Regionale Einheiten haben das Bild der deutschen Kultur geprägt

Es gibt Menschen, die ihre spezifische Skepsis gegenüber einer „deutschen Kultur“ nicht einfach nur behaupten, sondern bereit sind, diese zu begründen. Das erste Argument, das in diesem Zusammenhang regelmäßig angeführt wird, lautet: Deutschland ist so hochgradig regional geprägt, dass sich nicht sinnvoll von einer gemeinsamen „deutschen Kultur“ reden lässt, sondern allenfalls von einer „bayerischen“ einer „rheinischen“, einer „westfälischen“, einer „sächsischen“ usw. Thea Dorn schreibt: „Auf den ersten Blick hat das Argument, die deutsche Kultur erschöpfe sich in Regionalkulturen, einiges für sich. Wie der Philosoph und Soziologe Helmuth Plessner es so schön auf den Begriff brachte, handelt es sich bei Deutschland um eine „verspätete Nation“, sprich: Bis 1871 war Deutschland ein bunter – manche sagen: grotesker – Flickenteppich aus Königreichen, Großherzog-, Herzog-, und Fürstentümern; ein Kurfürstentum, eine Landgrafschaft und ein paar freie Städte kamen noch hinzu.“ Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.

Über die deutsche Kultur sind viele dicke Bücher geschrieben worden

Kein Wunder also, dass regionale Eigenheiten das Bild der deutschen Kultur stärker geprägt haben, als dies etwa im zentralistischen Frankreich der Fall ist – wobei sich Thea Dorn sich auch da nicht sicher ist. Sie bezweifelt, dass sich der Bretone dem Pariser tatsächlich inniger verbunden fühlt als der Bayer dem Berliner. Sämtliche Bücher, die sich in den vergangenen Jahren ernsthaft bemüht haben, anschaulich zu machen, was unter „deutscher Kultur“ sinnvollerweise verstanden werden könnte, sind dick. Sehr dick.

Das Buch „Die Deutsche Seele“ von Thea Dorn und Richard Wagner ist mit ihren 560 Seiten noch eine vergleichsweise schmale Lektüre. Einzig der Althistoriker und Kulturwissenschaftler Alexander Demandt bleibt mit seinem Werk „Über die Deutschen“ knapp darunter. Der britischen Kulturhistoriker Peter Watson etwa benötigt nahezu 1.000 Seiten, um die Frage „Was ist deutsch?“ zu beantworten; und die von den französisch-deutschen Historikern Etienne François und Hagen Schulze herausgegebene Anthologie „Deutsche Erinnerungsorte“ hat deutlich über 2.000 Seiten.

Kulturen unterliegen einer ständigen Veränderung

Einen klischeehaften Begriff vom Deutschen hätte man, wenn man Sätze sagen würde wie: Deutsche Kultur bedeutet, samstags Bundesliga zu schauen, sonntags Tatort und montags pünktlich zur Arbeit zu erscheinen. Oder: Deutsche Kultur bedeutet, im Frühjahr Spargel zu essen, im Sommer nach Bayreuth zu fahren, im Herbst das Reformationsfest zu feiern und im Winter auf den Weihnachtsmarkt zu gehen. Nichts liegt Thea Dorn allerdings ferner als derartige Pauschalierungen und Verkürzungen.

Selbstverständlich verändern sich Kulturen. Die französische Philosophin Catherin Malabou hat für komplexe Wandlungsprozesse den Begriff der „Plastizität“ geprägt. Im Anschluss an den deutschen Großdenker Georg Wilhelm Friedrich Hegel unterscheidet sie zwei falsche Arten, wie sich ein Mensch zu seiner Umwelt verhalten kann: Entweder er lehnt jeden neuen Einfluss ab und erstarrt, oder er nimmt alles an, lässt sich beständig verformen und wird beliebig. Als einzige produktive Einstellung gegenüber dem Neuen, dem „Fremden“ macht Catherine Malabou die „Plastizität“ aus: jene Haltung, sich für Veränderungen zu öffnen, ohne sich dabei zu deformieren. Quelle: „deutsch, nicht dumpf“ von Thea Dorn

Von Hans Klumbies