Deutsche erinnern sich ungern an das Dritte Reich

Theodor W. Adorno reiste aus dem amerikanischen Exil nach Deutschland ins Zentrum der Barbarei, ins Herz der europäischen Finsternis. Allerdings musste er feststellen, dass seine Landsleute lediglich fünf Jahre nach Kriegsende weiterlebten, als hätte es das Dritte Reich nie gegeben. Wenn Denken verdinglichtes Bewusstsein auflösen sollte, dann geschah dieses Denken am besten auf Deutsch. Stuart Jeffries ergänzt: „Vielleicht war es nach Adornos Auffassung sogar überhaupt nur auf Deutsch möglich.“ Doch dieses Denken auf Deutsch wurde nun mit Argwohn beäugt. Jürgen Habermas sagte später, er könne sich mit den eigenen intellektuellen Traditionen nur aus der Distanz identifizieren. Nämlich einer Distanz, die es ihm ermöglichte, sich in einem Geist der Selbstkritik fortzuführen, mit der Skepsis und Scharfsicht eines Mannes, der bereits einmal betrogen wurde. Stuart Jeffries arbeitete zwanzig Jahre für den „Guardian“, die „Financial Times“ und „Psychologies“.

Keiner will ein Nazi gewesen sein

Theodor W. Adorno kehrte nach Frankfurt am Main zurück, in eine Stadt, in der fast kein Stein mehr auf dem anderen war. Deutsche Soldaten hatten in den letzten Tagen des Krieges sämtliche Mainbrücken bis auf eine zerstört. Während der Bombardierung durch die Alliierten wurden 177.000 Häuser vernichtet. Im Jahr 1945 standen nur noch 45.000. Eine geisterhafte Erinnerung ans seine Familie war Theodor W. Adorno übrig geblieben. Es gab ein großes Problem mit jenem Deutschland, in das er und Max Horkheimer zurückkehrten: Es gab keine Nazis mehr.

Die wiedergekommenen Exilanten trafen ihre Heimat im Zustand allgemein verbreiteten Nicht-Wahrhaben-Wollens an. Als Max Horkheimer 1948 nach Frankfurt kam, um mit der Universitätsleitung die Wiedereinrichtung des Instituts für Sozialforschung zu erörtern, traf er seine ehemaligen Kollegen an, „süß, aalglatt und verlogen … Die Fakultät, an deren Sitzung ich gestern teilgenommen habe, ist überfreundlich und erregt Brechreiz. Die Brüder sitzen noch genauso da wie vor dem Dritten Reich … als ob nichts geschehen wäre … Spielen eine Gespenstersonate, die den Strindberg weiter hinter sich lässt.“

Die Bundesrepublik erkennt Deutschlands Schande nicht an

Diese Versammlung war typisch für einen großen Teil der gespenstischen neuen Bundesrepublik Deutschland, die Theodor W. Adorno und Max Horkheimer bei ihrer Rückkehr aus dem amerikanischen Exil antrafen. Wenige Wochen vor Theodor W. Adornos Eintreffen in Frankfurt, war Deutschland in zwei Staaten aufgeteilt worden: Die Deutsche Demokratische Republik und die Bundesrepublik Deutschland. Abgeordnete für den Volkskongress der DDR wählte man aus einer einzigen Liste aus Kandidaten der Kommunistischen Partei.

Die ersten Wahlen zum Bundestag in Westdeutschland endeten damit, dass der konservative Konrad Adenauer erster Kanzler der Bundesrepublik wurde. In seiner ersten Ansprache als Kanzler klammerte er die Verantwortung der Deutschen für die Ermordung der Juden aus. Damit kam zum Ausdruck, dass die neue Republik sich weigerte, Deutschlands Schande anzuerkennen. Aber schlimmer geht es immer. Die westdeutsche Regierung warb viele Personen an, die auch unter den Nazis als Beamte und Juristen tätig gewesen waren. Quelle: „Grand Hotel Abgrund“ von Stuart Jeffries

Von Hans Klumbies