In all seinen Schriften zeigte sich Theodor W. Adorno skeptisch gegenüber Philosophien, die harmonische Versöhnung anbieten. Stuart Jeffries erklärt: „So bezweifelte er beispielsweise die Vision des jungen Lukács von einer epischen Ganzheit im antiken Griechenland, Heideggers Vorstellung eines vollendeten Seins, das mittlerweile tragisch in Vergessenheit geraten ist, und Benjamins Glauben an eine vor dem Sündenfall existierende Einheit von Name und Sache.“ In der „Negativen Dialektik“ geht es ihm allerdings nicht hauptsächlich um die Dekonstruktion solcher regressiven Phantasien, sondern um Widerspruch gegen die Vorstellung, dass dialektische historische Prozesse unbedingt ein Ziel haben müssen. Vor allem verwirft er die Idee, dass das geschichtliche Narrativ notwendigerweise auf ein Happy End zulaufe. Stuart Jeffries arbeitete zwanzig Jahre für den „Guardian“, die „Financial Times“ und „Psychologies“.
Ein Gegenstand geht nicht restlos in seinem Begriff auf
In Opposition zu Georg Wilhelm Friedrich Hegels „Identität von Identität und Nicht-Identität“ formuliert Theodor W. Adorno die noch unergründlichere Vorstellung der „Nicht-Identität von Identität und Nicht-Identität“. Damit stellt Theodor W. Adorno die Behauptung auf, dass der Gegenstand in seinem Begriff nicht restlos aufgehe. Stuart Jeffries fügt hinzu: „Doch ein Gegenstand muss restlos in seinem Begriff aufgehen, wenn Identitätsdenken Sinn ergeben soll. Wenn ein Gegenstand nicht restlos in seinem Begriff aufgeht, dann stellen sämtliche Begriffe, insofern als jedes Denken in Begriffen stattfindet, ihre Gegenstände fehlerhalft dar.
Und jedes Denken ist mit einem Akt der Brutalität gegenüber seinem Gegenstand verbunden. Das ist jedenfalls Theodor W. Adornos Schlussfolgerung. Faktisch benutzte er die marxistische Vorstellung des Tauschprinzips retrospektiv, um Löcher in die Hegelsche Identitätsphilosophie zu bohren. Stuart Jeffries erläutert: „Indem Hegels Philosophie Identität bewerkstellige, so Adorno, behaupte sie die Gleichwertigkeit von etwas, das nicht gleichwertig ist.“
Konstellationsdenken wendet sich gegen das Identitätsdenken
Anstelle dieses brutalen Identitätsdenkens schlug Theodor W. Adorno versuchsweise einen anderen Zugang zum Wissen vor, eine Methode, die als Konstellationstheorie bekannt wurde, wobei der Begriff „Konstellation“ aus Walter Benjamins „Der Ursprung des deutschen Trauerspiels“ stammt. Stuart Jeffries ergänzt: „Konstellationsdenken wendet sich gegen das Identitätsdenken, womit man einen Gegenstand versteht und ihn auf einen Begriff bringt. Einen Gegenstand verstehen, hieß für Adorno nicht, ihn auf den Begriff zu bringen, sondern ihn in eine dialektische historische Beziehung zu einer Konstellation anderer Gegenstände zu setzen.“
Insofern gibt es eine deutliche Parallele zwischen Konstellationsdenken und Walter Benjamins Begriff des dialektischen Bildes. Stuart Jeffries stellt fest: „Die Verwendung des Begriffs Konstellation macht eine Nähe zu den Verfahren moderner Kunst und Literatur deutlich, die für Benjamin eine Rolle spielten – filmische Montage, kubistische Collage, Baudelaires correspondances oder die Epiphanien von Joyce.“ Vor allem ähneln die Konstellationen Benjamins Marcel Prousts Vorstellungen der mémoire involantaire. Quelle: „Grand Hotel Abgrund“ von Stuart Jeffries
Von Hans Klumbies