Der letzte Abschnitt in der „Dialektik der Aufklärung“ von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer heißt „Elemente des Antisemitismus“. Sie verfassten ihn nach dem Zweiten Weltkrieg und veröffentlichten ihn erstmals 1947. Die Autoren halten darin fest, dass Juden als notwendiges Ventil für die Frustrationen und Aggressionen innerhalb der Gesellschaft fungieren. Stuart Jeffries ergänzt: „Allerdings schreiben sie diese Notwendigkeit dem kapitalistischen System und nicht speziell dem deutschen Faschismus zu.“ Die Frustrationen und Aggressionen der Arbeiter werden einer anderen Gruppe aufgebürdet. Die produktive Arbeit der Kapitalisten war die Ideologie, die das Wesen des Arbeitsvertrags und die raffende Natur des Wirtschaftssystems überhaupt zudeckte. Darum schreit man: haltet den Dieb! und zeigt auf die Juden. Stuart Jeffries arbeitete zwanzig Jahre für den „Guardian“, die „Financial Times“ und „Psychologies“.
Man bürdet den Juden das Unrecht einer ganzen Klasse auf
Es ist in der Tat der Sündenbock in einem umfassenden Sinn, dass ihm das ökonomische Unrecht einer ganzen Klasse aufgebürdet wird. Aber warum waren ausgerechnet die Juden die Sündenböcke? Weil, so Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, das Bild des Juden eine falsche Projektion von Dingen sei, die an der nichtjüdischen Gesellschaft unerträglich waren. Man hasste Juden, weil man sie fälschlich als etwas ansah, das Nichtjuden sich sehnten zu sein.
Der totalitär gewordenen Herrschaft war an den Juden folgendes todfeind: das Glück ohne Macht, der Lohn ohne Arbeit, die Heimat ohne Grenzstein, die Religion ohne Mythos. Das Bild des umherschweifenden Juden bemerkte Theodor W. Adorno 1940, stehe für einen Zustand, in dem die Menschheit keine Arbeit kannte. Und alle späteren Angriffe gegen den parasitären, verbraucherischen Charakter der Juden sind nichts als Rationalisierungen. Theodor W. Adorno schrieb am 9. Juli 1946 an seine Mutter, dass er den Tod im Exil als besonders grauenvoll empfinde, trotzdem es gegen die Existenz drüben ein Glück bedeutete.
Der Rassenunterschied wird zum absoluten erhoben
Theodor W. Adorno fühlte eine Schuld des Überlebenden in sich, weil er dem Holocaust entronnen war. Die zwei Atombomben, die auf Hiroshima und Nagasaki fielen, beendeten den Zweiten Weltkrieg. Gleichzeitig sahen die Augen der Welt die in industriellem Ausmaß betriebene Ermordung der Juden. In „Minima Moralia“, an denen Theodor W. Adorno damals schrieb, interpretiert er die Todeslager als eine Art pervertierten Ausdruck des marxistischen Tauschprinzips.
Er sah dies in Verbindung mit einer freudschen Projektion dessen auf den Anderen, was man an sich selbst am meisten verabscheut – sowohl eine Kulmination wie eine Leugnung der aufklärerischen Werte. Theodor W. Adorno schreibt: „Die Technik der Konzentrationslager läuft darauf hinaus, die Gefangenen wir ihre Wächter zu machen, die Ermordeten zu Mördern. Der Rassenunterschied wird zum absoluten erhoben, damit man ihn absolut abschaffen kann, wäre es selbst, indem nichts Verschiedenes mehr überlebt.“ Quelle: „Grand Hotel Abgrund“ von Stuart Jeffries
Von Hans Klumbies