Auf die Klassifizierung von Menschen sollte man besser verzichten

Ein Eindruck von wirtschaftlicher Ungleichheit ist, dass es in der modernen Gesellschaft oft Selbstsucht und Engstirnigkeit sind, die mit hohen Gehältern belohnt werden, während Idealismus und Humanität am Hungertuch nagen. Menschen ordnen ihre Mitmenschen unwillkürlich in Kategorien ein. Diese Klassifizierung hat laut Robert J. Shiller in den Vorstellungen der Menschen mitunter eine übersteigerte Bedeutung. Menschen, die in anderen Berufen tätig sind, werden als grundsätzlich anders angesehen. Robert J. Shiller erklärt „Unterschiede in Persönlichkeit und Charakter gehen zwar tatsächlich mit dem Beruf einher, doch die überzogene Neigung zur Kategorisierung von Menschen steht im Zusammenhang mit einem Phänomen, das Psychologen als fundamentalen Attributionsfehler bezeichnen.“ Robert J. Shiller zählt seit Jahren zu den Topkandidaten für den Wirtschaftsnobelpreis und zu den bedeutendsten Vordenkern in der globalen Wirtschaft. Zu seinen wichtigsten Büchern zählen „Irrationaler Überschwang“ und „Animal Spirits“, das er zusammen mit George A. Akerlof geschrieben hat. Robert J. Shiller lehrt Wirtschaftswissenschaften an der Yale University.

Menschen sind oft parallel oder nacheinander in verschiedenen Bereichen erfolgreich

Es ist nachgewiesen, dass die Menschen das Verhalten anderer oft ungerechtfertigt mit Unterschieden in der Persönlichkeit erklären. Die meisten stellen sich Philosophen, Künstler oder Dichter als diametrale Gegenpole zu Bankern, CEOs oder Geschäftsmännern vor.  Die These, dass Geschäftsleute eine ganz andere Persönlichkeit haben als die Angehörigen anderer Berufsgruppen, wird laut Robert J. Shiller durch den Umstand entkräftet, dass Menschen oft in verschiedenen Bereichen erfolgreich sind, sei es parallel oder nacheinander.

Robert J. Shiller nennt als Beispiele zwei der angesehensten und teuersten zeitgenössischen Künstler, Jeff Koons und Damian Hirst. Beide haben schon für eins ihrer Werke mehr als zehn Millionen Dollar eingenommen. Jeff Koons und Damian Hirst sind für Robert J. Shiller aber nicht nur einzigartige Künstler, sondern auf clevere Finanzprofis, die Unternehmen mit vielen Mitarbeitern leiten und ihr eigenes Werk aggressiv vermarkten. Jeff Koons begann seine Berufslaufbahn als Rohstoffhändler bei Smith Barney und verwendete die dort gemachten Gewinne zur Finanzierung seiner Kunst.

Henry David Thoreau war Schriftsteller und Geschäftsmann

Sogar Revolutionäre müssen sich laut Robert J. Shiller mit Finanzfragen auseinandersetzen. Als Beispiel nennt er Henry David Thoreau, der die Jahre 1845 bis 1847 in totaler Abgeschiedenheit von der modernen Gesellschaft in Walden Pond im Wald verbrachte und über Natur und Spiritualismus nachdachte. Aus seinen Gedanken entstand das berühmte Buch „Walden oder Leben in den Wäldern“. Dabei war er kein Befürworter des Aussteigens und auch selbst kein Aussteiger. Robert J. Shiller erläutert: „Die meiste Zeit seines Lebens war er an der Leitung der Bleistiftfabrik seiner Familie beteiligt, und er erfand sogar eine neue Methode zur Herstellung von Minen.“

In Wirklichkeit war Henry David Thoreau also ein Geschäftsmann. Er vertrat lediglich die Ansicht, dass Geldverdienen nicht sein vorrangiger Lebenszweck sein sollte. Henry David Thoreau schreibt: „Etwas getan zu haben, wodurch ihr nur Geld verdient habt, heißt wahrhaftig müßig gewesen zu sein – oder Schlimmeres.“ Henry David Thoreau konnte sich die Auszeit im Wald leisten, weil er das Einkommen aus dem Familienbetrieb hatte. Auch Künstler, Philosophen und Poeten müssen die Realität akzeptieren, dass es kein Verbrechen ist, sich selbst weiterzubringen und zu Wohlstand zu gelangen, sei es durch finanzwirtschaftliche oder andere Mittel. Laut Robert J. Shiller gründen sich manche der größten menschlichen Errungenschaften auf genau dieses Verhalten.

Von Hans Klumbies