Die Erfahrung ist ein trügerisches Phänomen

Von Erfahrung und Erfahrungen ist heute in allen Bereichen des Lebens die Rede: Menschen machen Erfahrungen, sammeln sie, versuchen aus ihnen zu lernen, und sich an ihnen zu orientieren. Sie wünschen aus Erfahrung klug, möglicherweise sogar weise zu werden. Sie berufen sich auf ihre Erfahrungen, um ihre Behauptungen zu begründen und um fremde Autoritäten infrage zu stellen. Gleichwohl handelt es sich bei dem Wort „Erfahrung“ um eines der trügerischsten in der ganzen Philosophie, wie Alfred North Whitehead einmal bemerkte. Was es bezeichnet, erscheint einem zwar zunächst unmittelbar vertraut und leicht begreiflich. Versucht man jedoch, Erfahrungen begrifflich und theoretisch zu erfassen, gerät man schnell in Schwierigkeiten und Verwirrung. Trotz einiger Bemühungen, die seit der Aufklärung an Zahl und Intensität zugenommen haben, scheint der Terminus bis heute zu den unaufgeklärtesten Begriffen zu gehören, die es gibt.

Weiterlesen

Peergroups verleihen Jugendlichen ein Gefühl der Sicherheit

Jeder Mensch sucht Bindung und Beziehung, er braucht sie, um ein sinnerfülltes Leben zu führen. Martina Leibovici-Mühlberger erklärt: „Das Ich entwickelt sich an der Grenzlinie zum Du, allein schon deswegen, weil der ganze biologische Apparat unserer Wahrnehmung auf der Feststellung von Unterschieden besteht.“ In der Regel braucht man dafür andere Menschen oder in Notzeiten, wenn der Kontakt mit anderen Menschen rar ist oder gefährlich erscheint, zumindest ein Tier, mit dem man in engen Austausch treten kann. Nur wenige Menschen schaffen es, sich ausschließlich einer abstrakten Idee hinzugeben und trotzdem in echter Lebensbalance zu bleiben. Wenn ein Jugendlicher seinen Freundeskreis, seine Clique oder seine Peergroup hat, so definiert sich das in erster Linie durch ein Gefühl von Zugehörigkeit zu diesem Kreis und durch Abgrenzung gegenüber dem Rest der Welt. Die Ärztin Martina Leibovici-Mühlberger leitet die ARGE Erziehungsberatung Fortbildung GmbH, ein Ausbildungs-, Beratungs- und Forschungsinstitut mit sozialpsychologischem Fokus auf Jugend und Familie.

Weiterlesen

Die Aufklärung will die Moral reformieren

Wie auf anderen Gebieten, so versteht sich die Aufklärung auch auf dem der Moral als eine Bewegung der Reform. Unzufrieden mit der herrschenden Moralität sowohl der Individuen als auch der gesellschaftlichen Institutionen sucht sie nach Möglichkeiten der praktischen Verwirklichung eines neuen Typs von Moral. Dieser sollte naturgemäßer, vernünftiger und nützlicher sein als der überkommene. Zu diesem Zweck werden soziale, ökonomische und politische Reformprogramme ausgearbeitet, vor allem eine Vielfalt von Erziehungskonzepten, in denen die Festigung und Verbesserung der Tugend zu den zentralen Zielen gehört. Aus demselben Grund werden neue Formen bürgerlicher Gesellschaft wie das Kaffeehaus, neue Formen der Organisation wie Freimaurerlogen und patriotischen Gesellschaften sowie neue Formen der Publikation wie Zeitschriften und Enzyklopädien genutzt und entwickelt. Besonderes Augenmerk gilt der medialen Verbreitung ihrer Ideen.

