Vertrauen lässt sich nicht erzwingen

Die Frage des Vertrauens ist es, die das aktuelle Geschehen tief durchdringt. Deshalb lautet das Titelthema des neuen Philosophiemagazins 01/2021 auch: „Worauf vertrauen?“ Grundsätzlich lässt sich Vertrauen nicht erzwingen. Es kann nur geschenkt und jederzeit wieder entzogen werden. Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler schreibt im Editorial: „Wer das Vertrauen eines Menschen missbraucht, läuft Gefahr, es für immer zu verlieren.“ Das Wesen des Vertrauens liegt jedoch darin, dass es keine feste Basis hat. Es ist gerade die Freiheit, die es überhaupt erst ermöglicht und beginnt erst da, wo die eigene Verfügungsgewalt aufhört. Freiheit und Vertrauen bedingen sich also gegenseitig. Worauf vertrauen? In der Antwort offenbart sich, wer man ist und wer man sein will. Denn ohne Vertrauen in die Selbstdisziplin der anderen wären moderne Gesellschaften in ihrer extremen Komplexität undenkbar.

Nur durch Vertrauen kommt man sich einander näher

Der Philosoph Christian Budnik beschäftigt sich mit der Frage: „Warum vertrauen?“ Wer vertraut, kann enttäuscht werden und tief fallen. Umso mehr stellt sich für ihn die Frage warum Menschen dieses Risiko überhaupt auf sich nehmen. Seine Antwort lautet: „Wer vertraut, macht sich zwar verletzlich – aber wir gehen dieses Wagnis immer wieder ein. Nicht zuletzt, weil wir nur so einander näherkommen.“ Zudem stellt er drei Klassikertexte vor, welche die Gründe dafür vertiefen, warum Vertrauen sich lohnt.

Der Philosoph Wolfram Eilenberger und die Klimaaktivistin Luise Neubauer führen ein Streitgespräch darüber, ob Visionen eine Gefahr für die Freiheit sind. Der Traum von einer nachhaltigen Welt ist für Luise Neubauer ein unverzichtbarer Antriebsmotor für den Kampf gegen die Klimakrise. Wolfram Eilenberger ist dagegen skeptisch. In seinem neuen Buch „Feuer der Freiheit“ beschäftigt er sich mit den „Wir-Kollektiven“ der dunklen 1930er Jahre. Für ihn gilt es Lehren aus dieser Zeit zu ziehen und die individuelle Freiheit gegen visionäre Vereinnahmungen zu verteidigen.

An die Stelle Gottes tritt ein Telekom-Unternehmen

Immer mehr Menschen leiden unter Schlafstörungen, angeblich schon 30 Prozent der Deutschen. Tendenz steigend. Der französische Philosophe Jean-Luc Nancy beschreibt den Übergang in den Schlaf als ein Fallen. In diesem Fallen wird die Spannung losgelassen, die einen Menschen im wachen Leben aufrechterhält. Der Schlaf löst sich in ruhender Blindheit auf, wenn es nichts zu sehen gibt. Das Unsichtbare unsichtbar sein zu lassen, „das ist die blinde Aufgabe des Schlafs“, schreibt Jean-Luc Nancy.

Im Gespräch mit dem Philosophen Peter Sloterdijk geht es um die „Sehnsucht nach dem göttlichen Auge“. Die längste Zeit war das Gewissen der Kontrolleur des menschlichen Handelns. Heute, so Peter Sloterdijk, ist an seine Stelle das Smartphone getreten. Der Philosoph erläutert, wie es zu diesem Wandel kam, und welche Rolle Gott dabei spielt. Ann die Stelle Gottes tritt in diesem Fall ein Telekom-Unternehmen, das alles durchleuchtet. Viele Menschen glauben ja wirklich, sie werden zu Zauberern, wenn sie ihr Smartphone benutzen. Sie denken inzwischen, dass sie ohne das telepathische Organ am Ohr nicht leben können. Peter Sloterdijk sagt: „Früher hat man gebetet, heute hat man eben das Handy.“

Von Hans Klumbies