosophie geben ihre je eigenen Antworten nach unserm Wesen und Werden.“ Die Menschen stellen sich diese eingangs formulierten Fragen, weil sie verstehen wollen, welchen Platz sie in der Natur einnehmen und in welchem Verhältnis sie zu anderen Lebewesen stehen. Wenn die Menschen wissen, woher sie kommen, verstehen sie besser, welche Rolle Natur und Umwelt für sie wirklich spielen und welche Rolle ihnen darin zukommt. Matthias Glaubrecht ist Evolutionsbiologe, Systematiker und Wissenschaftshistoriker.

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Das Gewissen ist ein „innerer Richter“

Es gibt vier Kriterien des Gewissens: Erstens kommt es aus dem Inneren des Menschen heraus. Zweitens geht es um Ethik beziehungsweise Moral. Drittens verschafft es sich Geltung und hat einen Anspruch. Viertens ist es eine Richtschnur für richtiges und gutes Beurteilen und Handeln. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, wo das Gewissen herkommt und worauf es sich begründet. Es gibt verschiedene Begründungen. Klaus-Peter Hufer erläutert: „Nach der christlichen Religion ist das Gewissen den Menschen gegeben, muss vor Gott gerechtfertigt werden und kann auch von ihm erbeten werden.“ Es gibt Überschneidungen zu den Vorstellungen von Philosophen darüber, was das Gute und Böse unterscheidet und wie demgemäß zu handeln ist. Klaus-Peter Hufer promovierte 1984 in Politikwissenschaften, 2001 folgte die Habilitation in Erziehungswissenschaften. Danach lehrte er als außerplanmäßiger Professor an der Uni Duisburg-Essen.

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Die Kunstfreiheit gehört zur Demokratie

Martin Heideggers Ansicht, in der Kunst könne die für das Dasein des Menschen entscheidende Wahrheit geschehen, mag mit „Nein“ beantwortet werden, zumal die Kunst sich selbst zum Problem geworden ist. Für die Frage nach dem Freiheitsrang und Freiheitswerk der Kunst genügt laut Otfried Höffe die weit bescheidenere Annahme, die Kunst sei nicht belanglos geworden. Heutzutage hält man die Kunstfreiheit für ein selbstverständliches Recht, weshalb man gegen deren Nichtanerkennung protestieren muss und Staaten, in denen die Kunst systematisch unterdrückt wird, als Unrechtsstaaten kritisiert. Obwohl es zutrifft, dass die Kunstfreiheit zu den unverzichtbaren Elementen konstitutioneller Demokratien gehört, ist sie aber als Grundrecht relativ jung. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Viele Menschen glauben an eine Führerfigur

Im Unterschied zur traditionellen Auffassung, dass Autorität in Gott begründet liegt, sowie in Immanuel Kants Überzeugung, dass der Mensch selbstständig denken muss, glauben viele Menschen, dass Autorität am besten von einer Führerfigur ausgehen sollte. Paul Verhaeghe stellt fest: „Den Glauben an einen großen Anführer, der aufgrund seiner natürlichen Eigenschaften (er ist weise und gerecht) die Befehlsgewalt erwirb oder zumindest bekommt, gab es zu allen Zeiten.“ Die Idee geht zurück auf Platons Philosophenkönig, doch der wichtigste Impuls ging von Thomas Hobbes aus. Nach ihm legt Jean-Jaques Rousseau eine sehr eigene Interpretation des Gedankens vor. Und in Deutschland plädierte zu Beginn des vorigen Jahrhunderts seinerseits Max Weber für eine charismatische Führerschaft. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

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Jeder Mensch sollte selber denken

Die kosmopolitische Erziehung findet laut Immanuel Kant in vier Stufen statt. Sie beginnt erstens mit einer Vorstufe, der Disziplinierung, setzt sich in zwei Hauptstufen, zweitens der Kultivierung und drittens der Zivilisierung, fort. Sie endet viertens in der entscheidenden, eben kosmopolitischen Erziehung, die auf die Moral abzielt. Otfried Höffe erklärt: „Dass Immanuel Kant die Erziehung letztlich auf die Moral ausrichtet, wird man von ihm, dem großen Moralphilosophen, erwarten. Bemerkenswerter sind daher die anderen drei Stufen. Diejenige der Erziehung will er nicht auf eine einzige Aufgabe, die Moral, verpflichten: Lediglich ein Moralwesen soll der Mensch nicht werden.“ Um Missverständnissen der zweiten Stufe zu entgehen, ist Immanuel Kants engerer Begriff der Kultivierung zu beachten. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Ein Verbrechen muss nicht verziehen werden

Die Philosophin Hannah Arendt schrieb 1953 in ihrem Aufsatz „Verstehen und Politik“: „Verstehen ist eine nicht endende Tätigkeit. Durch diese begreifen wir Wirklichkeit. In ständigem Abwandeln und Verändern, begreifen und versöhnen uns mit ihr. Das heißt, durch die wir versuchen, in der Welt zuhause zu sein.“ Manche Menschen versuchen die Bedingungen eines Verbrechens oder einer unmoralischen Handlung nachzuvollziehen. Dadurch bekommen sie wie Svenja Flaßpöhler salopp formuliert, wieder Boden unter ihre Füße. Zuerst schien die Welt gänzlich aus den Fugen geraten zu sein. Jetzt steht ihnen nicht mehr fremd, gar teuflisch gegenüber. Sondern sie ist jetzt der Rationalität zugänglich. Svenja Flaßpöhler erklärt: „Verstehen heißt, Zusammenhänge herzustellen, Kausalketten zu erkennen.“ Doch, so ergänzt Hannah Arendt, ein solches Verstehen zieht nicht notwendigerweise ein Verzeihen nach sich. Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und stellvertretende Chefredakteurin des „Philosophie Magazin“.

