Die Menschen machen ihr eigenes und das Leben der anderen zur Hölle

Konrad Paul Liessmann, der wissenschaftliche Leiter des Philosophicum Lech hat für das 22. Symposium den provokanten Titel „Die Hölle. Kulturen des Unerträglichen“ gewählt. Die Hölle, das sind die anderen. Die hochkarätigen Teilnehmer beleuchteten die vielen Gesichter des Fegefeuers: von den Torturen der Sucht über das Leben mit Gewalt bis zu quälender Armut und von der Beziehungshölle über die Tücken der Blutsbande bis hin zur teuflischen Desinformation im digitalen Zeitalter. Seit Jean-Paul Sartres existentialistischer Deutung der Hölle ist klar: Es sind die Menschen selbst, die sich ihr eigenes und das Leben der anderen zur Hölle machen. Konrad Paul Liessmann zitiert in seinem Beitrag den deutschen Schriftsteller Botho Strauß, der in einem seiner Texte noch einmal die ursprünglichsten Funktionen der Hölle verweist: eine Imagination der Gerechtigkeit, gespeist aus dem Geist der Rache und Vergeltung bei gleichzeitigem Eingeständnis der eigenen Ohnmacht.

Die Sucht vereint Himmel und Hölle

Manfred Koch, Titularprofessor für Neuere Deutsche Literatur sowie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Basel widmet seine Ausführungen der infernalischen Kreativität, sprich die Hölle als Heimstatt der Dichter. Als Beispiele nennt er Dante, Johann Wolfang von Goethe und Thomas Mann. Das alle anderen überragenden Höllenbuch der europäischen Literatur ist Dantes „Inferno“, der erste Teil jenes epochalen Versepos vom Anfang des 14. Jahrhunderts, das seit dem 16. Jahrhundert den Titel „Die Göttliche Komödie“ trägt.

Der Psychiater und Psychotherapeut Reinhard Haller weist darauf hin, dass die Begriffe Himmel und vor allem Hölle außerhalb des Religiösen kaum irgendwo so häufig gebraucht werden wie im Zusammenhang mit Sucht: Drogen als Himmelsgabe, göttliches Elixier oder Angels Dust auf der einen und Heroinhölle, Drogenhölle, Spielhölle und Hölle des Entzugs. Reinhard Haller schreibt: „Rausch und Sucht sind ein Modell des Zusammenspiels, ja der Zusammengehörigkeit von elysischem Glück und quälendem Siechtum, aber auch für die Limitierung dieser beiden Pole durch den jeweils anderen.“

Viele Menschen auf der Welt sind in der Hölle

Jörg Baberowski, Professor für Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität zu Berlin, beschreibt die Hölle als einen Raum der Endgültigkeit, des Schreckens, in dem die einen foltern und die anderen leiden. Die Hölle ist ein Ort, aus dem es kein Entkommen gibt. Wer allerdings an die Erlösung oder die Höllenqualen nicht mehr glaubt, kann nun selbst entscheiden, in welcher Welt er leben will und welche Qualen seine Feinde erleiden sollen. Die Hölle auf Erden ist ein Ort der Ausweglosigkeit, des sinnlosen Schreckens, denen nur noch die Henker eine Bedeutung abgewinnen können.

Auf die Frage „Was ist eine Hölle in einer Beziehung?“ findet die Psychiaterin und Psychotherapeutin Heidi Kastner keine unmittelbare Antwort. Jean-Paul Sartre selbst äußerte sich zu seinem sehr häufig zitierten Satz „Die Hölle, das sind die anderen“ wie folgt: „Wenn meine Beziehungen schlecht sind, begebe ich mich in eine totale Abhängigkeit von den anderen und dann bin ich tatsächlich in der Hölle, und es gibt eine Menge Leute auf der Welt, die in der Hölle sind, weil sie zu sehr vom Urteil anderer abhängen.“

Philosophicum Lech 22
Die Hölle
Kulturen des Unerträglichen
Konrad Paul Liessmann (Hg.)
Verlag: Zsolnay
Broschierte Ausgabe: 268 Seiten, Auflage: 2019
ISBN: 978-3-552-05929-0, 22,00 Euro

Von Hans Klumbies