Weiterlesen

Erfindungen fördern die Bewegung der Aufklärung

Die Bewegung der Aufklärung wurde beflügelt durch die großen Erfindungen der Neuzeit wie Buchdruck, Seekompass, Schiffsuhr, Fernglas, Mikroskop und so weiter. Diese Innovationen trugen direkt oder indirekt zur Verbesserung der Erfahrungserkenntnis bei. Entdeckungsreisen erweiterten die Kenntnis der Erde und der auf ihr lebenden Menschen, Tiere und Pflanzen in ungeheurem Ausmaß. Die Weltumsegelungen von James Cook, der von 1728 bis 1779 lebte, bildeten das eindrucksvollste Beispiel. Sein wissenschaftlicher Begleiter Georg Forster schrieb: „In einem gleichen Zeitraum hat niemand je die Grenzen unseres Wissens in gleichem Maße erweitert.“ Mithilfe von Fernrohr und Mikroskop eröffneten sich neue Makro- und Mikrowelten. Die Grenzen dieser Instrumente ließen aber auch ahnen, wie viele Dinge im Universum weiter verborgen bleiben müssen. Eine besondere Leitbildfunktion hatte die wissenschaftliche Revolution des 17. Jahrhunderts.

Weiterlesen

Die Philosophie prägt das Selbstverständnis des 18. Jahrhunderts

Schon den Zeitgenossen gilt das 18. Jahrhundert als das philosophische. Dass die Philosophie das Selbstverständnis eines Zeitalters maßgeblich prägen kann, sagt etwas über ihren wachsenden Anspruch auf öffentliche Wirksamkeit aus. Darin spiegelt sich der Versuch wider, die Gesellschaft, die Moral und das komplette Wissen der Zeit mithilfe der Vernunft rational abzusichern und sie auf vernünftigen Grundlagen neu zu entwickeln. Nicht zuletzt manifestiert sich in diesem Anspruch auch das Selbstbewusstsein einer neuen Elite von Intellektuellen, die sich aus religiösen und staatlichen Abhängigkeiten und Bevormundungen zu lösen beginnt und sich machtvoll als Vordenker und Sprachrohr dessen begreift, was sich seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert als öffentliche Meinung herausbildet. Teile der intellektuellen Eliten treten aus ihren ständischen Bindungen und aus ihren alten Funktionszusammenhängen heraus.

Weiterlesen

Die Macht der Einbildung ist sehr groß

Die menschliche Einbildung verfügt über große Macht. Alles, was ein Mensch tun will oder getan haben könnte, vermag er sich im Geiste lebhaft durchzuspielen. Oft kommt es dann einem so vor, als hätte man etwas tatsächlich getan. Falsche Erinnerungen sind ein unvermeidliches Nebenprodukt der menschlichen Vorstellungsgaben. Wer das verstehen will, muss sich ansehen, wie das Gehirn funktioniert. Ob sich jemand ein Geschehen erinnert oder es nur fantasiert, macht kaum einen Unterschied. In beiden Fällen setzen sich verstreute Fragmente aus dem Gedächtnisspeicher zu einer neuen, möglichst stimmigen Szenerie zusammen. Auch die reine Fantasie entsteht aus dem, was dieser Speicher hergibt. Deshalb sind bloße Fantasien und echte Erinnerungen so leicht zu verwechseln. Beides schöpft der Mensch aus seinem Gedächtnisvorrat, und beides gelingt ihm ähnlich gut.

Weiterlesen

Die Aufklärung drängt den Adel schrittweise in die Defensive

Das 17. Jahrhundert war in vielen europäischen Ländern eine Epoche der Rearistokratisierung der Gesellschaft und Kultur. Im Zeitalter des Barock vermochte der Adel seine kulturelle Hegemonie wiederherstellen. Die große Bedeutung der Höfe als kulturelle Zentren leistete dazu ebenso einen Beitrag wie der Umstand, dass die Aristokratie ihr eigenes Bildungsprogramm entwickelte. Dabei lag die Betonung auf den modernen Sprachen und zum Teil auch der Mathematik. Aber auch die körperlichen Fertigkeiten wie Reiten, Fechten und Tanzen wurden trainiert. Der vielseitig gebildete Aristokrat, der die Kunst der Konversation vollendet beherrschte und dem ästhetische Probleme ebenso vertraut waren wie literarische Fragen, wurde, ähnlich wie der Gentleman in England, das sie Selbstinszenierung der adligen Eliten in weiten Teilen Europas prägte. Politisch war das 17. Jahrhundert in Frankreich ebenso wie in Mittel- und Nordeuropa durch die Stärkung der monarchischen Herrschaft gekennzeichnet, die den Einfluss der adligen ständischen Vertretungen zurückdrängte.