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Friedrich Schiller setzt auf das Erhabene

Ger Groot weiß: „Wie viele Denker seiner Generation, versucht auch Friedrich Schiller, Immanuel Kant weiterzudenken.“ Für den Romantiker, der er ist, ist es bedeutsam, dass er dabei Immanuel Kants Idee des Erhabenen mehr Beachtung schenkt als dem Schönen. Das Schöne ist der klassische Gegenstand der Ästhetik. In seiner Schrift „Über das Erhabene“ schreibt Friedrich Schiller: „Das Überwältigende in der Natur wird das Milieu, in dem der Mensch die Unendlichkeit, in die er sich hineingestellt sieht, erfährt.“ Diese Unendlichkeit übersteigt seine Vernunft und erschüttert ihn zutiefst in seinem Wesen. Sie schleudert den Menschen aus dem begrenzten Horizont seines alltäglichen Lebens heraus. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam. Zudem ist er Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Die Demokratie braucht mündige Bürger

Die Demokratie ist die einzige Organisationsform, die den mündigen Bürger braucht. Für Theodor W. Adorno war die Forderung nach Mündigkeit in einer Demokratie selbstverständlich. Ulf Poschardt stellt fest: „Damit versteht er Politik eben auch als etwas, das nicht Populisten, Sentimentalisten, Panikpredigern und Opportunisten überlassen werden darf.“ Theodor W. Adornos Verneigung vor Immanuel Kant fällt tief aus. Der Dialektiker der Aufklärung scheint 1969 von der Aktualität des Denkers aus Königsberg beeindruckt. Der Philosoph, noch ganz ergriffen oder traumatisiert von den radikalen Bürgerkindern von 1968, beschreibt die Demokratie als ein Ereignis freier Willensbildung. „Soll dabei nicht Unvernunft resultieren, so sind die Fähigkeit und Mut jedes einzelnen, sich seines Verstandes zu bedienen, vorausgesetzt“, erklärt Theodor W. Adorno. Seit 2016 ist Ulf Poschardt Chefredakteur der „Welt-Gruppe“ (Die Welt, Welt am Sonntag, Welt TV).

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Autoritäre und totalitäre Regime sind paternalistisch

Der amerikanische Rechtsphilosoph Joel Feinberg schrieb ein maßgebliches Werk über die Rechtfertigungen für die Einschränkung der Redefreiheit durch das Strafrecht. Für Timothy Garton Ash ist sein Buch eine gute Grundlage, um darüber nachzudenken, mit welchen Mitteln, vom härtesten Gesetz bis zur weichsten Norm, die freie Meinungsäußerung legitimerweise beschränkt werden darf. Die ersten vier Rechtfertigungen, denen er je einen ganzen Band widmet, lauten: Schaden für andere, Beleidigung anderer, Schaden für die eigene Person und harmloses Fehlverhalten. Joel Feinberg beschreibt Versuche, die beiden Letzteren vom gesetzlichen Paternalismus und gesetzlichem Moralismus abzugrenzen. Gesetzlicher Paternalismus bedeutet, dass sich der Staat wie ein Vater zu seinen Kindern verhält und versucht, seine Bürger davon abzuhalten, sich selbst zu schaden. Der britische Zeitgeschichtler Timothy Garton Ash lehrt in Oxford und an der kalifornischen Stanford University.

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Alle Menschen besitzen die gleiche Würde

Martin Luther, Jean-Jacques Rousseau, Immanuel Kant und Georg Wilhelm Friedrich Hegel hatten unterschiedliche Vorstellungen von Würde. Aber alle waren Universalisten. Denn sie glaubten an die Gleichheit der Würde aller Menschen aufgrund ihres Potenzials für innere Freiheit. Francis Fukuyama ergänzt: „Indes nimmt das Verlangen nach Anerkennung häufig eine speziellere Form an und konzentriert sich auf die Würde einer bestimmen Gruppe, die marginalisiert oder missachtet worden ist.“ Im Lauf der Geschichte verstanden viele Menschen das innere Selbst, das sichtbar gemacht werden musste, nicht als Teil aller Erdenbürger. Sondern sie betrachteten es als Teil einer spezifischen Person mit genau definierter Herkunft und ebensolchen Bräuchen. Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Sein Bestseller „Das Ende der Geschichte“ machte ihn international bekannt.

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Wissen war mit einem Erlebnis verbunden

Wissen ist eine Ressource der Klugheit. Das Wissen, das man sich angeeignet hat, dient dazu innere Bilder und äußere Eindrücke zu sichten und Schlussfolgerungen zu ziehen. Um kluge Schlüsse zu ziehen, muss der Mensch sein Wissen verinnerlichen. Die mündliche Überlieferung von Wissen war und ist hierbei wahrscheinlich von Vorteil. Allan Guggenbühl erklärt: „Das Wissen wurde memoriert und in eindrücklichen, wenn auch möglicherweise langweiligen Zeremonien weitergegeben. Folge war, dass sich die Menschen viel Wissen aneigneten. Sie kannten die Sprüche und Bilder auswendig, sodass sie beim Denken spontan auf sie zurückgreifen konnten.“ Ein weiterer Vorteil der mündlichen Vermittlung war, dass Wissen mit einem Erlebnis verbunden war. Allan Guggenbühl ist seit 2002 Professor an der Pädagogischen Hochschule Zürich tätig. Außerdem fungiert er als Direktor des Instituts für Konfliktmanagement in Zürich.

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