Die Philosophie des 18. Jahrhunderts ergründet die Empathie

Im Jahr 2017 berichteten im sozialen Netzwerk Twitter von Erfahrungen sexualisierter Gewalt. Svenja Flaßpöhler berichtet: „Frauen wie Männer auf der ganzen Welt fühlten mit den Opfern, solidarisierten sich im Netz und empörten sich über die Täter.“ Die empathische Kraft von Millionen von Menschen rund um den Globus führte zur Entmachtung und Verhaftung von Tätern. Man klagte Verdächtige öffentlich an und verschärfte das Sexualstrafrecht in Deutschland. Geschützt ist eine Frau jetzt auch dann, wenn sie zur Äußerung ihres Willens – etwa durch Drogen – gar nicht in der Lage ist. Doch was genau ist das für ein Gefühl: die Empathie? Wie kommt es, dass Menschen überhaupt mit fremden Schicksalen mitfühlen können? Die Philosophie des 18. Jahrhunderts war tief geprägt von diesen Fragen. Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und Chefredakteurin des „Philosophie Magazins“.

Empathie ist nicht gleichbedeutend mit Fortschritt

Philosophen ergründeten systematisch das Ein- und Mitfühlen, parallel zur empfindsamen Literatur. Der Zusammenhang von Gefühl und Moral bildete den Gravitationspunkt unzähliger Schriften, die eine Art Vorhofflimmern der Französischen Revolution darstellten. Svenja Flaßpöhler erläutert: „Moral und Sittlichkeit waren nicht länger gottverbürgt, sondern ihr Ursprung wohnte in den Gefühlen der Menschen selbst. So lautete die bahnbrechende, ja umwälzende Erkenntnis zu einer Zeit, in der die Monarchie ihr drohendes Ende ahnte.“

Ein Volk, das sie Kraft der Empathie entdeckt, sich über Standesgrenzen emotional verbündet, mithin Gleichheit und Brüderlichkeit tief in sich spürt, wird keine trennende, unterdrückende Macht mehr akzeptieren. Denn diese ist durch nichts anderes legitimiert als durch Vererbung und transzendente Hirngespinste. Allein so zeigt sich im Folgenden: Die Menschheit wird nicht notwendigerweise humaner, wenn sie empathischer wird. Empathie ist also nicht gleichbedeutend mit Fortschritt.

David Hume entdeckt den Empirismus von John Locke

Ebenjene Kraft, die entscheidend für zivilisatorischen Progress sorgte, birgt, schaut man genauer hin auch rückschrittiges, zerstörerisches Potenzial. Drei Zusammenhänge sind hier wesentlich. Erstens: das Verhältnis von Mitgefühl und Moral. Zweitens: das Verhältnis von Mitgefühl und Weiblichkeit. Drittens: das Verhältnis von Mitgefühl und Sadismus. Um diese Verhältnisse zu entfalten, widmet sich Svenja Flaßpöhler dem Werk dreier Philosophen, die zu den wirkmächtigsten des 18. Jahrhunderts zählen: David Hume, Jean-Jacques Rousseau und Marquis de Sade.

„Monsieur Hume ist einem reinen, klaren Bach vergleichbar, der gleichmäßig und ruhig dahinfließt.“ Mit diesen Worten beschreibt der Theologe Friedrich Grimm jenen schottischen Denker. Dieser wurde aufgrund seines ausgeglichenen, wohlwollenden Gemüts von vielen Zeitgenossen gelobt, von anderen eher belächelt. Mit zwölf Jahren entdeckt er am College den Empirismus von John Locke und die Naturwissenschaft Isaac Newtons für sich. David Hume studiert gegen den Wunsch seiner Eltern Philosophie, was ihn zunächst in eine schwere Krise stürzt. So geht seine Abkehr von der Familie mit einer Abkehr von der Religion einher, was für eine damalige Psyche tiefe Konflikte erzeugt haben muss. Quelle: „Sensibel“ von Svenja Flaßpöhler

Von Hans Klumbies

Schreibe einen Kommentar