Ohne Staatsschulden sind Demokratien und moderne Gesellschaftsformen wie die soziale Marktwirtschaft undenkbar. Sie waren sogar Treiber für die Entwicklung der Demokratie. Marcel Fratzscher blickt zurück: „Staatsschulden gibt es schon, solange es Staaten oder staatsähnliche Institutionen gibt. In früheren Zeiten konnte der Souverän nicht nur Steuern und Abgaben erheben, sondern auch Schuldverträge eingehen.“ Im Mittelalter gab es, vor allem in Venedig und Florenz, erste systematische Versuche, die Finanzierung von Staatsausgaben über Banken zu organisieren, um deutlich mehr Gläubiger zu erreichen und somit größere Summen zu organisieren. Häufig wurden diese Staatsschulden für die Verteidigung des Landes gegen feindliche Kräfte benötigt, etwa um Söldner und Soldaten zu zahlen. Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Die Bürger verlangten zunehmend mehr Sicherheiten für Schuldverträge
Nur über Schuldverträge konnten viele Souveräne im Mittelalter ihre Ausgaben finanzieren und so Kontrolle über ihre Institutionen, Länder und Menschen ausüben. Marcel Fratzscher ergänzt: „Dabei sind Banken entstanden, die Ersparnisse aus ganz unterschiedlichen Regionen sammeln und bündeln konnten. Noch wichtiger war aber eine andere Entwicklung: Da es auch im Mittelalter immer wieder vorkam, dass der Souverän seine Schulden nicht bedienen konnte und zahlungsunfähig wurde, verlangten Bürger zunehmend mehr Sicherheiten für diese Schuldverträge.“
Als Sicherheiten verlangten sie nicht nur Zugang zu materiellen Gütern und Land, um die eigenen Forderungen im Fall einer Zahlungsunfähigkeit zu bedienen. Marcel Fratzscher fügt hinzu: „Darüber hinaus forderten sie zunehmend Kontroll- und Mitspracherechte, um Einfluss auf die Nachhaltigkeit der Staatsschulden und der Verwendung der Gelder nehmen zu können.“ Mit der Einführung demokratischer Strukturen in vielen Ländern kamen auch Mitsprache- und Kontrollrechte der Parlamente über den Souverän und die Regierungen.“
Der Staat investierte mehr und mehr in die Infrastruktur
Insofern war die Zunahme und wachsende Komplexität von staatlichen Schuldverträgen ein wichtiges Element der politischen Reformen und Entwicklung, zuerst in Europa und dann in vielen anderen Teilen der Welt. Marcel Fratzscher stellt fest: „Mit Beginn der industriellen Revolution im 18. und 19. Jahrhundert kamen dann weiter Aufgaben auf den Staat zu, der mehr und mehr in Infrastruktur investierte, um die wirtschaftliche Entwicklung möglich zu machen.“
Auch solche Investitionen erforderten beachtliche staatliche Gelder, die häufig durch Kreditaufnahme gewährleistet werden konnten. Marcel Fratzscher erläutert: „Viele Regierungen und Parlamente realisierten, dass solche Investitionen auch für den Staat hochrentabel sein konnten.“ Neben der Infrastruktur entstanden auf diese Weise auch staatliche Unternehmen, um Teile dieser Aufgaben zu übernehmen, weil sie sehr lukrativ waren und dem Staat hohe Einnahmen ermöglichten. Obwohl viele dieser staatlichen Unternehmen recht ineffizient waren, leisteten sie doch wichtige Beiträge zur wirtschaftlichen Entwicklung. Quelle: „Geld oder Leben“ von Marcel Fratzscher
Von Hans Klumbies