Rudolf Eucken philosophiert über Ordnung und Freiheit

Die Natur, wie sie den Menschen als Dasein umgibt, zeigt ein bloßes Nebeneinander der Elemente. Dennoch gibt es dort einen inneren Zusammenhang, da das Leben hier in lauter gegenseitigen Beziehungen verläuft. Beim Menschen ist das anders. Rudolf Eucken, der 1908 den Nobelpreis für Literatur erhielt, erklärt: „Wo immer dagegen geistiges Leben sich regt, da entsteht das Verlangen nach einer Überwindung jenes Nebeneinander und nach Herstellung eines inneren Zusammenhanges, ja nach einem Ganzen des Lebens; alle einzelnen Hauptrichtungen der geistigen Arbeit enthalten ein Hinausstreben über einen Gegensatz und fordern irgendwelche Einigung.“ Das Streben nach Wahrheit will die Trennung von Mensch und Ding, von Subjekt und Objekt, von Denken und Sein überwinden.

Das Einheitsstreben ist ein Grundtrieb des Geisteslebens

Beim Guten im engeren Sinn handelt es sich laut Rudolf Eucken um eine Befreiung vom kleinen Ich, um ein Durchbrechen der anfänglichen Enge und den Gewinn einer engeren Gemeinschaft. Rudolf Eucken ergänzt: „So will auch das Schöne einen Gegensatz überbrücken, indem es Sinnliches und Unsinnliches zu vollem Ausgleich zu bringen sucht. Zugleich erzeugt das Streben eine Gemeinschaft der Teilnehmer und verbindet sie zu einem zusammenhängenden Ganzen.“ Wer die Wahrheit finden möchte, darf sich nicht mit einer einzelnen Wahrheit zufrieden geben, sondern muss ins Reich der Wahrheit eindringen.

Das Einheitsstreben bildet für Rudolf Eucken einen unbestreitbaren Grundtrieb alles Geisteslebens, das allerdings zugleich ein schweres Problem enthält, an dem die Weltgeschichte rastlos arbeitet. Rudolf Eucken erklärt: „Denn es handelt sich darum, wie die Einigung dem Menschen erreichbar ist, und welche Gestalt das Ganze annehmen muss, um die Mannigfaltigkeit in sich aufzunehmen und die Gegensätze zu überwinden.“ Lösungen für dieses Problem findet derjenige, der die Jahrtausende geistig durchwandert.

Schon die griechische Philosophie will der Einheit alles unterordnen

Rudolf Eucken weist dabei auf die Philosophie der Griechen mit ihrem Hauptzug zur Einheit hin, die dazu neigt, diesem Zuge alles unterzuordnen und einzufügen, was das Leben an Mannigfaltigkeit bietet. Rudolf Eucken erläutert: „Einen einzigen Grundstoff suchen gleich ihre ersten Denker, die Ionier, einen zusammenhängenden Weltbau, einen Kosmos, lehren die Pythagoreer, selbst die Ausschließlichkeit eines einheitlichen Seins wird früh von den Eleaten vertreten und alle Vielfalt zu einem bloßen Scheine herabgesetzt.“

Aber das griechische Leben hängt gemäß Rudolf Eucken zu sehr an der bunten Fülle der Wirklichkeit, um diese gänzlich aufgeben zu können. So stellt sich ihnen die Aufgabe, ein festes Verhältnis von Einheit und Vielheit zu gewinnen. Walter Eucken erklärt: „Indem Plato eine Gedankenwelt, die Ideenlehre, über alle Zerstreuung menschlicher Lage und Meinung hinaushebt, werden ihm die Gedankengrößen zu lebensvollen Gestalten; diese Gestalten verbinden sich zu einem Ganzen des Alls, das bewegend und erhöhend in das menschliche Dasein hineinwirkt und ihm eine tiefere Grundlage gibt.“

Von Hans Klumbies