Das Sterben ist das Geschehenlassen schlechthin

Das Sterben und der Tod sind eine einzige Provokation! Allein der Umstand, dass jedem nichts so sicher ist wie der Tod, aber niemand eine Ahnung davon hat, was da auf einen zukommt, weil bisher ja immer nur die anderen gestorben sind, bringt nicht nur Kontrollfreaks in Rage. Vollends empört es manche Menschen, dass sie sich schon im Prozess des Sterbens aus der Hand geben und der Begleitung anderer anvertrauen müssen. Rupert M. Scheule fügt hinzu: „Grammatikalisch gesehen ist Sterben ein Tunwort. Was für ein Hohn! Sterben ist Geschehenlassen schlechthin.“ Allerdings bieten immer mehr Menschen der Zumutung der Passivität zunehmend Paroli. Überall in der westlichen Welt gibt es inzwischen Gesellschaften, die den Tod als Freiheitstat des Menschen propagieren. Rupert M. Scheule ist Professor für Moraltheologie und Christliche Sozialwissenschaft an der Theologischen Fakultät Fulda.

Die Würde darf nicht zum Mittel für einen Zweck werden

Diese Gesellschaften treten konkret für eine Legalisierung der Tötung auf Verlangen ein und leisten Suizidhilfe. Und tatsächlich kann man sich die Frage stellen, warum wir alles Mögliche im Leben selbst entscheiden müssen, nicht aber über die Art und Weise des eigenen Sterbens befinden dürfen. Bernhard Sutter, ein Funktionär der Schweizer Suizidhilfe-Organisation EXIT, sagt: „Nun kommt eine Generation ins Alter, die ihr ganzes Leben selbstbestimmt geführt hat. Und diese Menschen wollen am Lebensende nicht um Erlaubnis bitten, wann und wie sie sterben dürfen.“

Möglicherweise hat diese Kontrolle des Todes mit dem weithin akzeptierten Konzept der Autonomie der Patienten zu tun. Auf die Frage was Würde sei, erinnert Rupert M. Scheule an einen Definitionsversuch, dass Würde darin bestehe, niemals ganz zum Mittel für irgendeinen Zweck werden zu dürfen. Diese Definition gehört zu einer Denktradition, die auf den deutschen Philosophen Immanuel Kant (1724 – 1804) zurückgeht. Aber faktisch instrumentalisieren sich die Menschen doch ständig und zwar mit einer gewissen Notwendigkeit.

Selbstmord ist kein glanzvoller Aufritt der Freiheit

In funktionaler Hinsicht sind die Menschen austauschbar. Wo immer sie etwas machen, her- und bereitstellen, kann das von jemand anders übernommen werden, der es mitunter billiger, besser und freundlicher macht. Aber in einer Hinsicht sind die Menschen grundsätzlich nicht austauschbar: im Ich-sagen-Können. Rupert M. Scheule ergänzt: „Ich zu sagen, kann uns niemand abnehmen. Wir sind, wie man sagt, unvertretbar in unserer eigenen Ich-Dimension.“ Wenn die Menschen also Subjekte sind, dürfen sie niemals allein als Objekte behandelt werden.

Wer sich aus Schmerz, Überdruss, Angst umbringt oder umbringen lässt, gibt sich sehr wohl eine Antwort auf die Frage nach seinem Ich. Um das Unglück zu beenden, beendet er sich, er identifiziert sich mit seinem Unglück, unterscheidet nicht mehr zwischen dem Ich, und dem, was ihm im Mich gegenübertritt. Rupert M. Scheule erklärt: „Das ist möglich. Aber ist es wirklich ein glanzvoller Auftritt der Freiheit, wenn sie auf eine tödliche Verzweiflung mit der Tötung des Verzweifelten reagiert? Es gibt auch eine Freiheit, die klein macht. Vielleicht ist das hier der Fall.“ Quelle: „Wir Freiheitsmüden“ von Rupert M. Scheule

Von Hans Klumbies