Weiterlesen

Selbstbild und innere Zensur entstehen durch Nachahmung

Menschen sind Wesen, die über ein Selbstbild verfügen. Sie haben eine Vorstellung davon, wer sie sind und wie sie sein möchten. Damit ist verbunden, dass sie nicht alles, was es an Gedanken, Wünschen und Affekten in ihnen gibt, in ihr Handeln einfließen lassen. Einigen versperren sie sogar den Zugang zum Erleben. Peter Bieri erläutert: „Subjekte sind Wesen, die in ihren Impulsen zensieren und kontrollieren können. Darin besitzen sie eine Form der inneren Autorität. Und auch das ist eine Dimension, in der es Selbstständigkeit und Unselbstständigkeit gibt, Würde und Würdelosigkeit.“ Was die Menschen an Selbstbildern und Zensur mit sich herumtragen, haben sie ursprünglich durch Nachahmung und Erziehung erworben.  Peter Bieri, geboren 1944 in Bern, studierte Philosophie und Klassische Philologie und lehrte als Professor für Philosophie in Bielefeld, Marburg und an der Freien Universität Berlin.

Weiterlesen

Nur wenige können ihre Lebensphilosophie klar formulieren

Der Soziologieprofessor Gerhard Schulze erklärt: „Das Wissen um die normativen Botschaften stilistischer Elemente bleibt im Alltagsleben fast immer unterhalb der Ebene des Bewusstseins und des expliziten sprachlichen Ausdrucks. Im Stil werden Lebensphilosophien zur unterschwellig gespürten Atmosphäre.“ Er spricht damit die unbewussten Imitationen an, die alle Menschen vollführen. Rotraud A. Perner ergänzt: „Außer wir üben uns in Selbstwahrnehmung, dann fällt einem oft auf, wen man gerade nachspielt.“ Gerhard Schulze fährt fort: „Stilsyndrome wie Rocker, Alternative, Familienväter, Hausfrauen, Emanzen, Bankangestellte, Yuppies oder aus der Mode gekommene Figuren wie Hippies, 68er, Halbstarke, Salonlöwen – sie alle haben auch die Bedeutung verschiedener Lebensphilosophien.“ Rotraud A. Perner ist Juristin, Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin und absolvierte postgraduale Studien in Soziologie und evangelischer Theologie. Eines ihrer aktuellen Bücher heißt „Die reuelose Gesellschaft“ und ist im Residenz Verlag erschienen.

Weiterlesen

Das schlechte Gewissen ist die Angst vor dem Liebesverlust

Wenn sich eine Gesellschaft verändert, unterliegt auch die Gefühlskultur einem Wandel. Ulrich Greiner erklärt: „Zwar ist das Schamgefühl generell ein Merkmal menschlicher Zivilisation, doch seine Empfindlichkeit und die Anlässe seiner Erregung bleiben abhängig vom jeweiligen historischen und sozialen Umfeld.“ Die Wissenschaft hat versucht, diese Felder begrifflich zu fassen und sie einer „Schamkultur“ oder einer „Schuldkultur“ … Weiterlesen

