Trotz der offensichtlichen Inspiration durch Vorläufer wie Franz Anton Mesmer und Jean-Martin Charcot gilt Sigmund Freud in der breiten Öffentlichkeit bis heute als Entdecker des Unbewussten. Diese Einschätzung hat er laut Philipp Hübl selbst gefördert, indem er der Tradition vor ihm unterstellte, sie habe die Psyche, also den Geist, mit dem Bewusstsein gleichgesetzt und dabei übersehen, dass der Geist daneben das Unbewusste umfasst. Erst seine Psychoanalyse, die gleichzeitig eine Theorie des Geistes und eine Therapieform ist, habe diesen Missstand behoben. Nicht nur Mesmer und Charcot waren Vorläufer von Sigmund Freud, sondern die Idee des Unbewussten war schon lange zuvor in der Literatur und in der Forschung zu finden. Philipp Hübl ist Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart.
Friedrich Nietzsche charakterisierte die Vergesslichkeit als eine Art von Verdrängung
Im Bereich der Wahrnehmung hat Hermann von Helmholtz schon im Jahre 1867 von unbewussten Schlüssen gesprochen, die das menschliche Sehzentrum im Gehirn vollzieht. Der amerikanische Erfinder der Experimentalpsychologie, William James, stellte einige Zeit vor Sigmund Freud fest, dass Menschen viele Dinge tun, die ihnen unbewusst bleiben. Jean Paul schrieb in seiner „Vorschule der Ästhetik“ über die Instinkte des Menschen: „Das Mächtigste im Dichter, welches seinen Werken die gute und die böse Seele einbläset, ist gerade das Unbewusste.“
Vor allem der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche hat sich mit den unbewussten und unbekannten Vorgängen im Bereich des Trieblebens beschäftigt. So beschreibt er den Geist als ein System von Trieben als „einen Komplex unbewusster Vorstellungen und Willenszustände“. Ausformungen der Kultur hielt er für eine Verfeinerung und Umdeutung des menschlichen Aggressions- und Sexualtriebs. Die Vergesslichkeit charakterisierte er als eine Art von Verdrängung, nämlich als ein „aktives, im strengsten Sinne positives Hemmungsvermögen“.
Verdrängung und Symbolisierung sind die Kernthesen von Sigmund Freunds Theorie
Und über die Träume schreibt Friedrich Nietzsche: „In den Ausbrüchen der Leidenschaft und im Phantasieren des Traumes und des Irrsinns entdeckt der Mensch seine und der Menschheit Vorgeschichte wieder.“ Friedrich Nietzsche zufolge ist jeder Mensch „sich selbst der Fernste“ und „all unser sogenannte Bewusstsein ist mehr oder weniger phantastischer Kommentar über einen unbewussten, vielleicht unwissbaren, aber gefühlten Text“. Sigmund Freud war also unmittelbar oder über Umwege von seinen Vorläufern beeinflusst und daher sicher nicht der „Entdecker“ des Unbewussten.
Philipp Hübl erklärt: „Im Gegensatz zu den Vorläufern allerdings verfocht und popularisierte er die Idee, das im Unbewussten Wünsche umgekleidet werden und sich im Bewusstsein in einem neuen Gewand zeigen.“ Diese im Detail ausgearbeitete Idee von Verdrängung und Symbolisierung kann am als Kernstück seiner Theorie annehmen. Von den Techniken der Hypnose und Suggestion seiner Vorläufer hat Sigmund Freud weitgehend Abstand genommen und sich vielmehr auf die „freien Assoziationen“ beschränkt, also den Patienten auf der Coach empfohlen, ganz offen von ihren Ängsten und Sorgen, Träumen und Phantasien, Wünschen und Interessen zu erzählen. Quelle: „Der Untergrund des Denkens“ von Philipp Hübl
Von Hans Klumbies