Politik und Recht sind immer schon moralisch

Bei der Moral geht es nicht nur um Leben und Tod, um Freiheit oder Gerechtigkeit, sondern auch um Urteile über Ernährung, Kleidung, Sex oder Drogen. Philipp Hübl stellt fest: „Moral gibt Antworten auf die Frage, was wir für richtig halten und was wir tun sollten. Darum sind Politik und Recht immer schon moralisch, weil sie auf Werten und Normen beruhen.“ Emotionen bringen einen Menschen dazu, so oder so zu handeln, aber sie nötigen oder determinieren ihn nicht. Viele Faktoren bestimmen das persönliche Handeln: Erziehung, erlernte Routinen, vernünftige Überlegungen und Grundbedürfnisse wie Hunger und Schlaf. Genauso finden sich zahllose Graustufen zwischen „Gut“ und „Böse“. Dennoch hegen viele Menschen den Wunsch nach moralischer Eindeutigkeit. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

Der „Bestätigungsirrtum“ ist weit verbreitet

Diese Menschen wollen andere klar in Freund und Feind und ihre Taten in richtig und falsch einteilen. Moralische Gefühle bestimmen die eigene Identität und die Gruppenzugehörigkeit, daher ist es ihnen vor allem in sozialen Netzen wichtig, die richtige Gesinnung zu kommunizieren, als ein moralisch umstrittenes Thema ausgewogen zu diskutieren. Doch die Moral ist selten so eindeutig, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Viele Menschen führen ein Leben, das sie nicht verstehen, verstricken sich in Widersprüche und sind sich oft selbst ein Rätsel.

Absolute moralische Gewissheit entspringt meist aus einer Naivität, die Nuancen und Schattierungen missachtet. Dabei sitzt man einem weit verbreiteten Denkfehler auf, dem sogenannten „Bestätigungsirrtum“. Philipp Hübl erläutert: „Wir alle neigen nämlich dazu, eher nach Hinweisen zu suchen, die unsere eigenen Thesen bestätigen, als nach solchen, die ihnen widersprechen. Die moderne Kultur ist aber so vielfältig, dass man für jede noch so abstruse These Belege findet, daher braucht man Daten.“

Die Erforschung des Menschen polarisiert

Der Bestätigungsirrtum wirkt auch in der Theorie. Wer beispielsweise durch die Schriften von Sigmund Freud, Michel Foucault oder Theodor W. Adorno geprägt ist, neigt dazu, sich in diesen Gedankengebäuden heimisch zu fühlen. Doch auch hier muss man sich immer fragen, ob die Theorien dem empirischen Test standhalten. Die Moralpsychologie bestätigt manche ihrer Annahmen, widerlegt allerdings auch andere. Nicht nur die Politik, auch die Erforschung des Menschen ist polarisiert.

Denn sowohl die Natur- als auch die Geisteswissenschaftler wollen das Wesen des Menschen ergründen. Psychologen und Evolutionsbiologen überschätzen tendenziell den Einfluss der Natur, Geisteswissenschaftler den der Natur. Allen ist gemeinsam, dass sie stillschweigend Annahmen über den Menschen voraussetzen, die sie selten eindeutig formulieren. Beide Strömungen gehören zusammen. Geisteswissenschaften ohne Naturwissenschaften sind leer, Naturwissenschaften ohne Geisteswissenschaften sind blind. Quelle: „Die aufgeregte Gesellschaft“ von Philipp Hübl

Von Hans Klumbies