Reaktionäre arbeiten mit Schuldzuweisungen

Autoritäre und Nationalisten transformieren die Politik in Narrative der Schuldzuweisung. Roger de Weck erläutert: „An allem sind alle anderen schuld, dieser Refrain erschallt von den USA bis Ungarn. Reaktionäre Politik braucht die Endlosschleife des Schmähens unguter Ausländer, unbelehrbarer Feinde, unfairer Kritiker, unfähige Eliten, unheimliche Drahtzieher.“ Andersdenkende sind automatisch Verräter, weil das neurechte Machtdenken einzig Loyale und Illoyale kennt, Gefügige und Schädlinge, Rückendeckung oder Dolchstoß. Und das hat die politische Sprache mit Hass erfüllt, aber solche Aggressivität scheint je länger, desto weniger zu entrüsten. „Der Hasser lehrt uns immer wehrhaft bleiben“, heißt es in Goethes Trauerspiel „Die natürliche Tochter“. Doch auch die Gleichgültigkeit ist ein Kind des Hasses. Der gesunde Schutzinstinkt gegen diese allenthalben erhältliche Droge schwindet – Hass-Dealer setzen bewusst auf diesen Gewöhnungseffekt. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

Reaktionäre wettern gegen „Umwelt- und Weltverbesserer“

Reaktionäre verkaufen ihre Politik ohne Moral, indem sie die Totalherrschaft einer Moral ohne Politik suggerieren. Nicht nur in Österreich wettern Reaktionäre und Konservative gegen „Umwelt- und Weltverbesserer“. Sie seien ein Pulk von „Transgender, Vegetariern, Radfahrern“, poltert die Alternative für Deutschland (AfD). Lauter „privilegierte Modernisierungsgewinner“, stichelt der Axel-Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner. Allüberall heißt es, diese „Grün-“, „Geld-“ und „Gutmenschen“ hätten die Sorgen des Volkes kleingeredet und dadurch vergrößert.

Diesen klassischen Vorwurf erheben Medien, die ihrerseits die Ängste großreden. Jedenfalls könne sich der vegetarisch-städtische „Moraladel“, anders als die breite Bevölkerung, seine Wohlfühlmoral eben auch leisten. Sie seinen weltoffen, weil sie sich weder im Beruf noch im Wohnviertel oder in den Schulen ihrer Kinder an der Migranten-Unterschicht reiben müssten. Sie täten umweltbewusst, weil sie das Kleingeld für biologische Fair-Trade-Produkte hätten. Moral dank Kaufkraft?

Die AfD will den Verdruss der Unzufriedenen nutzen

Roger de Weck weiß: „Aber reaktionären Kräften geht es keineswegs um bessere Aufstiegschancen für Benachteiligte und mehr Zukunftsinvestitionen in die Bildung und Ausbildung von Bildungsfernen.“ Ebenso wenig geht es ihnen um eine Umverteilung von den Hyperreichen zur Unterschicht. Ihre Kritik an „denen da oben“ ist das bewährte demagogische Stilmittel. Die Neue Rechte versammelt nämlich elitäre Elitekritiker. Ihnen ist Gleichstellung zuwider. Die Nation möchten sie groß und größer machen, nicht die kleinen Leute.

Björn Höcke lobt „das unbequeme Leben“ das Benito Mussolini seinen Landsleuten abforderte. Er will weniger die Unzufriedenen besserstellen als ihren Verdruss nutzen. Roger de Weck stellt fest: „Wer die Macht über alles stellt, dem heiligt der Zweck solche Doppelmoral. Auf diesem doppelten Boden lässt sich umso kecker die vorgebliche oder tatsächliche Scheinheiligkeit der Etablierten anprangern.“ Moral ist aus neurechter Sicht zwar schädlich, aber moralische Kritik an den Feinden nützlich. Und ist Moral wurscht, lässt sie sich biegen. Quelle: „Die Kraft der Demokratie“ von Roger de Weck

Von Hans Klumbies