Die moderne Welt überfordert den Menschen

Der Mensch vertraut der Technologie nicht nur, weil sie so gut funktioniert, sondern auch, weil er sie nicht versteht. Es bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als ihr zu vertrauen. Rebekka Reinhard fügt hinzu: „Sowenig er aber auch die Technologie versteht, die natürliche Welt überfordert ihn gleichermaßen. Sobald er ein elektronisches Gerät in Händen hält, kommt sie ihm vor wie ein Fremdkörper.“ Denn die Welt bietet ihm eine Fülle möglicher Entscheidungen, ohne ihm die passende Anwendung mitzuliefern. Sie sagt ihm nicht, welche Option die richtige ist. Die Benutzeroberfläche der modernen Welt ist viel unübersichtlicher als die des antiken Mythos. Seither haben sich die Optionen, was man trinken, essen, leben kann, vertausendfacht. Die Philosophin Rebekka Reinhard ist seit 2019 stellvertretende Chefredakteurin des Magazins „Hohe Luft“.

Positive Anreize verstärken das menschliche Tun

In der Welt wimmelt es jetzt vor Scheidewegen. Und das ist ein Problem. Welche Entscheidung ist richtig? Kaum poppt diese Frage auf, hat man schon Google befragt. Findet man keine Lösung für sein Problem, fühlt man sich bestraft. Tut man das, was die Leute in der eigenen „Wir-Gruppe“ tun, fühlt man sich belohnt. Der moderne Mensch kann ohne Probleme und Lösungen nicht leben. Probleme und Lösungen helfen ihm, das Chaos zu strukturieren.

Problem gleich Bestrafung, Lösung gleich Belohnung. Die Null-und-Eins-Logik, welche die verblödete Vernunft über die Welt stülpt, funktioniert immer perfekter, je öfter man durchs Problemlösen belohnt wird. Rebekka Reinhard stellt fest: „Diese Veränderung im Denken scheint Teil einer umfassenden Verhaltensänderung zu sein: der operanten Konditionierung.“ Dass menschliches Tun durch positive Anreize verstärkt und durch negative vermieden werden kann, bewies in den 1950er Jahren B. F. Skinner.

B. F. Skinner strebte eine totale Gleichheit an

Wie sehr sich B. F. Skinners Menschenbild von dem Immanuel Kants unterscheidet, zeigt der Titel seines Magnus Opus: „Jenseits von Freiheit und Würde“ (1971). B. F. Skinners Utopie war eine globale Kultur totaler Gleichheit, in der alles Chaos, alle Vieldeutigkeit ausradiert ist. In dieser steuern sich Menschen wie perfekt programmierte Automaten selbst, optimieren und kontrollieren sich, angestupst nur durch ein paar sanfte Sanktionen. Der Mensch als Bündel von Verhaltensweisen braucht keine freien Willen.

Willensfreiheit ist schädlich für den Weltfrieden. Individuelles Selbstdenken ist das Problem, kollektive Selbststeuerung die Lösung. B. F. Skinner schreibt: „Es ist der autonome innere Mensch, der abgeschafft wird und das ist ein guter Schritt voran.“ Im Jahr 1971 fügt er hinzu: „Wir haben noch nicht erkannt, was der Mensch aus dem Menschen machen kann.“ Jetzt wissen wir es: Algorithmen, die auf Eindeutigkeit stehen. Dass es so weit kommen konnte, liegt auch am sogenannten „automation bias“. Also an der Tendenz, automatisierten Systemen mehr Objektivität zuzutrauen als eigenen Beobachtungen und Erkenntnissen. Quelle: „Wach denken“ von Rebekka Reinhard

Von Hans Klumbies