In ihrem neuen Buch „Wach denken“ stellt die Philosophin Rebekka Reinhard die These auf, dass die Vernunft der Menschen durch das strikte Beharren auf Gegensätzen verblödet: „Nicht die Dummheit sollte uns Sorge bereiten. Sondern die Verblödung der Vernunft.“ Es gibt eben nicht nur Problem oder Lösung, Erfolg oder Scheitern, echt oder Fake, Mann oder Frau. Aus Einfachheit wird Unfreiheit, aus Eindeutigkeit ein Terror der Anpassung. Die Alternative von Rebekka Reinhard ist das „wache Denken“. Es entspricht der Uneindeutigkeit der Welt und begegnet ihr mit Lust am Spiel, am Experiment, am Wagemut. Rebekka Reinhard fordert ihre Leser auf, sich auf die Unberechenbarkeit des Lebens einzulassen. Und dabei frei, kreativ und vorurteilslos auf die Welt zu schauen. Die Philosophin Rebekka Reinhard ist seit 2019 stellvertretende Chefredakteurin des Magazins „Hohe Luft“.
Die verblödete Vernunft kennt nur Entweder – Oder
Die Vernunft verblödet, wenn sie genauso operiert wie das Smartphone ihres Trägers: schnell, neu, lösungsfixiert, zweifelsfrei. Im Unterschied zur reinen Dummheit schließt verblödete Vernunft für Rebekka Reinhard die Rationalität nicht aus. Sie enthält allerdings nur noch deren Basismodule. Der eigentliche interessante Rest landet auf dem Wertstoffhof. Dazu zählt die Autorin Selbstreflexion, kritisches Hinterfragen, relative Zweifel, begründete Einsprüche und das experimentelle Überprüfen von Hypothesen.
Das zentrale Dogma der verblödeten Vernunft ist das falsche Dilemma: Entweder – Oder. Mit ihrem ideologischen Machtanspruch bestätigt sie sich permanent selbst. Sie setzt sich selbst nämlich absolut. Sie lässt nichts anderes neben sich gelten. In ihrer Starrheit weist diese irrationale Rationalität eine verblüffende Nähe zur binären digitalen Informationsverarbeitung von Computern auf. Rebekka Reinhard nennt sie deshalb Computer-Logik. Dabei handelt es sich um ein Denken, das Vieldeutigkeit in Eindeutigkeit übersetzt und nur zwei Zustände zulässt: das widerspruchsfreie Entweder – Oder.
Die Computer-Logik nimmt den Menschen ihre Freiheit
Rebekka Reinhard glaubt, dass die Logik der Computer die Gehirne vieler, zu vieler Menschen gehackt hat. Die Logik der Computer ist weder weise, noch zeitgemäß, noch zukunftsweisend. Die Autorin nennt sie aufgrund ihrer mangelnden Agilität und Starrheit schlicht dumpf. Ideologische Verblendung, Rechthaberei, Autokratie und Sexismus speisen sich aus derselben Quelle: der Computer-Logik. Diese Logik verhindert nicht nur, dass die Menschen so vernünftig sind, wie sie sein könnten. Sie beeinträchtigt auch die Menschlichkeit und nimmt den Individuen ihre Freiheit.
Ein Ziel des wachen Denkens ist es, neue Tugenden hervorzubringen. Dazu ist es notwendig sich an richtige Fragen zu erinnern: „Wie soll man leben?“ Laut Aristoteles ist der höchste Vorsatz der menschlichen Existenz ein gutes, glückliches, sinnvolles, im Ganzen gelungenes Leben. Diese Glückseligkeit verbindet sich für ihn untrennbar mit Tugendhaftigkeit. Jede Tugend hat jedoch streng genommen untugendhafte Anteile. Paradox gesagt: Jede Tugend ist eine Untugend. Dreien von ihnen könnten eine glänzende Zukunft bevorstehen. Rebekka Reinhard zählt dazu die Gegenwärtigkeit, die Leichtigkeit und die Liebe.
Wach denken
Für einen zeitgemäßen Vernunftgebrauch
Rebekka Reinhard
Verlag: Edition Körner
Gebundene Ausgabe: 195 Seiten, Auflage: 2020
ISBN: 978-3-89684-282-4, 20,00 Euro
Von Hans Klumbies