Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 02/2025 beschäftigt sich diesmal mit Gewohnheiten. Manchmal scheint es gänzlich unmöglich zu sein, von einer Gewohnheit abzulassen, sie gegen eine neue einzutauschen. Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler schreibt: „So tief sitzt und diese oder jene Gewohnheit in den Knochen, so unauflöslich gehört sie zum Ich, dass es einer Selbstverletzung gleichkäme, auf sie zu verzichten.“ Nicht umsonst charakterisiert man Menschen maßgeblich über jene Tätigkeiten, die sie wiederholt, routiniert, ja nahezu automatisiert ausüben und die den Alltag erleichtern, weil sie der Last der Entscheidung enthoben sind. Wie sehr lieb gewonnene Verhaltensweisen mit dem Ich verwoben sind, zeigt sich überdeutlich dann, wenn ein Mensch davon abgehalten wird, sie auszuüben. Gerade weil die Gewohnheit Halt gibt und das Leben erleichtert, hängt das Ich an ihr; und zwar bisweilen so sehr, dass sie ins Zwanghafte driftet.
Susan Sontag war ein „Buch-Junkie“
Friedrich Nietzsche sah gerade in jenen Gewohnheiten, die bloß temporär angenommen und zur rechten Zeit auch wieder abgelegt werden, große Vorteile. Nur durch kurze Gewohnheiten sei die Möglichkeit gegeben, „viele Sachen und Zustände kennenzulernen“, und zwar durch und durch, bis hinab „auf den Grund ihrer Süßen und Bitterkeiten“. Ein Graus sind für Friedrich Nietzsche „Ereignisse“, aus denen Gewohnheiten „mit Notwendigkeit zu wachsen scheinen“.
Auf die Frage „Sollte ich mehr lesen?“ antwortet Susan Sontag: „Es ist die Lektüre der Klassiker, die die intellektuellen Standards und Ideale setzt. Und damit ist es auch das intensive Lesen, das uns mit Bewunderung für die großen Autoren erfüllt und uns zum eigenen Denken und Schreiben motiviert.“ Susan Sontag selbst war ein, wie sie es nennt, „Buch-Junkie“ und ihr Leben „buchtrunken“. Sie besaß um die 15.000 Bücher, füllte ihre Notizhefte mit langen Lektürelisten und las ihre Lieblingsbücher mehrfach.
Es kann keine Gesellschaft ohne Pflege geben
Hannah Arendt und die „Lüge in der Politik“ ist diesmal das Thema in der Rubrik „Klassiker“. Eigentlich ist die Denkerin auch für ihren „Rigorismus der Wahrheit“ bekannt. Doch ausgerechnet sie hat das Lügen nicht nur verteidigt, sondern förmlich geadelt, indem sie die Lüge in unmittelbaren Zusammenhang mit der menschlichen Freiheit brachte. Allerdings fügt sie hinzu, dass dieselbe Freiheit, die sich in der Lüge manifestiert, durch sie auch „missbraucht und pervertiert“ werde.
Das Buch des Monats heißt „Die Klinik der Würde“ von Cynthia Fleury. Als wichtige Vertreterin einer Philosophie der Sorge weist sie darauf hin, dass es strukturell keine Gesellschaft ohne Pflege gegen kann. Die Bürde der schmutzigen Arbeit tragen aber meist solche, die selbst „unwürdig“ leben und unsichtbar gemacht werden. Würde, das ist vielleicht die zentrale Erkenntnis dieses Buchs, ist dynamisch und dialektisch: Kein Individuum kann eine Vorstellung seiner Würde entwickeln, ohne die der anderen zu berücksichtigen, und eine Verletzung der Würde der anderen Person hebt die eigene sofort auf.
Von Hans Klumbies