Untreue lässt sich unmöglich voraussagen

Weder Ehen noch Affären existieren im luftleeren Raum. Wie man sich verliebt, sich einem anderen Menschen gegenüber zur Loyalität verpflichtet und die Verpflichtungen wieder brechen, all dies geschieht innerhalb eines größeren sozialen Kontexts. Shirley P. Glass erklärt: „Als Männer und Frauen unterliegen wir bestimmen Rollenvorstellungen. Auch wenn man Geschlechtsunterschiede berücksichtigt, sehen Menschen die Welt durch ihre persönlichen und sozialen Filter auf unterschiedliche Art.“ Die individuellen moralischen und religiösen Werte haben ihren Ursprung in der Familie und in dem sozialen Umfeld, in dem man aufgewachsen ist. Man hat Erwartungen aufgrund der kulturellen Eindrücke, die man als Kind und Erwachsener erhält. Dr. phil. Shirley P. Glass war niedergelassene Psychologin und Familientherapeutin. Sie starb im Jahr 2003 im Alter von 67 Jahren an einer Krebserkrankung.

Viele Menschen möchten in ihrer Ehe treu sein

Diese wichtigen und dennoch oft übersehenen äußeren Einflüsse können erklären, warum manche Partner die Grenze zur Untreue überschreiten und andere nicht. Soziale und kulturelle Faktoren können neben individuellen und partnerschaftlichen Auffälligkeiten aufzeigen, warum manche Menschen monogam bleiben, während andere entweder die Gelegenheit suchen oder keinen Widerstand leisten, wen sich die Gelegenheit bietet. Die Ironie dabei ist, dass man der westlichen Welt in einer Kultur lebt, die sich zum Wert der Monogamie bekennt, gleichzeitig aber die Monogamie untergräbt, indem sie verbotenen Liebesaffären verherrlicht und den sexuellen Kitzel kommerzialisiert.

Viele Menschen, die ihr Ehegelübde brechen, haben die Ehe begonnen mit der Erwartung, treu zu sein. Im Laufe der Jahre bröckeln die inneren Überzeugungen. Die Akzeptanz von Untreue wächst als Reaktion auf persönliche Probleme, Ernüchterung hinsichtlich der Beziehung und eine tolerante soziale Umgebung. Es ist laut Shirley P. Glass unmöglich vorauszusagen, ob ein bestimmter Mensch untreu sein wird. Der soziale Spiegel ist einer der wichtigsten menschlichen Filter. Shirley P. Glass stellt fest: „Unsere Sicht wird durch das, was wir von den Menschen um uns herum sehen und hören, geschärft oder getrübt.“

In der Unterhaltungsindustrie gehört Untreue zur gängigen Praxis

Die Wahrscheinlichkeit, untreu zu werden, besteht eher, wenn man von Freunden und Kollegen umgeben ist, die ebenso untreu sind. Freunde und Bekannte sind die gesellschaftlichen Stellvertreter, die den Betrug verlockend oder zumindest normal erscheinen lassen. Shirley P. Glass betont: „Wenn Sie oft genug aufregende Geständnisse und philosophische Rationalisierungen gehört haben, können Sie beinahe alles rechtfertigen.“ Wenn Freunde ihre Affären verherrlichen, kann man leicht auf die Idee kommen, dass die eigene Ehe nicht nur langweilig ist, sondern ein erstes Hindernis für das persönliche Wachstum.

Das Arbeitsumfeld und bestimmte Berufe können Gelegenheiten zu außerehelichem Sex fördern oder sie strikt unterbinden. Für Menschen, die in der Unterhaltungsindustrie oder im Profisport arbeiten, gehört Untreue zur gängigen Praxis. Für Menschen, die in religiösen oder konservativen Bildungseinrichtungen tätig sind, stellt Untreue eine Übertretung der Verhaltensrichtlinien dar. Obwohl Arbeitgeber gegenüber dem Thema der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz sensibler geworden sind, übersehen oder akzeptieren einige das Flirten oder Romanzen zwischen Arbeitskollegen. Quelle: „Die Psychologie der Untreue“ von Shirley P. Glass

Von Hans Klumbies