Peter Bieri erkundet die rätselhafte Welt der Affekte

Affekte können die Menschen nicht einfach anstellen und abstellen. Sie sind nicht frei verfügbar. Die Menschen können sich aber fragen, ob ihre Affekte einer Situation angemessen sind, ob sie zu einer Begebenheit und ihrer Geschichte passen. Denn man möchte nicht von Affekten bestimmt und getrieben werden, die jeder Grundlage entbehren. Denn dann würden die Affekte wie ein Gefängnis erscheinen. Die Menschen möchten in ihren Affekten nicht das Opfer von lauter Irrtümern sein. Peter Bieri erläutert: „Vielleicht könnte man von einer Autorität im Empfinden sprechen: Wir möchten sicher sein, dass wir angemessen empfinden. Und wir können etwas für diese Autorität tun, was auf der Selbstständigkeit im Beurteilen beruht: uns über den wirklichen oder irrtümlichen Anlass der Affekte Gewissheit verschaffen.“ Peter Bieri, geboren 1944 in Bern, studierte Philosophie und Klassische Philologie und lehrte als Professor für Philosophie in Bielefeld, Marburg und an der Freien Universität Berlin.

Weiterlesen

Die Armut und die Abhängigkeit unterscheiden sich fundamental

Der amerikanische Sozialpolitiker Daniel Patrick Moynihan stellt fest: „Arm u sein ist eine objektive, abhängig zu sein, auch eine subjektive Bedingung.“ Damit meint er, dass Armut für den Betroffenen kein Grund zur Scham sein muss, vor allem dann nicht, wenn er keine Vergleichsmaßstäbe besitzt, also nur von Menschen seinesgleichen umgeben ist, oder wenn er mit denjenigen, deren besseres Los er zu Gesicht bekommt, keinesfalls konkurrieren möchte. Ulrich Greiner nennt ein Beispiel: „Im Märchen möchte der Arme zwar reich werden, doch seiner Armut schämt er sich nicht. Sie ist eine objektive Bedingung, die er allerdings loswerden möchte, weil sie Not und Entbehrung bedeutet. Ulrich Greiner war zehn Jahre lang der Feuilletonchef der ZEIT. Als Gastprofessor lehrte er in Hamburg, Essen, Göttingen und St. Louis. Außerdem ist er Präsident der Freien Akademie der Künste in Hamburg.

Weiterlesen

In fast jeder Organisation bestimmt die Macht den Alltag

Der Mensch und die Macht, das kann mitunter ein sehr schwieriges und kompliziertes Verhältnis sein. Sie kann Wunder bewirken und man braucht sie, um etwas zu gestalten oder zu bewegen. Doch die Macht ist oft flüchtiger, als derjenige glaubt, der sie zu besitzen meint. Sie ist wie das Aufputschende im Kaffee, kann ihren Besitzer beflügeln und ihm ungeahnte Kräfte verleihen. Aber sie kann auch einsam oder süchtig machen. Jeder, der andere Menschen führt, hat schon diese Erfahrung machen müssen. Die Kunst besteht darin, die Macht mit Umsicht einzusetzen. Denn eines vergessen viele Menschen, wen sie einmal in eine Machtposition gelangt sind, allzu schnell: Macht ist in der Regel nur auf Zeit geliehen. Und schon gar nicht in Deutschland hat die Macht einen guten Ruf.

Weiterlesen

Der Politologe Ernst Fraenkel analysiert die Idee des Volkswillens

Ernst Fraenkel definiert die Repräsentation des Volkes wie folgt: „Repräsentation ist die rechtlich autorisierte Ausübung von Herrschaftsfunktionen durch verfassungsmäßig bestellte, im Namen des Volkes, jedoch ohne dessen bindenden Auftrag handelnde Organe eines Staates oder sonstigen Trägers öffentlicher Gewalt, die ihre Autorität mittelbar oder unmittelbar vom Volk ableiten und mit dem Anspruch legitimieren, dem Gesamtinteresse des Volkes zu dienen und dergestalt dessen wahren Willen zu vollziehen.“ Ein idealtypisches repräsentatives Regierungssystem geht laut Ernst Fraenkel von der These eines vorgegebenen und objektiv feststellbaren Gesamtinteresses und der Hypothese aus, dass der Wille des Volkes auf die Förderung des Gesamtinteresses gerichtet sei. Man nennt dies den hypothetischen Volkswillen. In der politischen Realität allerdings ist jedes Repräsentativsystem bestrebt, den Ansichten der Volksmehrheit Rechnung zu tragen, soweit sich dies mit der Förderung des Gemeinwohls in Einklang bringen lässt.

