Willensimpulse bestimmen die Glücksdynamik

Die künstliche Intelligenz (KI), die einen Meister des „Go“ Spiels schlug, ist nicht emotional. Emotionalität ist kein irrationales Manko des Menschen, wie viele antike Griechen und manchen Philosophen der Aufklärung, wie beispielsweise Immanuel Kant, meinten. Richard David Precht erläutert: „Ohne unsere Gefühle wüsste unser Verstand überhaupt nicht, was er tun soll. Es sind unsere emotionalen Willensimpulse und ihre Erfüllung, die wesentlich unsere Glücksdynamik bestimmen.“ Künstliche Intelligenzen können Emotionen zwar mit Sensoren erspüren und mimisch und stimmlich imitieren. Aber das macht sie beileibe nicht zu emotionalen Wesen. „Affective Computing“ verhält sich zum Empfinden von Emotionen wie Donald Duck zu einer Stockente. Auch können künstliche Intelligenzen nicht alle menschlichen Gefühle lesen. Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

Emotionen lösen Vorstellungen aus

Gefühle entstehen, wenn Emotionen Vorstellungen auslösen. Komplexe Formen der Traurigkeit, wie Selbstmitleid, Reue oder Einsamkeit, sind ebenso wenig lesbar wie komplexe Formen der Freude, wie Schadenfreude, Stolz oder Zuversicht. Maschinen können die Zwischentöne und Fantasien echter Gefühle weder beobachten, noch können sie sie verstehen oder erzeugen. Ihre emotionale Sensitivität macht Menschen weiterhin und dauerhaft zu Tieren.

In diesem Punkt sind Menschen sogar näher an Pflanzen als an Maschinen. Die Corona-Krise, bei der sich viele Menschen ihrer biologischen Verletzbarkeit panisch bewusst wurden, dürfte dies vielen wieder gegenwärtig gemacht haben. Richard David Precht fügt hinzu: „Doch unsere animalische Sensitivität neu zu entdecken ist nicht nur mit nachvollziehbaren Ängsten verbunden. Zugleich ist es eine fantastische Reise in biologisch oft weithin unerforschtes Gebiet. Man denke nur an die etwa einhundert Billionen Bakterien, die in Tausenden verschiedenen Stämmen im menschlichen Darm leben.“

Jedes Lebewesen lebt in seiner eigenen Umwelt

Ihr Gesamtgewicht übertrifft sogar das des menschlichen Gehirns. Diese Bakterien, oft viel älter als der Mensch, beeinflussen nicht nur die Verdauung, sondern auch das Denken und möglicherweise sogar das Verhalten. Es handelt sich dabei um ein Ökosystem von enormer Diversität, das der Mensch, wie so vieles andere in der Natur, noch nicht einmal ansatzweise verstanden hat. Die neue philosophische Biologie schaut viel weniger darauf, was andere Lebewesen für den Menschen bedeuten.

Sie versucht zu verstehen, was Sensitivität, Wahrnehmung und Leben für die jeweiligen Lebewesen bedeuten. Wer die Paviane verstünde, der sei ein größerer Philosoph als John Locke, bemerkte einst Charles Darwin. Eine solche Forschung beobachtet nicht schlichtweg Lebewesen. Sie beobachtet, wie andere Lebewesen beobachten. Ihr Pionier, der Este Jakob Johann von Uexküll, realisierte Anfang des 20. Jahrhunderts, dass Tiere nicht in einer Umwelt leben, sondern jedes Lebewesen in einer je eigenen Umwelt. Quelle: „Künstliche Intelligenz“ von Richard David Precht

Von Hans Klumbies