Seneca erörtert den Wert und die Würde der Philosophie

Seneca ist davon überzeugt, dass die Menschen die Fähigkeit, ihr Leben sinnvoll zu gestalten, der Philosophie verdanken. Das gilt mit einer Einschränkung: Fertiges Wissen schenkt sie freilich keinem, die Möglichkeit es aber zu erwerben, allen. Kämen die Menschen vollendet klug zur Welt, hätte die Weisheit seiner Meinung nach ihren höchsten inneren Wert verloren, nämlich gerade kein Zufallsgeschenk zu sein. Seneca schreibt: „So aber besteht ihr Wert und ihre Würde gerade darin, dass sie sich nicht aufdrängt, dass jeder sie sich selbst verdankt, dass kein anderer sie uns verschaffen kann.“ Als Allerweltsgeschenk hätte die Philosophie den Menschen nicht viel zu bieten.

Im Goldenen Zeitalter herrschten die Weisen

Eine einzige Aufgabe ist der Philosophie laut Seneca aufgegeben: die Wahrheit über die göttlichen und die menschlichen Dinge aufzudecken. Er schreibt: „Ihre ständigen Begleiter sind Ehrfurcht, Frömmigkeit, Gerechtigkeit und das ganze unter sich wie eine Kette zusammenhängende übrige Gefolge von Tugenden.“ Die Philosophie lehrte Göttliches zu verehren, Menschliches zu lieben und dass menschlicher Zusammenhalt für eine Gesellschaft von großer Bedeutung ist. Der große Feind der Gemeinschaft ist die Habsucht, die selbst denjenigen in Armut stürzen kann, den sie zuvor zu größtem Reichtum verholfen hatte.

In der Geschichte der Menschheit verlor der Allgemeinbesitz an Bedeutung, sobald das Streben nach Eigenbesitz einsetzte. Vorher im so genannten Goldenen Zeitalter wurde die Herrschaft von Weisen ausgeübt. Seneca schreibt: „Ihre kluge Voraussicht ließ unter den Ihrigen keinerlei Mangel aufkommen, ihre Tapferkeit wandte Gefahren ab, ihre Fürsorge galt einem reicheren und schöneren Leben der ihnen Anvertrauten.“ Befehle zu erteilen, bedeutete für die Weisen Pflichterfüllung, nicht Ausübung von Herrschaft.

Zügellosigkeit bedeutet Abfall von der Natur

Für Seneca sind Menschen, die sich wenig Sorge um die Belange ihres Körpers machten, die Weisen oder wenigstens den Weisen sehr ähnlich. Er schreibt: „Notwendiges beschafft sich leicht, Liebhabereien erfordern Anstrengung.“ Er rät den Menschen der Natur zu folgen, deren Absicht es niemals war, sie zu überfordern. Im Gegenteil fordert sie von ihnen nur das, wozu sie ihnen selbst die Fähigkeiten gab. Um ihren Lebensunterhalt brauchen sich die Menschen gemäß Seneca nicht mühevoll zu sorgen. Von Anfang an steht alles für sie bereit.

Nur am Überdruss am Einfachen, haben sich die Menschen ihr Leben selbst schwierig gemacht. In allen Dingen sollte laut Seneca der wirkliche Bedarf ausschlaggebend sein. Seneca erklärt: „Die Natur erfüllt ihre Forderungen selbst. Zügellosigkeit, die sich täglich anstachelt, über längere Zeiträume hin ständig anwächst und mit viel Erfindungsgeist die Laster fördert, das bedeutet Abfall von der Natur!“ Wer seine Wünsche auf Überflüssiges ausrichtet, wider der Natur handelt, der liefert seinen Geist dem Körper aus und macht ihn zum Sklaven seiner Begehrlichkeit.

Von Hans Klumbies