Das Titelthema des neuen Philosophiemagazins 04/2025 handelt diesmal von Wahrheit und Lüge. Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler schreibt: „Der Vorwurf der Lüge ist weit verbreitet und oft berechtigt. Doch wird er auch als rhetorisches Mittel eingesetzt, um Gesprächspartner aus dem Diskursfeld zu kicken. Wer lügt, disqualifiziert sich schließlich selbst.“ Wenn unklar bleibt, was Lügen, Tatsachen oder Meinungen genau sind, und auch mit dem Begriff „Wahrheit“ am Ende alles und nichts gemeint ist, wird es schwierig bis unmöglich, noch die Basis zu definieren, auf der Debatten stattfinden können. Der Philosoph Slavoj Žižek erklärt in seinem Beitrag das sogenannte Lügenparadox. Aussagen wie „Alles was ich sage, ist falsch“ wurde vom antiken Griechenland und Indien bis hin zur Philosophie des 20. Jahrhunderts endlos diskutiert. Das Problem ist, dass, wenn diese Aussage wahr ist, sie falsch ist – nicht alles, was ich sage, ist falsch – und umgekehrt.
Halbwahrheiten verhindern eine geteilte Wirklichkeit
Laut Nicola Gess schillert zwischen Wahrheit und Lüge die Halbwahrheit. Alle Menschen gebrauchen Halbwahrheiten im Alltag. Zum Problem werden sie erst, wenn sie im politischen Diskurs die Oberhand gewinnen. Die Professorin für Neuere deutsche und Allgemeine Literaturwissenschaft Nicola Gess erläutert: „Sie weichen nämlich die Unterscheidung zwischen Tatsachen und Meinungen, Wahrheit und Lüge auf. Dann hat man irgendwann, mit Hannah Arendt gesprochen, keine geteilte Wirklichkeit mehr. Jeder kann sich die Wirklichkeit so zurechtbiegen, wie er möchte.“
Der Philosoph Christian Bermes setzt sich mit Fragen auseinander was die Lüge auszeichnet und was sie von angrenzenden Phänomenen wie Irrtümern, Illusionen und Übertreibungen unterscheidet. Er stellt fest: „Die Lüge ist allgegenwärtig und grenzenlos, sie umspannt Öffentlichkeit und Privates. Sie ist nicht mehr der Ausnahmezustand, das Lügen wird zur Regel.“ Mit Lügen wird Verlässlichkeit ein schweres Geschäft, im Lügen setzt sich an die Stelle von Vertrauen meist Argwohn.
Olympe de Gouges setzt sich für die Rechte der Frauen ein
Für den Philosophen Martin Krohs gibt es mehrere gütige Sichtweisen auf Dinge. Geeignete Denkmittel ermöglichen einen produktiven Umgang mit dissonanten Wahrheiten. Er schreibt: „Wir leben in einer Zeit von Ungewissheit. In einer Welt der offenen Szenarien, der konkurrierenden Hypothesen, der schwankenden Wahrheiten – in einer taumelnden Wirklichkeit. Aber anstatt uns gewandt und elastisch in ihr zu bewegen, stehen wir stocksteif da und schreien einander an.“
Die Rubrik „Klassiker“ ist diesmal Olympe de Gouges und den Frauenrechten gewidmet. Das bekannteste Vermächtnis von Olympe de Gouges ist sicher ihre 1791 verfasste „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“, in der sie erstmals gleiche Rechte und Pflichten für Bürgerinnen fordert. Zur Zeit ihres Erscheinens findet die Erklärung zunächst kaum Beachtung. Heute gilt sie jedoch als Gründungsdokument der Frauenrechtsbewegung, dessen Forderungen lange Zeit nichts an Radikalität und Progressivität einbüßten.
Von Hans Klumbies