Das „Als ob“ ist im praktischen Leben unentbehrlich

Das 24. Philosophicum Lech widmete sich der Kraft der Fiktionen. So beruhen zum Beispiel alle Formen der Höflichkeit auf solch einer Fiktion, auf einem „So tun als ob“. Sogar der gesamte Bereich der sozialen Kommunikation lebt von solch einem „Als ob“. Der Philosoph Hans Vaihinger schreibt im späten 19. Jahrhundert: „Das „Als ob“ ist also auch im praktischen Leben unentbehrlich: ohne solche Fiktionen ist kein feineres Leben möglich.“ Konrad Paul Liessmann weist in seinem Beitrag „Als ob“ darauf hin, dass jeder Begriff den Reichtum des Seienden aufs Äußerste verknappen muss, um seine Funktion erfüllen zu können. Dass die Fiktion eine Lebensnotwendigkeit darstellt, hat schon vor Friedrich Nietzsche niemand Geringerer als Immanuel Kant vermutet. Sogar die Freiheit ist für den Philosophen aus Königsberg vorab nichts anderes als eine Idee, eine Fiktion eine Unterstellung.

Ohne Sinnfunktionen kann der Mensch nicht leben

Für Thomas Strässle, Leiter des spartenübergreifenden Y Instituts an der Hochschule der Künste Bern, besteht jede Fiktion aus einer Verkettung von Fakten. Diese können in literarischen Texten aber einen sehr unterschiedlichen Status haben. Man handelt es sich um Wirklichkeitsfetzen, die in einen literarischen Text hineinmontiert werden, mal handelt es sich um historisch genau identifizierbare Orte, Personen oder Ereignisse, die ein literarischer Text als Referenzpunkte für die Wirklichkeit wählt.

Der Kultur- Religionswissenschaftler und Ägyptologe Jan Assmann vertritt die These, dass das Leben der Menschen auf Voraussetzungen vertraut, „als ob“ sie gegeben wären. Er zählt dazu da Fühlen, Denken, Erleben und Handeln. Diese Basis-Fiktionen lassen sich in dem Begriff „Sinn“ zusammenfassen. Sinn bedeutet Zusammenhang und Richtung. Jan Assmann erklärt: „Ohne solche Sinnfiktionen können wir nicht leben. Sie haben nichts mit Lüge oder Fälschung zu tun, sondern sind absolut legitim, weil unverzichtbar.“

Sophie Wennerscheid erforscht die Liebe in künstlichen Welten

Philosophieprofessor Andreas Urs Sommer setzt sich in seinem Beitrag mit dem politischen Fiktionalismus auseinander. Ein besonnener Umgang mit politischen Fiktionen muss ein paar Sicherungen einbauen. Politische Fiktionen sind nützlich, wenn und solange sie dynamisieren. Eine politische Fiktion darf nie im Singular auftreten, sondern bedarf anderer politischer Fiktionen sowie der unausgesetzten kritischen Reflexion. Die Pluralität der politischen Fiktionen soll und kann zur gegenseitigen Neutralisierung, zur produktiven Geltungseinschränkung führen.

Die Kulturwissenschaftlerin Sophie Wennerscheid erforscht die Liebe in künstlichen Welten. Zu begehren ist köstlich und schmerzlich zugleich. Was wäre das Leben und die Liebe ohne den Entwurf auf das Kommende hin? Einem solchen Kommenden begegnet man in „künstlichen Welten“, die bewohnt sind von Menschen, die eine intime Beziehung zu etwas eingehen, das nicht menschlich ist. Dieses Etwas wird aber oft als menschlich vorgestellt, oder weist zumindest eine gewisse Ähnlichkeit mit Menschen auf: eine Puppe oder ein Roboter etwa. Dieses künstliche Gegenüber stellt man sich dann oft so vor, als ob sie ober er das ideale Gegenüber wäre, das einen glücklich macht.

Als ob!
Die Kraft der Fiktion
Konrad Paul Liessmann (Hg.)
Verlag: Zsolnay
Broschierte Ausgabe: 258 Seiten, Auflage: 2022
ISBN: 978-3-552-07232-9, 22,00 Euro

Von Hans Klumbies