Die Aufklärung regte zum Denken an

Zum eigenen Denken gehört Kritik als Instrument der Wahrheitssuche. Die Kritikfähigkeit gilt als Bedingung der Möglichkeit der Unterscheidung von wahr und falsch, dies auch und gerade im Bereich der Politik. Silvio Vietta weiß: „Die antike wie neuzeitliche Aufklärung war durchtränkt vom Geiste der Kritik.“ Dabei war ein Hauptprogrammpunkt der neuzeitlichen Aufklärung, den Verstand so zu schulen, dass er zu kritischem Denken befähigt war. Aufklärung in diesem Sinne war Denkschulung. Dagegen kommt es in totalitären Systemen zur Vermengung von Kritik und Ideologie, vor allem im Marxismus. Ausgewogene Kritik und Kritikfähigkeit sind Voraussetzung für die Bildung von Individualität. Zudem sind sie Bedingung einer guten Regierung in der Demokratie. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

Kritikfähigkeit ist eine Grundlage für die Demokratie

Kritik üben heißt nichts anderes, als Falsches vom Wahren absondern und zwischen Irrigem und Richtigem unterscheiden zu können. Und das heißt: vernünftig urteilen, klar denken. Mit dem Wort „Kritik“ ist häufig auch ein Moment der Bemängelung verbunden. Silvio Vietta erklärt: „Wir kritisieren etwas, wenn es unserem kritischen Urteil nach einen Mangel aufweist. In Kritik steckt also häufig auch ein Moment der Überwindung eines Gegebenen als nicht gut begründet oder gar falsch.“

Kritikfähigkeit ist sodann jene Eigenschaft des Menschen, die solche Urteilsfähigkeit beinhaltet, zwischen wahren und falschen Sätzen zu unterscheiden. Sei es auf dem Felde der Wissenschaft oder auch im privaten wie öffentlichen Leben. Kritik und damit Kritikfähigkeit sind zentrale Voraussetzungen des zivilen Staates der Demokratie bei seien Funktionsträgern sowohl wie seinen Bürgern. Das Wort „Kritik“ leitet sich vom griechischen „krinein“ ab in der Bedeutung von „unterscheiden“, „beurteilen“, auch „entscheiden“.

Die sinnliche Wahrnehmung täuscht oft

Davon abgeleitet ist das Hauptwort „kritike“ als die Fähigkeit zu solchem Urteil. Das Wahre als das Richtige ist nicht einfach mit dem Augenschein zu haben, denn die sinnliche Wahrnehmung täuscht oft. Das Wahre zu erkennen, verlangt eine tiefere Einsicht, mithin Kritikfähigkeit des Denkens. Es genügt nicht das Vertrauen auf den Augenschein der äußeren Wahrnehmung. Es können auch im Kopf sich allerhand Vorstellungen tummeln wie in einem Taubenschlag. Zwischen denen muss man die falschen von den wahren heraussortieren.

Silvio Vietta erläutert: „Dazu ist unsere Ratio, unser Verstand, berufen. Denn die richtige Erkenntnis ist mit der Erkenntnis der Verschiedenheit verbunden. Mit unserem Denken und dessen Fähigkeit zur kritischen Unterscheidungsfähigkeit können wir uns auf den Weg zur Wahrheitssuche machen.“ Und das ist in der Öffentlichkeitsstruktur des frühen 21. Jahrhunderts nötiger denn je. Auch und gerade unter den Bedingungen einer überfütterten Informationsgesellschaft ist das kritische Vermögen des Urteilens gefragter denn je, wenn auch oft schwer genug einzulösen. Quelle: „Europas Werte“ von Silvio Vietta

Von Hans Klumbies