Große räumliche Distanzen hält nicht jede Partnerschaft aus

Sich vertragen heißt Verträge schließen, und: Verträge sind einzuhalten. Ein Vertragsbruch ist unehrenhaft. Vertragstreue auch unter widrigen Bedingungen ist hoch ehrenvoll. Kinder brauchen Sicherheit, Bindung, Stabilität, personell, aber auch räumlich. Auch Partnerschaften brauchen genau das, allerdings sind sie modifizierbar. Rotraud A. Perner ergänzt: „Nur hält nicht jede Beziehung große räumliche und zeitliche Distanzen aus; je größer der Abstand wird, desto eher kann sich etwas Fremdes dazwischenschieben und Ursprüngliches verdrängen oder zerstören.“ Was eine Partnerschaft aber gar nicht aushält, ist das Auseinanderdriften von Wertvorstellungen. Zum Beispiel bei der Frage: „Wo läuft die Grenze zwischen der Treue zu sich und Treue zu anderen.“ Rotraud A. Perner ist Juristin, Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin und absolvierte postgraduale Studien in Soziologie und evangelischer Theologie. Eines ihrer zahlreichen Bücher heißt „Die reuelose Gesellschaft“ und ist im Residenz Verlag erschienen.

Verträge dürfen nicht einseitig gebrochen werden

Eine solche Frage gehört privat besprochen, was aber in einer Partnerschaft in den aller seltensten Fällen geschieht. Es heißt: „Ich will mir alles offenlassen.“ Aber das ist für Rotraud A. Perner kein Widerspruch zu einer verbindlichen Absprache: Das eine ist der Rahmen, das andere ein konkretes Detail eines Bildes, das man miteinander abgeben will. Rotraud A. Perner erklärt: „Treue als Vertragstreue bedeutet in meiner Interpretation, dass man einen Vertrag nicht einseitig bricht, sondern ihn gegebenenfalls gemeinsam verändert.“

Dazu gehören auch die Möglichkeiten der Vereinbarung einer Aufhebung auf Zeit wie auch der kompletten Auflösung. Und es gibt auch stillschweigende Vereinbarungen, an die man sich halten sollte. Das Gefühl der Reue ist bei dieser Veränderungsabsicht hilfreich. Es darf reuen, wenn sich die Situation – die äußere oder auch innere – geändert hat und man sich deshalb nicht wohl in seiner Haut fühlt. Dieses Gefühl des Leidens soll sogar spürbar werden, damit die jeweils anderen erkennen können, dass man nicht aus Verantwortungslosigkeit verschwinden will.

Viele junge Menschen leben in einem Vakuum

In einem solchen Fall kann man das Vereinbarte nicht einhalten, ohne sich selbst zu verraten. Das sind dann die Augenblicke, wo sichtbar wird, ob Respekt nur eine Phrase ist oder wirklich gelebt wird. In der gegenwärtigen reuelosen Gesellschaft wird laut Rotraud A. Perner Verträge ihre Verbindlichkeit, oft sogar ihre Sinnhaftigkeit abgesprochen. Vor allem viele junge Menschen bewegen sich in einem Vakuum, was ihre ethisch-moralische Orientierung angeht. Sie lehnen die ethischen Forderungen der Gesellschaft als Eingriff in ihre persönliche Freiheit ab.

Die jungen Menschen glauben, dass ihre Rechte als Individuen das Recht einschließen, ihre eigenen Wertvorstellungen zu entwickeln. Aber sie können nicht erklären, was das bedeuten soll, außer der Freiheit, zu tun, was sie wollen. Das gleiche gilt aber auch für viele nicht mehr so junge Menschen. Auch sie nehmen sich das Recht heraus, zu tun was sie wollen, Gesetze zu brechen, Verträge zu ignorieren, Menschen zu schaden. Sie vertrauen auf die vielen Möglichkeiten, sich der Verantwortung wie auch dem staatlichen Zugriff zu entziehen. Quelle: „Die reuelose Gesellschaft“ von Rotraud A. Perner

Von Hans Klumbies