Sprache kann einem Menschen seine Identität verweigern

Sprache besitzt notwendigerweise auch die Macht, zu verletzen. „Wenn die Sprache den Körper erhalten kann, so kann sie ihn zugleich auch in seiner Existenz bedrohen“, schreibt Judith Butler in ihrem Buch „Hass spricht“, und man kann jetzt, auf der Grundlage des Gesagten, ermessen, wie tief diese Drohung Judith Butler zufolge geht: Eine sprachliche Verletzung berührt einen Menschen in seinen Grundfesten. Svenja Flaßpöhler fügt hinzu: „Denn wenn Identität in der beschriebenen Weise ein Effekt von Sprache ist, dann kann die Sprache sie logischerweise auch zerstören beziehungsweise Menschen von vornherein Identität verweigern, ihnen regelrecht die Existenzberechtigung entziehen.“ Das „N-Wort“ etwa hat jahrhundertelang dazu gedient, Menschen zu erniedrigen, sie zum Tier zu degradieren. Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und Chefredakteurin des „Philosophie Magazins“.

Verwundende Worte sollte man schlicht nicht mehr sagen

Als dunkelhäutiger Mensch mit diesem Worte angerufen zu werden ist damit mehr als eine Äußerlichkeit, mehr als eine Fluse, die man sich von der Schulter schnippt. Vielmehr hat ein solches Wort die Kraft, beim Subjekt eine Todesangst wachzurufen beziehungsweise die Frage aufzuwerfen, ob es überleben wird oder nicht. Svenja Flaßpöhler fordert: „Wenn ein solches Wort in der beschriebenen Weise verwundet und bedroht, dann sollte man es, so könnte die Schlussfolgerung lauten, eben schlicht nicht mehr sagen.

Auch nicht in Kinderbüchern, auch nicht auf einer Theaterbühne, auch nicht in diesem Buch, sondern: nie. Svenja Flaßpöhler stellt fest: „Der Ruf nach gendergerechter Sprache, so scheint es, folgt ebenfalls unmittelbar aus der poststrukturalistischen Philosophie.“ Ob Genderunterstrich oder Gendersternchen, wenn Sprache grundlegend ist für unsere Wahrnehmung der Welt, dann muss man sie eben verändern, um Gruppen – Frauen, Transmenschen – sichtbar zu machen, ihnen Anerkennung zu verschaffen. Oder nicht?

Die politische Korrektheit ersetzt das dekonstruktive Spiel durch die Regel

Svenja Flaßpöhler erläutert: „Allein: Wer eine solch strikte Form der „politischen Korrektheit“ fordert, kann sich kaum noch auf die dekonstruktive Philosophie Jacques Derridas und Judith Butlers berufen.“ Es stimmt zwar: Sprache ist dieser Theorie zufolge zwar wirkmächtig, sie ist nachgerade ein Schöpfungsakt und insofern durch und durch politisch. Die sprachliche Struktur ist in ihrer Bedeutungsdimension nicht fixiert, sondern durch den konkreten Gebrauch veränderbar.

Daher spricht aus dekonstruktiver Sicht viel, wenn nicht gar alles gegen starre, kontextunabhängige Vorgaben. Svenja Flaßpöhler nimmt den entscheidenden Punkt vorweg: „Die politische Korrektheit ersetzt das dekonstruktive Spiel durch die Regel und blendet damit wesentliche Möglichkeiten des Widerstandes aus, die Butler und Derrida in ihrem Denken entfalten.“ Als Beispiel nennt Svenja Flaßpöhler die Tabuisierung von Wörtern. Tatsächlich wendet sich Judith Butler in „Hass spricht“ ganz ausdrücklich gegen solche Eingriffe. Durch die Tilgung diskriminierender Wörter nämlich, so ihr Argument, nehmen sich die betreffenden Gruppen selbst ein wesentliches Handlungspotenzial. Quelle: „Sensibel“ von Svenja Flaßpöhler

Von Hans Klumbies