Der Westen steckt in einer Krise

In seinem neuen Buch „Das grosse Welttheater“ erklärt Phillip Blom, wie es möglich ist, dass der Westen nicht trotz, sondern wegen Frieden und Wohlstand in einer Krise steckt. Seiner Meinung nach stehen die Zeichen auf Sturm, und der Kampf um die Zukunft wird auch ein Kampf der Geschichten sein. Die Narrative spielen sich vor aller Augen ab, auf der Bühne des Welttheaters. Max Reinhardt, einer der Gründerväter der Salzburger Festspiele, schrieb 1917, er glaube nicht, dass „der ungeheure Weltenbrand für die Dauer ohne dichterischen Wiederschein bleiben wird“. Heute droht laut Phillip Blom ein neuer Weltenbrand. Und die Welt braucht nicht nur poetische Resonanz, sondern schöpferischen Mut. Denn nur so lässt sich die neue globale Krise mit politischen Fantasie bewältigen. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford.

Die Welt befindet sich ein einer Phase des Niedergangs

Nach dem klassischen Verständnis des Dramas ist die Welt längst in der Krisis angekommen. Was aber danach kommen mag, ist völlig offen. Möglich sind eine Katastrophe oder der Schimmer einer Katharsis. Das Welttheater wartet auf Akteure, um eine andere Erzählung zu beginnen. Alle Kulissen lügen, suggerieren, manipulieren, erwecken einen Anschein. Sie sollen zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit vermitteln. Sie dienen als visuelle Brücken für die Vorstellungskraft, sollen Räume öffnen und sie bewohnen und in diesen neuen Räumen neue Geschichten entdecken, die eigentlich Echos alter Mythen sind.

Philipp Blom versucht die Welt als Theater und als Bühne zu sehen. Der Klimawissenschaftler Hans Joachim Schellnhuber beschreibt mit dem Begriff „Omega-Phase“ eine Ära des extremen und ruinösen Niedergangs. In dieser Phase versucht ein Betrieb, der in Schwierigkeiten geraten ist, seine Probleme zu lösen, indem er genau das intensiviert, was er bisher getan hat. Er betreibt alles schneller und radikaler wie Produktivität, Innovationen, Sparmaßnahmen, Stellenabbau, Preisdruck und Werbung.

Die Klimakatastrophe wird die nächsten Jahrzehnte prägen

Das Kennzeichen eines Systems in der Omega-Phase ist, dass es keine Konzeption einer qualitativ anderen Zukunft gibt. Philipp Blom schreibt: „Es gibt nur mehr oder weniger vom Bekannten, aber nicht etwas außerhalb der gegenwärtigen Struktur. Die Protagonisten handeln und planen in der Annahme, dass die Gegenwart so ist, wie sie nun einmal ist.“ Sie erkennen keine wirkliche Alternative und deswegen bleibt ihnen nichts anderes übrig, als so weiterzumachen wie bisher. Die Faustregel lautet: Immer weiter, immer schneller, immer mehr.

Das Leben in einer unsinnigen Zukunft, die längst zur wahnsinnigen Normalität geworden ist, wird immer weitergeschleppt. Weil es bequem ist, weil sie nun einmal da ist und weil es an Fantasie fehlt, sich etwas Besseres vorzustellen. Gute Geschichten dagegen können ganz unschuldig daherkommen. Wie sie gelesen werden und was für einen Widerhall sie finden, hängt ab von der Stimme des Erzählers und dem Erfahrungshorizont des Publikums. Die Klimakatastrophe schafft dazu einen neuen und in steigendem Maß globalen Resonanzraum, aus dem niemand sich ausnehmen kann. Dies wird die Kulisse sein, vor der sich die Geschichten der nächsten Jahrzehnte abspielen.

Das grosse Welttheater
Von der Macht der Vorstellungskraft in Zeiten des Umbruchs
Philipp Blom
Verlag: Zsolnay
Gebundene Ausgabe: 125 Seiten, Auflage: 2020
ISBN: 978-3-552-05980-1, 18,00 Euro

Von Hans Klumbies

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