Die Natur ist der Kultur entgegengesetzt

Anstatt Homo sapiens als Herrn der Schöpfung zu begreifen, ist es auch möglich, ihn als in alle möglichen Zusammenhänge verstricktes Tier zu sehen. Nämlich als Knotenpunkt in einem unendlich komplexen Geflecht aus auch changierenden Zuständen. Also als ein Wesen mit weniger Macht und Willensfreiheit, als es sich schmeichelnd zuspricht. Philipp Blom erklärt: „Den passiven Part bei all diesem Nachdenken über das Verhältnis zwischen Mensch und Natur spielt Letztere, die ich weiterhin so bezeichnen möchte, obwohl sich beide Begriffe im Laufe der Überlegungen auflösen werden.“ Die Schwierigkeit des Nachdenkens liegt schon in diesem Wort „Natur“ beschlossen. Obwohl man meinen sollte, dass sofort klar ist, was gemeint ist. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford. Er lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

Die Natur kommt aus sich selbst

Aber schon beim ersten Nachfragen stellen sich Zweifel ein und niemand weiß, wie sein Gegenüber den Begriff versteht. Deshalb öffnet Philipp Blom den Bedeutungshorizont ein wenig, um dieses Wort in seiner Komplexität aufblitzen zu lassen. Er möchte daran erinnern, dass das Wort „Natur“ immer schon einen Unterschied transportiert. Die Natur ist der Kultur entgegengesetzt, die eine definiert das Gegenteil der anderen, aber gleichzeitig hängen sie voneinander ab.

Bruno Latour beschreibt sie als die „Siamesischen Zwillinge, die zärtlich zueinander sind oder sich mit den Fäusten prügeln, ohne aufzuhören, denselben Rumpf zu teilen“. Je nach ideologischer Disposition gestaltet sich die Hierarchie zwischen Kultur und Natur unterschiedlich. Die Natur ist unberührt und kommt aus sich selbst, die Kultur ist von Menschen gemacht und dessen eigentliche Bestimmung. Der Mensch steht zwischen Kultur und Natur. Seine historische Mission liegt in der Emanzipation von der Natur und der Schaffung einer höheren Kultur.

Das Stillleben enthält eine moralische Ordnung

Diese ist die Grundlage seiner Freiheit und seiner Erlösung von seinen irdischen Banden. Dieses etwas überspitzte Narrativ spiegelt sich in einem künstlerischen Genre, das in einer Epoche zum Leben erwachte, als sich die Beziehung zwischen Menschen und Natur radikal änderte. Es handelt sich dabei um Stillleben, die besonders in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts populär wurden. Ein klassisches Stillleben ist ein sorgfältiges Arrangement verschiedener Elemente nach einer moralischen Ordnung.

Philipp Blom weiß: „Und ein Stillleben ist nie lebendig. Das französische Wort dafür ist „nature morte“, tote Natur. Das Stillleben ordnete die Natur nicht nur. Es versah sie mit einem moralischen Inhalt, verwandelte natürliche Dinge wie Blumen und Früchte in bloße Chiffren einer göttlichen Ordnung.“ Jeder Blumenstrauß zeigte abgeschnittene Blumen, deren Sterben in ihre Schönheit eingeschrieben war. Oder es war eine Frucht auf dem Höhepunkt ihrer Reife dargestellt, die im Begriff war in Fäulnis überzugehen, schon umschwirrt von den ersten Fliegen. Quelle: „Die Unterwerfung“ von Philipp Blom

Von Hans Klumbies

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