Die Philosophie kann das Leben wesentlich erhöhen

Wenn die Philosophie aus einem schaffenden Leben schöpft und damit allein eine Selbstständigkeit gewinnt, so hat sie laut Rudolf Eucken die große Aufgabe, den Menschen dieses Leben zu vermitteln und damit den Stand der Individuen wesentlich zu erhöhen. Rudolf Eucken, der den Nobelpreis für Literatur im Jahr 1908 erhielt, schreibt: „Sie ist keineswegs eine Sache des bloßen Intellekts, sondern nur mit Hilfe des Intellekts vollzieht sich eine Erhöhung des Lebens. Sie steht nicht als eine kühle Betrachtung neben dem Leben, das unabhängig von ihr verläuft und erst nachträglich von ihr betrachtet wird, sondern sie selbst hilft das Leben bilden und weiterführen, sie wird von seiner Bewegung getragen und getrieben.“

Das eigentümliche Verhältnis der Philosophie zur Geschichte

Das Leben fand in der Philosophie laut Rudolf Eucken nicht etwas schon Vorhandenes vor, sondern es gewann durch sie mehr Gestalt und Selbstständigkeit, die Leistungen der Philosophie waren unmittelbar. Rudolf Eucken zählt dazu die Lebenswandlungen, die Lebenserweiterungen und die Lebenserhöhungen. Der Nobelpreisträger für Literatur ergänzt: „Führende Geister waren daher nur solche, in denen neues Leben hervorbrach und neue Kräfte zur Entfaltung kamen; so waren sie Bahnbrecher, Eroberer im Reiche des Geistes, in ihrem Wirken tiefgehender und dauernder als die Eroberer im sinnlichen Dasein.“

Die Philosophie wird gemäß Rudolf Eucken nicht schon dadurch zu einer Weltwissenschaft gehoben, dass sie sich mit dem Weltproblem befasst, denn dieses kann in einer bloß schulmäßigen und engen Weise geschehen, sondern dadurch, dass sie einen Zusammenhang mit dem Ganzen des geistigen Lebens wahrt und dieses durch ihr Streben weiterführt. Rudolf Eucken ergänzt: „Damit erhält die Philosophie ein eigentümliches Verhältnis zur Geschichte. Sie kann keineswegs ein bloßes Werk der menschlichen Geschichte sein; wäre sie es, so würde sie ein regelloses Nebeneinander einzelner Erscheinungen werden, eine bloße Spiegelung der Zeit, ein Stück der Kulturgeschichte.“

Rudolf Eucken versteht die Geschichte nicht als ein bloßes Nebeneinander

Mehr leisten kann die Philosophie für Rudolf Eucken nur, wenn sie etwas enthält, das über der Geschichte steht, ein a priori des Lebens, nicht bloß des Denkens, das feste Maße und Richtungen bietet und dadurch das menschliche Streben zu beherrschen vermag. Dieses Übergeschichtliche liefert seiner Meinung nach allerdings nur einen Umriss, denn zu einer vollen Durchbildung bedarf es eines geschichtlichen Strebens, das den Umriss zu einer vollen Gestaltung zu führen vermag.

Wie Georg Wilhelm Friedrich Hegel versteht Rudolf Eucken die Geschichte nicht nur als ein bloßes Nebeneinander. Er betrachtet sie vielmehr als einen Weg zu einer zeitüberlegenen Gegenwart, wobei Rudolf Eucken allerdings nicht glaubt, dabei schon am Abschluss zu stehen. Die Bildung einer Gegenwart gilt für ihn immer noch mitten im Fluss und ist daher offen auch für die Zukunft. Rudolf Eucken ergänzt: „Die so verkündete Geschichte setzt den Glauben an eine zeitüberlegene Wahrheit voraus, nur ein von solchem Glauben getragenes Streben kann den einzelnen Strahlen der Wahrheit, die wir Menschen erreichen, einen Zusammenhang geben und das ganze vor einem Zerfall in flüchtige Erscheinungen behüten.“

Von Hans Klumbies