Die Weltordnung justiert sich neu

Das Philosophie Magazin Nr. 04/2022 stellt im Titelthema die Frage „Wohin steuert die Geschichte?“ Die Antworten darauf sind vielfältig und beschäftigen Philosophen von der Antike bis zur Gegenwart. Jetzt da der Ukrainekrieg die Welt in große Ungewissheit stürzt und die Weltordnung sich neu justiert, ist sie drängender denn je. Es gibt eine Disziplin, die seit jeher versucht, Gesetze im Gang der Geschichte zu erkennen. Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler kennt sie: „Die Geschichtsphilosophie ist es, die versteckte Logiken aus der scheinbaren Willkür herauspräpariert, um die menschliche Gattung in einen überwölbenden Gesamtkontext zu stellen.“ Wird Hegel recht behalten? Ist der Krieg eine dialektische Volte, die den Pfad des Fortschritts schlussendlich vorantreiben wird. Friedrich Nietzsche dagegen ging von einen zyklischen Geschichtsverlauf aus: Dann wäre der Krieg die Wiederkehr des Immergleichen, aus dem es kein Entrinnen gibt.

Für Parag Khanna ist Deutschland ein Vorbild

Fünf verschiedene Bewegungsweisen der Geschichte lassen sich unterscheiden: zyklisch, linear, dialektisch, disruptiv und postmodern. Die Menschheit muss sich jedoch in ihrem Begehren, die Geschichte einem einzigen Narrativ zu unterwerfen, verabschieden. Demnach gäbe es nicht nur die Geschichte, sondern unzählige Geschichten. Diese blieben bisher im Dunklen und müssen erst noch erzählt werden. Die Kraft der Philosophie zeigt sich gerade in verwirrenden, beängstigenden Zeiten. Sie ist der Kompass, an dem sich das Denken orientieren kann.

Autokratische Regime erstarken. Der Ruf nach Führung wird angesichts dramatischer Krisen auch in der Demokratie immer lauter. Muss sich der Liberalismus neu erfinden? Über diese Fragen diskutieren Parag Khanna und Herfried Münkler, zwei der wichtigsten geopolitischen Stimmen der Gegenwart. Herfried Münkler hält dabei den Ausgang der Konkurrenz zwischen dem Politikmodell Chinas und dem des Westens für relativ offen. In seinen Schriften zur Technologie erhebt Parag Khana nicht China zum Vorbild, sondern Deutschland. Denn er hält Deutschland für das Modell eines großen Staates, der gleichzeitig technokratisch und demokratisch ist.

Der Mensch verträgt nicht sehr viel Wirklichkeit

Zum Klassiker unter den Denkern hat diesmal das Philosophie Magazin Hans Blumenberg erkoren. Für ihn hat jede Epoche ihre eigene Wirklichkeit, die man durch das Studium ihrer Metaphern entschlüsseln kann. Um nämlich mit den übermächtigen Realitäten fertig zu werden, erzählen sich die Menschen seit jeher Geschichten. Dabei erzählte man nicht, um sich zu unterhalten, sondern zu überleben. Der Mensch, das ist für Hans Blumenberg auch eine Lektion aus seiner eigenen Biografie, ist ein fragiles Wesen. Dadurch verträgt er eben nicht sehr viel Wirklichkeit.

Das Buch des Monats heißt diesmal „Der Streit um Pluralität. Auseinandersetzungen mit Hannah Arendt“ von Juliane Rebentisch. Für die Autorin steht Hannah Arendts Aktualität außer Frage. Ihr Denken jedoch ist in vielem anfechtbar. Am Leitfaden der Pluralität untersucht Juliane Rebentisch Arendts Denken in zehn Kapiteln, die, von „Wahrheit“ über „Kolonialismus“ bis „Demokratie“, allesamt auf aktuelle Debatten abzielen. Folgt man Juliane Rebentisch, dann ist die heute so bewunderte Hannah Arendt eine Philosophin mit brandaktuellen Themen und dringend zu hinterfragenden Denkfiguren.

Von Hans Klumbies