Sozialer Erfolg ist für Menschen extrem wichtig

Man könnte annehmen, dass überbordende Starrsinnigkeit vom Standpunkt der Evolution aus betrachtet eine Fehlanpassung wäre. Jonathan Rauch ist anderer Meinung: „Dem ist aber nicht so, und eine Erklärung dafür liefert schon Aristoteles: Menschen sind soziale Tiere. Aus evolutionärer Sicht am wichtigsten ist nicht, dass eine Person wahre Überzeugungen ausbildet, sondern solche, die zum sozialen Erfolg führen.“ Denn entscheidend ist unter dem Strich nicht, was ich glaube oder was Sie glauben, sondern was wir glauben. Der Psychologe und Rechtsforscher Dan Kahan von der Yale University hat ein überzeugendes Modell auf Grundlage dessen konzipiert, was er als „identitätsschützende Kognition“ bezeichnet. Jonathan Rauch studierte an der Yale University. Als Journalist schrieb der Politologe unter anderem für das National Journal, für The Economist und für The Atlantic.

Eine parteiliche Identifikation beeinflusst sogar die Wahrnehmung

Jonathan Rauch erläutert: „Sobald eine Überzeugung eine Rolle für unser Nachdenken über uns selbst oder für die Gruppe spielt, mit der wir uns identifizieren, muss für ihre Änderung ein hoher Preis gezahlt werden.“ Der Bruch mit der Gruppe bringt, wie Dan Kahan schreibt, „die Aussicht darauf mit sich, alle Arten von Unterstützung durch die eigenen Leute zu verlieren“. Hinzu kommt noch, dass die meisten Themen, über die die Menschen in der Moderne miteinander in Konflikt geraten, ziemlich abstrakt und vom eigenen persönlichen Leben weit entfernt sind.

Aus der Sicht des Einzelnen ist es vernünftig, die kognitive Feuerkraft zum Schutze der eigenen liebgewonnenen Überzeugungen einzusetzen, selbst wenn man durch die Verteidigung die Realität weniger genau wahrnimmt – was nachweislich der Fall ist. Jonathan Rauch erklärt: „Die Forschung zeigt, dass eine parteiliche Identifikation zum Beispiel unser Gedächtnis, unsere unbewussten Urteile und sogar unsere Wahrnehmung beeinflusst.“

Der Mensch ist mit den besten mentalen Schaltkreise ausgestattet

Wie Jay J. Van Bavel und Andrea Pereira festgestellt haben, merken sich Menschen Unwahrheiten dann eher, wenn sie ihre parteiliche Identität stützen: „Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass politische Bindungen sogar die Art und Weise prägen könnten, wie wir die Welt sehen.“ Wie die Autoren berichten, hat man wissenschaftlich feststellen können, „dass Republikaner die Hautfarbe politischer Führungsfiguren – wie Barack Obama – als dunkler einstufen als Demokraten.

Sogar noch am rationalsten Ende des kognitiven Spektrums, wo genaueste logische Analysen und mathematische Berechnungen stattfinden, verzerren identitäre und ideologische Filter das menschliche Denken. Jonathan Rauch betrachtet es einmal so: „Der Mensch ist mit einigen der besten mentalen Schaltkreise ausgestattet, die die Evolution zu bieten hat. Deren Aufgabe ist es, ihn davon abzuhalten, seine Meinung zu ändern, wenn ihn dies von seiner Gruppe entfremden könnte. Wir haben über Hunderttausende Jahre hinweg gelernt, all das für wahr zu halten, was uns in den Augen unseres Stammes gut dastehen lässt.“ Quelle: „Die Verteidigung der Wahrheit“ von Jonathan Rauch

Von Hans Klumbies