Das menschliche Gehirn wird oft mit einem Computer verglichen. Doch der Vergleich hinkt. Rolf Dobelli erklärt: „Computer speichern rohe Daten ab, in zwar in Bits, der kleinsten Informationseinheit. Das Hirn speichert nicht rohe, sondern verarbeitete Daten ab.“ Das Lieblingsformat des Gehirns ist nicht das Bit, sondern die Story. Warum ist das so? Weil der Speicherplatz im Kopf eines Menschen beschränkt ist. Rund 80 Milliarden Gehirnzellen klingt nach viel, aber sie reichen bei Weitem nicht aus, um alles was ein Mensch sieht, liest, hört, riecht, schmeckt, denkt und fühlt, abzuspeichern. Also hat das Gehirn einen Trick zur Kompression der Daten erfunden: die Geschichte. Der Bestsellerautor Rolf Dobelli ist durch seine Sachbücher „Die Kunst des klaren Denkens“ und „Die Kunst des klugen Handelns“ weltweit bekannt geworden.
Das Gehirn produziert aus Fakten Erinnerungen
Die reale Welt kennt keine Storys. Rolf Dobelli erläutert: „Sie können zehn Jahre lang mit einer Lupe bewaffnet durch alle Kontinente der Welt stapfen und jeden Stein umdrehen – sie werden keine einzige Geschichte finden.“ Wie macht das Gehirn aus Fakten eine Erinnerung? Indem es sie zu einer kompakten, konsistenten und kausalen Geschichte verbindet. Kompakt, konsistent, kausal – die drei Ks. Kompakt heißt: Die Storys sind kurz, vereinfacht und ohne „Löcher“. Konsistent heißt: Sie sind ohne Widersprüche.
Kausal heißt: Es gibt einen Pfeil von Ursache zu Wirkung, A führt zu B führt zu C, die Entwicklungen ergeben Sinn. Dies alles erledigt das menschliche Gehirn automatisch. Nicht nur mit Fakten wie Kriegen, Börsenentwicklungen oder Modeströmungen, sondern auch mit der eigenen Lebensgeschichte. Storys zu bauen ist der Hauptberuf des sogenannten erinnernden Ichs. Die persönliche Lebensgeschichte beinhaltet, wer man ist, woher man kommt, wohin man geht, was einem wichtig ist.
Viele Dinge im Leben sind nicht planbar
Die Lebensgeschichte eines Menschen nennt man auch das „Selbst“ oder sein „Selbstbild“. Diese Lebensgeschichte ist kompakt. Rolf Dobelli stellt fest: „Wenn jemand Sie fragt, wer Sie sind, haben Sie in wenigen Sätzen eine kurze und bündige Antwort parat. Ihre Lebensgeschichte ist konsistent: Dinge, die nicht hineinpassen, werden bequem vergessen, und Löcher, an die Sie sich nicht mehr erinnern können, stopfen Sie mit erstaunlicher Erfindungsgabe. Ihre Lebensgeschichte ist kausal: Ihre Handlungen ergeben Sinn; für alles, was in Ihrem Leben passiert, finden Sie Gründe.“
Generell gilt: Menschen verändern sich rasanter, als sie glauben. Das gilt nicht nur für ihre Vorlieben, sondern auch für scheinbar so unveränderliche Dinge wie die Merkmale einer Persönlichkeit und Werte. Dazu kommt, dass das Leben planbarer scheint, als es in Wirklichkeit ist. Der Zufall spielt eine viel größere Rolle, als die meisten Menschen wahrhaben möchten. Die Idee des Schicksals ist den letzten 100 Jahren so ziemlich ausradiert worden. Darum ist man auch so erschüttert, wenn einem etwas Schlimmes wie aus dem Nichts heraus passiert. Quelle: „Die Kunst des guten Lebens“ von Rolf Dobelli
Von Hans Klumbies