Rudolf Eucken stellt den Grundcharakter des geistigen Lebens vor

Den Ausgangspunkt zur Selbstbestimmung bildet für Rudolf Eucken die Frage, ob das Leben eines Menschen gänzlich innerhalb der Natur verläuft oder ob es darüber hinaus eine eigentümliche Art entwickelt. Rudolf Eucken hegt keinen Zweifel daran, dass der Mensch auch innerlich zunächst der Natur angehört, die ihn nicht nur von außen her umfängt, sondern sich auch tief in sein seelisches Leben hinein erstreckt. Aber das Seelenleben erschöpft sich nicht allein darin. Es durchbricht vielmehr in allen seinen Hauptentfaltungen wie dem Erkennen, dem Fühlen und dem Streben den dort gezogenen Rahmen der bloßen Natur. Die Erkenntnis im Bereich der Natur besteht für Rudolf Eucken in der Verknüpfung von einzelnen Eindrücken, dem Beharren und Speicherung dieser Empfindungen, woraus sich eine gewisse Verwebung und eine Art von Erfahrung ergeben.

Eigene Werke entstehen durch ein auf das Denken gegründetes Leben 

Rudolf Eucken vertritt die These, dass der Mensch in der Hinwendung zum Denken sich von seiner Umgebung losreißt und sich zugleich allem bloßen Eindruck überlegen erweist. Der Literaturnobelpreisträger des Jahres 1908 schreibt: „ Als denkendes Wesen vermag er sich dem Ganzen der Umgebung entgegenzustellen und sein Verhältnis zur ihr zu erwägen, seine Seele bekundet damit eine innere Selbstständigkeit und ein Vermögen, von sich aus Bewegungen aufzubringen.“

Nur soweit Menschen ihr Leben auf Denken gründen, wird es ihr eigenes Werk, während die Vorstellung mit ihren wechselnden Verknüpfungen das Individuum willenlos hin- und herwirft und bei seiner Abhängigkeit und Zufälligkeit niemals Kulturarbeit hervorbringen kann. Laut Rudolf Eucken  kann das Denken eine solche Selbstständigkeit aber nur erlangen, indem es den Stand eines bloßen Nebeneinander überschreitet, einen Gesamtentwurf bildet und mit ihm alle einzelnen Elemente umspannt, innerlich zusammenhält, den ganzen Bereich durchgliedert und abstuft.

Das menschliche Glück bemisst sich nicht nach der Menge der dargebotenen Lust

Das Denken bekundet für Rudolf Eucken insofern einen neuen Lebensstandard, als es mit voller Klarheit vom Subjekt und von seinem Befinden ein Reich bei sich selbst befindlicher Dinge scheidet, ein Reich, das dem Menschen zunächst wie fremd gegenübersteht, um dass sich aber zu mühen, das sich möglichst zu unterwerfen es nicht verzichten kann. Rudolf Eucken fügt hinzu: „In solcher Richtung des Strebens auf die Dinge erscheint eine innere Erhebung des Lebens über die bloße Zuständlichkeit, ein Weiterwerden bei sich selbst.“

Eine ähnliche Weiterbewegung zeigt laut Rudolf Eucken auch das menschliche Fühlen. Es bleibt nicht wie in der Tierwelt an die sinnliche Erregung gebunden, sondern wird auch von innen her aus den eigenen Bewegungen der Seele erzeugt, die von den bloß sinnlichen grundverschieden bleiben. Rudolf Eucken weist darauf hin, wie oft sich schon das menschliche Streben nach Glück vom sinnlichen Wohlsein entfernt hat – oft hat es sich diesem sogar direkt entgegengestellt. Des Menschen Glück bemisst sich nämlich nicht nach dem Quantum der dargebotenen Lust.

Von Hans Klumbies