Es ist für Richard David Precht faszinierend zu sehen, wie das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz (KI) die Philosophie zwingt, den Menschen ganz neu zu sehen. Oder wie es der amerikanische Nobelpreisträger Herbert A. Simon bereits 1977 formulierte: „Die wahrscheinlich wichtigste Frage über den Computer ist, was er mit dem menschliche Selbstverständnis und seinem Platz im Universum getan hat und weiterhin tun wird.“ Zweieinhalbtausend Jahre lang waren die Menschen der westlichen Kultur ihrem Selbstverständnis nach das „Andere der Natur“. Beseelt vom göttlichen Logos, der ihnen Vernunft, Urteilsfähigkeit und Sprache schenkte, setzten sie sich die Pflanzen und Tiere als das Triviale entgegen. Der Logos schenkte ihnen die Teilhabe an einer höheren Sphäre des Seins. Diese ist größer als der Mensch selbst. Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.
Der Mensch verlor sein eigenes Wesen aus den Augen
Die Menschheit steht heute zu Beginn eines neuen Jahrtausends christlicher Zeitrechnung. Jedes Jahrtausend hat die Menschen qua Logos von der umgebenden Natur und Tierwelt entfernt und entfremdet. Der Logos hat die Welt entzaubert. Aber in gleichem Maße den großen Entzauberer selbst verzaubert, sodass er sein eigenes Wesen aus den Augen verlor. Die heutige Generation der Logos-Sekte träumt von enorm potenzierten Gehirnen durch „Emulation“.
Richard David Precht kritisiert: „Hohepriester des Silicon Valley lehren uns, in Menschen unvollständige Maschinen zu sehen, statt in Maschinen unvollständige Menschen.“ Der Logos will rein werden; hinweg mit dem Zufall, den natürlichen Barrieren, der sterblichen Hülle. Menschliche Gehirne sollen gescannt und im Computer modelliert werden. Nootropika, leistungssteigernde Medikamente, sollen die Neuronen und Synapsen zum Tanzen bringen. Die optimalen Spermien vereinen sich mit den schönsten Eizellen beim Invitro-Casting. Hirnimplantate könnten überlegene Cyborgs hervorbringen.
Die Welt des Maschinen-Logos ist blutleer und banal
Der Drang in ein bizarres Mehr, die Steigerung ins Absurdistan des technisch Denkbaren befeuert sich durch eine tiefe Kränkung. Richard David Precht erläutert: „Unsere Maschinen können besser sehen, hören, rechnen und kalkulieren als Menschen.“ Definiert der Mensch sein Wesen weiter über den Logos und nimmt an Maschinen Maß, so muss er sich optimieren. Ansonsten bleibt er auf der Strecke. Doch die Welt des Maschinen-Logos ist erschreckend eintönig. Sie ist blutleer und banal.
Die Lage ist paradox. Viele Menschen vergleichen sich mehr und mehr mit Computern anstatt mit Tieren. Zugleich erkennen sie aber, wie wenig die Leistung von Rechnern überhaupt mit menschlicher Intelligenz vergleichbar ist. Denn immer präzisere Mustererkennung und immer leistungsfähigere Statistiksysteme schaffen noch lange keine echte Intelligenz. Menschliche Intelligenz ist „das, was man einsetzt, wenn man nicht weiß, was man tun soll.“ So formulierte es der Schweizer Entwicklungspsychologe Jean Piaget. Quelle: „Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens“ von Richard David Precht
Von Hans Klumbies