Philipp Hübl stellt den Vertrautheitseffekt vor

Auf die Frage, warum man sich zu Hause besonders geborgen fühlt, antwortet der amerikanische Psychologe Robert Zajonc: „Durch bloße Wiederholung.“ Alles, was ein Mensch mehrmals sieht, hört und erlebt, bekommt allein dadurch einen positiven Wert, sofern er damit keine Gefahr oder andere negative Dinge verbindet. Robert Zajonc nennt dieses Phänomen „Mere-Expose-Effekt“, also in etwa „Effekt durch bloßen Kontakt“ oder kürzer „“Vertrautheitseffekt“. Vorlieben oder Präferenzen, wie die Psychologen sagen, können sich auf vielen Wegen formen. Einige sind angeboren, wie die Lust auf Süßes oder die Abneigung gegenüber bitteren Speisen. Andere werden erlernt. Philipp Hübl erklärt: „Das wiederholte Lob der Eltern beispielsweise verstärkt in Kindern die Neigung, alles aufzuessen. Wieder andere entstehen durch Nachahmung oder Gruppenzwang, man denke dabei an Modesünden aus der eigenen Jugend.“ Philipp Hübl ist Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart.

Den Vertrautheitseffekt findet man bei allen Menschen

Doch der Vertrautheitseffekt ist unabhängig von all diesen Vorgängen, denn er läuft vollkommen passiv, also ohne jede Anweisung, ab. Gleichzeitig ist der Vertrautheitseffekt sehr stabil. Man findet ihn bei allen Menschen, unabhängig von der Kultur oder sozialen Herkunft. Der Effekt ist auch nicht an eine bestimmte Sinnesmodalität gebunden. Entscheidend für Versuche bei Menschen ist, dass man den Effekt selbst dann nachweisen kann, wenn die Stimuli den Probanden weniger oder gar nicht bewusst waren.

Robert Zajonc hat für den Vertrauenseffekt eine evolutionäre Erklärung parat: „Für die Vorfahren der heutigen Tiere ist es von Vorteil gewesen, dem Neuen vorsichtig zu begegnen, denn es konnte ein Gefahr bedeuten.“ Beim Menschen drückt sich die Vertrautheit in einem speziellen Vertrautheitsgefühl im Bewusstsein aus. Vertrautes hat diesen eigenartig wohligen Nimbus. Wer das Unbewusste verstehen will, kommt am Vertrautheitsgefühl nicht vorbei, denn es kann von einem Stimulus stammen, den man nicht mitbekommen hat, der also in einer Lesart des Wortes unbewusst war.

Die Wissenschaftstheorie fragt nach guten Erklärungen

Dieser Effekt ist vor allem deshalb einschlägig, weil er Teil der menschlichen Natur ist, in vielen Formen den Alltag bestimmt und gleichzeitig systematisch untersucht wurde. Jede wissenschaftliche Theorie, Hypothese oder Beobachtung sollte dabei helfen, die Welt besser zu verstehen, Dinge genauer zu bestimmen, viele kleine Phänomene als Ausdruck grundlegender Prinzipien zu beschreiben und sie dabei idealerweise mathematisch so präzise zu formulieren, dass man die Ergebnisse berechnen und vorhersagen kann.

Philipp Hübl erläutert: „Bei der Theorie des Vertrautheitseffekts sind es auf den ersten Blick so vielfältige Phänomen wie Geborgenheit, Schönheit und positive Wortbedeutungen, die offenbar alle vom Vertrautheitsgefühl beeinflusst sein können.“ In der Philosophie hingegen, genauer der Wissenschaftstheorie, fragt man vor allem, was eine gute Erklärung ist. Dabei ging es lange Zeit fast ausschließlich um die Naturwissenschaften, genauer die Physik – um Fragen wie „Sind Naturgesetze ausnahmslos gültig?“, „Was sind die kleinsten Bestandteile der Universums?“ und „Sind Raum und Zeit absolut oder relativ?“ Quelle: „Der Untergrund des Denkens“ von Philipp Hübl

Von Hans Klumbies