Das Thema der neuen Sonderausgabe Nr. 33 des Philosophie Magazins lautet diesmal: „Die Kunst des Nichtstuns“. Jana Glaese, Chefredakteurin der Sonderausgabe, weiß natürlich, dass ein absolutes Nichtstun unmöglich ist: „Und doch markiert der Begriff eine Sehnsucht, einen fernen Punkt am Horizont, dessen Zauber in seiner Unerreichbarkeit liegt. Nichtstun ist Grenzbegriff und Gegenentwurf in einer beschleunigten Welt.“ Eine gelassenere Form des Daseins zu kultivieren ist eine Kunst. Sie besteht unter anderem darin, aufmerksamere und langsamere Formen des Tuns zu entdecken. Im Nichtstun und seien Varianten liegt auch eine Form der Gesellschaftskritik. Der Müßiggänger, die Tagträumerin und der Meditierende sagen nicht laut Nein. Doch wo sie mehr suchen als lediglich Erholung vor der nächsten Arbeitswoche, hat ihr vermeintliches Nichtstun utopisches Potenzial. Jana Glaese vermutet: „So gesehen ebnen Untätigkeit und Kontemplation womöglich nicht nur den Weg in ein beglückenderes, sondern auch in ein besseres Leben.“
Gelassenheit ist ein mehrschichtiges Geschehen
Thomas Strässle, Professor für Literaturwissenschaft an der Universität Zürich, vertritt die These, dass Gelassenheit ständig erneuert werden muss. Zudem zählt sie für ihn zu einer der Kernkompetenzen des 21. Jahrhunderts. Die Gelassenheit ist laut Thomas Strässle ein mehrschichtiges Geschehen: Es geht erstens um ein Ablassen, ein Loslassen im Sinne des Verzichts. Zweitens geht es auch um ein Zulassen, im Sinne eines Gewährenlassens, Seinlassens. Und drittens geht es um ein Überlassen, um ein Verhältnis zur Welt, das auf Vertrauen und Zutrauen beruht.
Wer nicht arbeitet, wird häufig als faul diffamiert. Anselm Jappe, Philosophieprofessor an der Accademia di Belle Arti di Roma, ist da anderer Ansicht: „Vernünftig aber wäre, nicht eigen Gegensatz zwischen Arbeit und Faulheit zu konstruieren, sondern sinnvolle von sinnlosen Tätigkeiten zu unterscheiden.“ Es gilt, mit der Ideologie des „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“ zu brechen und die jahrhundertelange Verherrlichung der Arbeit zu beenden. Nicht im Namen der Faulheit schlechthin, sondern im Namen von Tätigkeiten, die ihren Sinn in sich selbst haben und bewusst gewählt werden.
Das Café ist ein Ort der Muße
Die Kontemplation ist weit mehr als nur Nichtstun. Für Theodor W. Adorno zeigt sich ihr eine Form zweckfreier Weltbegegnung, die utopisches Potenzial in sich birgt. Marin Seel, emeritierter Professor für Philosoph an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, fügt hinzu: „Kontemplation ist Adornos Begriff für eine Praxis, in der man sich aufeinander einlassen und doch einander sein lassen kann. In der Erfahrung zweckfreier Beziehungen zu anderem und anderen sieht Adorno ein weithin unterdrücktes Potential der Humanität, das seine Kritik am Zustand moderner Gesellschaften motiviert.“
Beim Runterkommen hilft die richtige Umgebung. Oft findet man fernab von Geräten und Gesellschaft zur Muße, manchmal aber auch mitten im Getümmel. Ein solcher Ort der Muße ist zum Beispiel das Café. Hier ist man inmitten geselligen Zusammenseins, doch zugleich auch ganz bei sich. Nicht umsonst haben die französischen Existenzialisten das Café als ihren Raum des Denkens auserkoren. In ihm existiert die Muße, wie sich mit dem Phänomenologen Hermann Schmitz sagen ließe, als „räumlich ergossene Atmosphäre“. Von Einzelnen getragen, zu einer Stimmung erwachsen, regt sie an; man stimmt sich ein. Denn es lässt sich wunderbar darin eintauchen.
Von Hans Klumbies