Anfang des Jahres 2020 bestätigte ein britisches Gericht, dass der Veganismus ein religiöser oder philosophischer Glaube sei. Konrad Paul Liessmann stellt fest: „Einmal davon abgesehen, dass sich die meisten philosophischen Denkrichtungen dagegen verwehren würden, einer religiösen Haltung gleichgesetzt zu werden, kann man diese Entscheidung als Erhärtung eines lange gehegten Verdachts auffassen.“ Während klassische Religionen auch Ernährungsvorschriften kennen, werden heute Ernährungsvorschriften selbst zu Religionen. Was aber ist damit gewonnen? Was will man erreichen, wenn man Verrichtungen des alltäglichen Lebens mit einer Aura des Heiligen umgibt? Die Antwort scheint klar: Es geht darum, den Sonderstatus, den religiösen Gefühle und Einstellungen gerade in säkularen Gesellschaften genießen, für seine eigenen Ansichten und Vorlieben zu erlangen. Konrad Paul Liessmann ist Professor emeritus für Philosophie an der Universität Wien, Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist.