Philipp Blom beschreibt die Revolte gegen die Moderne

Die Revolte gegen die Moderne kanalisiert soziale Ängste. Sie gießt sie in ein manichäisches Schema von Gut und Böse, Licht und Dunkel. Philipp Blom stellt fest: „Es ist die Veränderung selbst, die sie ablehnt, die sozialen und politischen Nebenwirkungen des technologischen Fortschritts.“ Sie will die Warenströme der Globalisierung ohne die Menschenströme. Sie will die technologischen Innovationen der Wissenschaft ohne ihre unbequemen Fakten. Die Moderne soll gezähmt werden. Sie soll Wohlstand ohne gesellschaftliche Veränderung schaffen. Man will zurück in Zeiten, in denen noch eine natürliche Ordnung herrschte. Damals konnten die Einheimischen noch selbst bestimmen. Das Land und seine Straßen gehörten noch ihnen. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

Die radikale Rechte übte harsche Zivilisationskritik

Man will zurück in eine Ära, in der es noch Anstand gab, in der sich die Eliten sich nicht nur auf Kosten der anderen bereichern und sie dann auch noch verachten konnten. Diese soziale Anatomie der Rebellion ist historisch bemerkenswert stabil. Es ist die Auflehnung der petits bourgeois. Das sind diejenigen, die gerade einen oder zwei Schritte jenseits der Schwelle zur Armut stehen, die ihre unsichere Position glasklar spüren. Hier liegt auch die Parallele zum Aufstieg der faschistischen Bewegungen im Europa der Nachkriegszeit begründet. Auch sie wurden gewählt von einer Allianz aus ängstlichen Kleinbürgern, desillusionierten und vor allem arbeitslosen Industriearbeitern und ländlichen Konservativen.

Philipp Blom weiß: „Die radikale Rechte hatte bereits eine bemerkenswert paradoxe Einstellung zur industriellen Moderne. Sie nutzten in ihren Propagandafilmen und grandiosen Masseninszenierungen die modernste Technologie, wie es niemand vor ihnen verstanden hatte.“ Sie waren stolz auf den Wiederaufbau ihrer Industrie, den Volkswagen un den sprichwörtlichen Autobahnen. Und doch stand im Zentrum ihrer Ideologie eine radikale Zivilisationskritik, welche die Verantwortlichen für die Dekadenz des ehemals stolzen Volkes klar benannte. Dabei handelte es sich um eine wurzellose Moderne in Gestalt des internationalen jüdischen Großkapitals.

Die Juden waren das Ziel der Hasspropaganda

Als weitere Verantwortliche identifizierte die radikale Rechte die von den Juden gelenkten Medien und die kosmopolitische Kulturelite. Diese war ebenfalls stark von den Juden geprägt, das Diktat von Versailles – eine nationale Demütigung – und die Horden von Untermenschen. Damit waren die osteuropäischen Juden gemeint, aber auch in absteigender Ordnung, alles, was nicht „rassisch rein“ und dem Volk zugehörig war. Die Juden waren so das Ziel der nationalsozialistischen Hasspropaganda.

In der Propaganda wurde der Aufstieg der Juden in der Gesellschaft nach der Verleihung der vollen Bürgerrechte mit der Verstädterung, der Zerstörung ländlicher Lebensweisen und dem verdorbenen Leben in den Städten gleichgesetzt. Die heutige antimoderne Revolte hat den Antisemitismus nicht mehr nötig, auch wenn er einigen ihrer Exponenten nachhängt wie ein schlechter Geruch. Es ist heute eher ein privates Hobby. Rechtspopulisten aus ganz Europa besuchen die Gedenkstätte Yad Vashem und zeigen Betroffenheit. Quelle: „Was auf dem Spiel steht“ von Philipp Blom

Von Hans Klumbies

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