Weiterlesen

Peter Bieri stellt Formen der fürsorglichen Bevormundung vor

Menschen können von anderen Menschen bevormundet werden. Ob daraus eine Gefahr für die Würde hervorgeht, hängt laut Peter Bieri davon ab, welche Absicht dahintersteckt und ob der Eingriff in den Freiheit des anderen verständlich und gerechtfertigt erscheint. Es hängt auch davon ab, wie es um den Willen desjenigen steht, über dessen Kopf hinweg Entscheidungen getroffen werden. Es kann auch sein, dass es in der Sache, über die entschieden werden muss, noch gar keinen Willen gibt. Peter Bieri nennt als Beispiel Kinder, die in einer folgenreichen Angelegenheit noch keinen ausgeprägten, gefestigten Willen und keine Autorität haben. Peter Bieri, geboren 1944 in Bern, studierte Philosophie und Klassische Philologie und lehrte als Professor für Philosophie in Bielefeld, Marburg und an der Freien Universität Berlin.

Weiterlesen

In der Aufklärung soll der Verstand den Aberglauben besiegen

Theodor W. Adorno und Max Horkheimer vertreten die Auffassung, dass seit jeher die Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt hat, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Das Programm der Aufklärung war in den Augen der beiden Sozialforscher allerdings auch die Entzauberung der Welt. Die Aufklärung wollte die Mythen auflösen und Einbildung durch Wissen ersetzen. Schon Francis Bacon, der Vater der experimentellen Philosophie, verachtet die Adepten der Tradition, die zuerst glauben, dass andere wissen, was sie nicht wissen. Und anschließend, dass sie selbst wissen, was sie nicht wissen. Leichtgläubigkeit, Widerwille gegen den Zweifel, Unbesonnenheit im Antworten, Prahlerei mit Bildung und die Scheu zu widersprechen haben die glückliche Ehe des menschlichen Verstandes mit der Natur der Dinge verhindert.

Weiterlesen

Bei Abhängigkeit durch inneren Zwang spricht man von Hörigkeit

Wenn es einem Menschen nicht gelingt, das Wollen durch das Urteilen zu lenken, ungeliebte Affekte unter seiner Kontrolle zu behalten und über die innere Zensur der eigene Regisseur zu sein, wird er sich ohnmächtig fühlen. Manchmal spricht man in einem solchen Fall auch von Demütigung. Aber zum Beispiel die Ohnmacht eines Süchtigen ist nicht von sich aus schon eine Demütigung. Denn es gibt hier keinen Akteur, er ihn die Ohnmacht genussvoll spüren lässt. Peter Bieri erläutert: „Zu einer Demütigung wird eine innere Unfreiheit erst dadurch, dass sie uns von jemandem abhängig macht. Nicht nur, dass wir gegen das zwanghafte Bedürfnis nicht ankommen – wir hängen auch noch vom Willen und der Willkür desjenigen ab, der es befriedigen kann.“ Peter Bieri, geboren 1944 in Bern, studierte Philosophie und Klassische Philologie und lehrte als Professor für Philosophie in Bielefeld, Marburg und an der Freien Universität Berlin.

Weiterlesen

Die Menschen lernen in erster Linie von ihren Vorbildern

Das Wissen und Können eines Menschen beruht auf der Dichte der Verschaltungen seiner neuronalen Netzwerke, da jeder Lernprozess eine Vielzahl neuer Verknüpfungen schafft, die durch Übung verfestigt werden. Rotraud A. Perner nennt als Beispiele das Erlernen der Muttersprache, oder von Fremdsprachen, Musikinstrumenten, Sportarten, aber auch für das sich aneignen der sozialen Handlungsmuster. Und die Menschen lernen in erster Linie von ihren Vorbildern, wobei Rotraud A. Perner die medialen ausdrücklich dazuzählt. In seiner phallischen Phase fragt das Kind nach den Geschlechtsunterschieden, nach körperlichen Verschiedenheiten, die ihm zu dieser Zeit auffallen. Rotraud A. Perner ist Juristin, Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin und absolvierte postgraduale Studien in Soziologie und evangelischer Theologie. Ihr aktuelles Buch heißt  „Die reuelose Gesellschaft“ und ist im Residenz Verlag erschienen.

