Steinwerkzeuge gibt es seit drei Millionen Jahren

Die Vorläufer des Homo sapiens stellten vor mehr als drei Millionen Jahren die ersten Steinwerkzeuge her. Schon damals war die schöpferische Intelligenz schon lange nichts Neues mehr. Ein Werkzeug herzustellen, das man später für einen bestimmten Zweck einsetzt, erfordert Einsicht, Planung und Vorstellungskraft. Stefan Klein erklärt: „Erst nach vielen Arbeitsgängen ist aus einem rohen Stein eine Klinge geformt. Jeder einzelne Schritt verlangt eine präzise Idee von dem, was noch nicht ist, aber sein soll.“ Nur Menschenaffen und einige Vögel bringen die zur Werkzeugherstellung nötigen geistigen Voraussetzungen mit. Aber nur die Menschen haben es so weit gebracht, Gene zu entschlüsseln, Symphonien zu komponieren und ihre Zeit in Videokonferenzen zu verbringen. Stefan Klein zählt zu den erfolgreichsten Wissenschaftsautoren der deutschen Sprache. Er studierte Physik und analytische Philosophie in München, Grenoble und Freiburg.

Schöpferisches Denken verlangt mehr als Ideen

Was also ist das Eigentümliche am menschlichen Geist? Vielleicht erfordert es mehr als schöpferische Intelligenz, um aus seinen Einfällen nachhaltig Nutzen zu ziehen. Für eine einfache Holzarbeit benötigt man weder eine besondere Anleitung noch Übung. Man findet durch Versuch und Irrtum heraus, wie es geht. Sehr viel schwieriger ist es dagegen, aus einem harten Stein eine Klinge zu fertigen. Viele große Entdeckungen gehen auf die Wirkung des Zufalls zurück. Aber man muss immer imstande sein, den Wert seiner Früchte zu sehen.

Stefan Klein weiß: „Wäre Kreativität bloß eine Frage von Einsicht und Einfallsreichtum, hätten Menschenaffen Messer herstellen können, lange bevor unsere Ahnen es taten.“ Aber nur der Mythos behauptet, dass sich Kreativität einzig einem spontanen Geistesblitz verdankt. Schöpferisches Denken verlangt mehr als Ideen. Es setzt Praxis und die Bereitschaft voraus immer wieder Rückschläge einzustecken und trotz unsicherer Belohnung weiter sein Ziel zu verfolgen.

Die Kultur begann mit dem Zeigen

Jeder, der eine schöpferische komplexe Leistung vollbringt, begibt sich für längere Zeit auf unbekanntes Terrain. Homo sapiens braucht eine Kultur, selbst wenn er sich nur die einfachsten Hilfsmittel verschaffen will, deren sich seine Vorfahren vor Millionen Jahren bedienten. In den wenigen Steinzeitgesellschaften, die heute noch existieren, hämmert keiner für sich allein. In den Urwäldern von Papua-Neuguinea etwa versammelt man sich, um gemeinsam Steine zu bearbeiten.

Wer schöpferisch handeln will, benötigt ein Vorbild. Und der Erfolg hängt davon ab, wie Lehrer und Schüler kommunizieren. Drückt man einem modernen Menschen wortlos das Material für eine Steinaxt in die Hand, ist er verloren. Es kann daher kein Zweifel bestehen, dass sich schon die Menschen vor drei Millionen Jahren zu verständigen wussten, als sie ihre ersten Werkzeuge schufen. Gewiss verfügten sie noch nicht über die Eloquenz späterer Menschen. Die Kultur begann mit dem Zeigen. Und je weiter sich die Technik der Vorfahren der modernen Menschen entwickelte, desto besser mussten sie sich verständigen. Quelle: „Wie wir die Welt verändern“ von Stefan Klein

Von Hans Klumbies