Philosophen glauben zunächst einmal überhaupt nichts

Die philosophische Grundfrage schlechthin lautet: „Was ist das eigentlich, die Welt?“ Eines Tages werden Menschen geboren, ohne zu wissen woher und wohin. Danach finden sie sich durch Erziehung und Gewöhnung in der Welt zurecht. Und sobald sie sich an die Welt gewöhnt haben, vergessen sie meist zu fragen, was das Ganze soll. Im Leben eines Menschen geben Begegnungen, Hoffnungen und Wünsche in der Regel einen Sinn. Philosophen betrachten die Welt laut Markus Gabriel gewissermaßen wie Außerirdische oder Kinder: „Alles ist immer wieder völlig neu. Sie misstrauen fest verwurzelten Urteilen, ja, sie misstrauen sogar den Wissensansprüchen von Experten. Philosophen glauben zunächst einmal überhaupt nichts. „ Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie an der Universität Bonn inne. Er ist Deutschlands jüngster Philosophieprofessor. Außerdem leitet er das Internationale Zentrum für Philosophie in Bonn.

Die Philosophie stellt ständig alles in Frage

Das große Vorbild vieler Philosophen ist Sokrates, von dem der berühmte Spruch stammt: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ An dieser Weisheit hat sich für die Philosophie im Laufe der Jahrtausende nichts geändert. Markus Gabriel erklärt: „Dennoch kann man von der Philosophie sehr viel lernen, insbesondere kann man lernen, niemals zu vergessen, dass die Welt ganz anders sein könnte, als sie uns erscheint. Philosophie stellt alles ständig in Frage, auch die Philosophie selbst.“ Und nur auf diese Weise besteht seiner Meinung nach eine Chance zu verstehen, was das Ganze eigentlich soll.

Wer sich intensiv mit der Philosophie und ihren großen Fragen beschäftigt, lern zudem vermeintlich Selbstverständliches zu überprüfen – eine Haltung die laut Markus Gabriel übrigens hinter fast allen großen Errungenschaften der Menschheit steht. Wenn die Menschen herausfinden wollen, was das Ganze eigentlich soll, müssen sie zunächst einmal vergessen, was sie zu wissen glauben und von Neuem beginnen. Von René Descartes stammt der berühmte Ausspruch, dass ein Mensch zumindest einmal im Leben an allem zweifeln soll, woran er sonst glaubt.

Möglicherweise ist die Wirklichkeit eine große Täuschung

Die Frage, ob die Wirklichkeit nur eine Art gigantischer Illusion, ein bloßer Traum ist, hat laut Markus Gabriel tiefe Spuren in der menschlichen Geistesgeschichte hinterlassen. Sie wird seit Jahrtausenden überall dort gestellt, wo es Religion, Philosophie, Dichtung, Malerei und Wissenschaft gibt. Markus Gabriel fügt hinzu: „Auch die moderne Naturwissenschaft stellt einen großen Teil der Wirklichkeit in Frage, nämlich diejenige Wirklichkeit, die wir sinnlich erfahren.“

Galileo Galilei hat zum Beispiel bezweifelt, dass es Farben unabhängig von menschlichen Empfindungen gibt und behauptet, in Wirklichkeit sei die Welt farblos. Sie besteht seiner Meinung nach aus mathematisch beschreibbaren materiellen Gegenständen und ihren Ortsveränderungen. In der modernen theoretischen Physik nehmen die Stringtheoretiker sogar an, dass die physische Wirklichkeit nicht einmal mehr raumzeitlich in irgendeinem dem Menschen vertrauten Sinn ist.

Von Hans Klumbies