Weiterlesen

Der Mensch kann auf die Erfüllung eigener Wünsche verzichten

Die Interessen anderen können für einen Menschen ein Grund sein, etwas zu tun oder zu lassen. Dies ist ein Kennzeichen moralischen Handelns und der Kern moralischer Rücksichtnahme und Achtung. Diese Einstellung und dieses Muster des Handelns machen einen Teil der menschlichen Würde aus. Peter Bieri erklärt: „Auf die Erfüllung eigener Wünsche zugunsten anderer verzichten: Das können nur Wesen, die zu sich einen bewertenden inneren Abstand, eine kontrollierende Distanz haben, wie sie Subjekte auszeichnet.“ Es handelt sich dabei um Wesen, die nicht als Getriebene wehrlos dem Diktat der eigenen Wünsche ausgeliefert sind. Peter Bieri, geboren 1944 in Bern, studierte Philosophie und Klassische Philologie und lehrte als Professor für Philosophie in Bielefeld, Marburg und an der Freien Universität Berlin.

Weiterlesen

Der außengeleitete Mensch ist extrem peinlichkeitsanfällig

In den modernen Gesellschaften ist die Vielfalt kultureller Verhaltensnormen ein zwiespältiges Phänomen. Einerseits ermöglicht eine Relativierung der jeweiligen Normen, denn erst heute können Normen in größerem Umfang überhaupt als Konvention aufgefasst werden, nämlich in das eigene Belieben gestellt, andererseits führt sie gleichzeitig zu einer größeren Unsicherheit im Verhalten. Die Philosophin Hilge Landweer zieht daraus den Schluss, dass aus dieser Unsicherheit heraus, die allermeisten Menschen Strategien zur Schamvermeidung nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere praktizieren. Der Soziologe David Riesman erklärt in seinem Buch „Die einsame Masse“, wie es dazu kommt, dass Normen, obwohl als Konvention verstanden, ins eigene Belieben gestellt werden können. David Riesman stellt in seinem Werk drei verschiedenen Charaktere vor: den traditionsgeleiteten, den innengeleiteten und den außengeleiteten Typus.

Weiterlesen

Religionen trugen wesentlich zur Einigung der Menschheit bei

Religion gilt heutzutage als Inbegriff der Ausgrenzung, Streit und Hass. Doch laut Yuval Noah Harari war die Religion die dritte große Kraft, die zur Einigung der Menschheit beitrug. Da alle Gesellschaftsordnungen von den Menschen erfunden worden sind, sind sie zerbrechlich – und je größer eine Gesellschaft, desto fragiler ist sie. Den Religionen kam eine zentrale Aufgabe zu, weil sie diese zerbrechlichen Gefüge legitimierten, indem sie auf einen übermenschlichen Willen verwiesen. Yuval Noah Harari erläutert: „Die Religionen behaupten nämlich, dass unsere Gesetze nicht etwa einer menschlichen Laune entspringen, sondern von einer absoluten Autorität angeordnet wurden. Auf dieser Grundlage lassen sich einige Prinzipien formulieren, die nicht in Zweifel gezogen werden können und der Gesellschaft ein stabiles Fundament geben.“ Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

