Viele Menschen suchen stets nach einer Instanz, der sie die Verantwortung für das eigene Tun aufbürden können. Früher machte man vor allem Gott, die Vorsehung, dann – die Politik verantwortlich. Reinhard K. Sprenger ergänzt: „Heute scheinen einige Naturwissenschaftler die Rolle übernehmen zu wollen und kommen damit einem gesellschaftlichen Bedürfnis nach faktischer naturwissenschaftlicher Sicherheit nach.“ Sie unterscheiden zunächst zwischen Handlungsfreiheit und Willensfreiheit. Die Handlungsfreiheit besteht in der Wahl der Mittel und Wege zu bestimmten Zielen. Die Handlungsfreiheit sagt: „Wir können tun, was wir wollen.“ Die Willensfreiheit ist davon zu scheiden. Sie besteht darin, sich ohne fremdes Diktat eigene Ziele zu setzen. Hier lautet die Frage: „Können wir auch wollen, was wir wollen?“ Reinhard K. Sprenger ist promovierter Philosoph und gilt als einer der profiliertesten Managementberater und Führungsexperte Deutschlands.
Keine Entscheidung eines Menschen ist zufällig
Niemand hat je bestritten, dass die Freiheit eines Menschen Grenzen hat. Gäbe es diese Grenzen nicht, dürfte man nicht mehr von Freiheit sprechen, sondern von Zufall oder Chaos. Und genau so ist es auch mit der Willensfreiheit. Ein von den eigenen Erfahrungen, Prägungen und Erinnerungen losgelöster Wille wäre eben kein Wille mehr, sondern purer Zufall, Beliebigkeit. Reinhard K. Sprenger erklärt: „Aber keine unserer Entscheidungen ist zufällig. Sie sind gebunden an unzählige kleine Ursachen, Erfahrungen in Kindheit und Beruf, Menschen, denen wir begegnet sind, Bücher, die wir gelesen haben.“
Insofern sind Entscheidungen begründbar. Menschen können sie sich bewusst machen, aber diese Prozesse finden auch ohne eigene Beobachtung statt. Und einerlei ob bewusst oder unbewusst, kein anderer Mensch auf dieser Welt hat exakt dieselben Erfahrungen in Kindheit und Beruf, ist denselben Menschen in gleicher Weise begegnet, hat kulturelle Prägungen in gleicher Weise verarbeitet. Schon bei simpler Selbstbeobachtung wird einem klar, dass ganz bestimmte Verhaltensweisen fremder Kulturen für einen selbst völlig ausgeschlossen sind.
Die Annahme eines freien Willen ist ein kulturelles Konzept
Freiheit und Determiniertheit sind für Reinhard K. Sprenger keine Widersprüche, sondern bedingen einander. Die Krux der Willensfreiheit liegt seiner Meinung nach nicht im „Dass“ der Bedingtheit, sondern in ihrem „Wie“. Auf der Basis und im Rahmen von Grenzen erlebt man sich als frei – das heißt, zu freien Entscheidungen fähig. Menschen denken gerne in Gegensätzen wie „Entweder – Oder“. Die allermeisten Menschen erfahren sich in ihren alltäglichen Handlungen als Wählende, insofern Freie.
Wer mehrmals täglich „Ich will!“ gesagt hat, für den ist sein freier Wille zweifelsfrei. Man kann sich seinen freien Willen einfach nicht wegdenken. Und das alltägliche Moralbewusstsein eines Menschen funktioniert unausrottbar gleich, auch wenn man vorher einen Vortrag über die „Illusion der Willensfreiheit“ gehört hat. Außerdem ist die Willensfreiheit praktisch. Menschen brauchen sie. Sie könnten gar nicht handeln ohne die Voraussetzung eines freien Willens. Die Annahme eines freien Willen ist eben ein bestimmtes kulturelles Konzept, mit dessen Hilfe man sein Verhältnis zur Welt bestimmt. Quelle: „Die Entscheidung liegt bei dir!“ von Reinhard K. Sprenger
Von Hans Klumbies