Weiterlesen

Rechte tragen zur Würde im Sinne der Selbstständigkeit bei

Rechte sind für Peter Bieri ein Schutzwall gegen die Abhängigkeit, die durch Willkür entsteht. Damit tragen die Rechte zur Würde des Menschen im Sinne der Selbstständigkeit bei. Wer Rechte besitzt, kann Ansprüche geltend machen. Er muss nicht darum bitten, dass er etwas tun darf oder man etwas für ihn unternimmt. Peter Bieri fügt hinzu: „Er kann es einfordern und einklagen. Er ist auf niemandes Wohlwollen angewiesen. Man kann ihn nicht, wie einen Rechtlosen, herumschubsen.“ Wenn ein Mensch ein Recht auf etwas besitzt, so entspricht ihm eine Pflicht seiner Mitmenschen, etwas für ihn zu tun oder zu unterlassen. Peter Bieri studierte Philosophie und Klassische Philologie und lehrte als Professor für Philosophie in Bielefeld, Marburg und an der Freien Universität Berlin.

Weiterlesen

Eine Beziehung zum Leben kann sehr unterschiedlich ausfallen

Aus der Sicht eines einzelnen Menschen ist das Leben weit mehr als nur ein Augenblick. Am Anfang scheint sich sein Dasein endlos hinzuziehen, bevor das Ende des Seins dann doch viel zu schnell naht. In der langen Zeit dazwischen kommt es immer wieder vor, dass ein Mensch zuweilen die Beziehung zu seinem Leben verliert. Manchmal durchirren Individuen ihr Leben, und der jeweils aktuelle Irrtum erscheint ihnen als Wahrheit. Wichtiger als eine letzte Wahrheit ist für Wilhelm Schmid wohl die sogenannte Lebenswahrheit, mit der ein Mensch sein Leben führt: „Sie ist abhängig von seiner Haltung zum Leben, die wiederum mit seiner Deutung, seiner Vorstellung von der Bedeutung oder Bedeutungslosigkeit des Lebens zu tun hat. Eine Beziehung zum Leben entsteht auf diese Weise oder kommt gar nicht erst zustande.“ Wilhelm Schmid lebt als freier Autor in Berlin und lehrt Philosophie als außerplanmäßiger Professor an der Universität Erfurt.

Weiterlesen

Cormac McCarthy ist der apokalyptische Reiter der Literatur

Unter Literaturkennern galt Cormac McCarthy lange Zeit als der beste unbekannte amerikanische Schriftsteller. Wenn er über seine Heimat schreibt, gebiert er im Kopf seiner Leser die phantastischen Landschaften des Westens der USA. Doch seine grandiosen Geschichten spielen stets in der Abendröte des Untergangs. Einem größeren Publikum wurde der Autor, der in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag feiert, erst durch seine fünften Roman „All the Pretty Horses“ bekannt. Inzwischen ist Cormac McCarthy vor allem berühmt für seinen nahezu unerschöpflichen Wortschatz. Allein in seinem Roman „Suttree“ gibt es 4.567 Worte, die in keinem seiner anderen Werke vorkommen. Corman McCarthy hat den National Book Award und den Pulitzerpreis gewonnen. Dennoch verweigert sich der inzwischen berühmte Autor der Öffentlichkeit. In seinem ganzen Leben hat er nur drei Interviews gegeben, eines davon als TV-Auftritt in der Show von Oprah Winfrey.

Weiterlesen

Theodor W. Adorno untersucht den Begriff der Autorität

Theodor W. Adorno weist darauf hin, dass man mit dem Begriff der Autorität einen gewissen Unfug anrichtet. Für ihn selbst ist die Autorität zunächst ein sozialpsychologisches Phänomen, das nicht ohne weiteres die soziale Wirklichkeit selber bedeutet. Sondern der Begriff der Autorität erhält seinen Stellenwert innerhalb des sozialen Kontextes, in dem er aufkommt. Die Art, in der ein Mensch, psychologisch gesprochen, zu einem autonomen, also mündigen Menschen wird, hat für Theodor W. Adorno nicht einfach etwas mit dem Aufmucken gegen jede Art von Autorität zu tun. Theodor W. Adorno, geboren am 11. September 1903 in Frankfurt am Main, gestorben am 6. August 1969, lehrte in Frankfurt als ordentlicher Professor für Philosophie und Direktor des Instituts für Sozialforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität.

Weiterlesen