Die Liebe beginnt gleichsam in der Nacht

Wie beginnt die Liebe? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, da man schon verliebt ist, bevor man davon weiß. Peter Trawny erläutert: „Liebe beginnt gleichsam in der Nacht, in der Unbemerktes geschieht. Dann wird es langsam hell, und wir sehen, was geschah.“ Allerdings gibt es einen zweiten, anderen Anfang. Er besteht darin, die Liebe zu sagen. Und sie muss gesagt werden, weil sich Liebe auch in der Sprache, im Sprechen ereignet. „Ich liebe Dich!“ – Ich schreibe, sagt der Satz und bemerkt, dass man ihn schon oft geschrieben und gesagt hat. So, ohne eine Angesprochene, wirkt er fad, nichtssagend. Der französische Philosoph Roland Barthes hatte recht, dass „der einzige Höhenflug des „ich liebe Dich“ die Anrede, die Erweiterung durch einen Vornamen“ sei. Peter Trawny gründete 2012 das Martin-Heidegger-Institut an der Bergischen Universität in Wuppertal, das er seitdem leitet.

Als Lüge wäre der Satz „Ich liebe Dich!“ fatal

Das meint, dass man den Satz jemandem Bestimmten sagt, dass man im Moment seines Aussprechens ganz dieses Satz für die eine ist. Ich nenne, rufe den Namen … Es ist allerdings ein wichtiger Unterschied, ob man den Satz zum ersten Mal ausspricht oder ob man ihn wiederholt. Beim ersten Mal ist er ein Bekenntnis. Man spricht ihn nur aus, wenn die Nacht der Helle des Tages gewichen ist, wenn man weiß, was man sagt. Als Beschwörung und gar als Lüge wäre der Satz fatal.

Er wäre dann eine Verletzung des Anderen und sogar eine Selbstverletzung. Peter Trawny stellt fest: „Diejenigen, die meinen, der Satz wäre immer eine Lüge, irren. Und wenn Beschwörung heißt, etwas Unlebendiges ins Leben zu rufen, dann ist auch sie eine Lüge.“ Der Satz, der Liebe bezeugt, ist von großer Nüchternheit. Man bekennt sich zu jemanden, seiner Liebe, seiner Geliebten. Was heißt es aber, sich zu jemanden bekennen? Hier nun gibt es ohne Zweifel verschiedene Ansichten.

Häufige Liebesbriefe scheinen sinnlos zu werden

Und vielleicht gibt es nicht wenige Probleme in Liebesbeziehungen, die aus der unterschiedlichen Auffassung dessen entstehen, was das Bekenntnis „Ich liebe Dich!“ bedeuten kann. Andererseits, was soll ein Bekenntnis zu jemandem anderes sein als eine Zusage, ein gemeinsames Schicksal zu teilen? Dieses Bekenntnis wird nicht nur gesagt, sondern auch geschrieben. Vielleicht hat es als geschriebenes noch eine andere, keineswegs aber schon größere Bedeutung.

Der Satz „Ich liebe Dich“ wird als geschriebener zum Liebesbrief. Zu fragen ist jedoch durchaus, ob nicht Liebeserklärungen ihre Bedeutung verlieren, je häufiger sie sich an verschiedene Personen richten. Eine Skepsis gegenüber dem „Ich liebe Dich“ speist sich fraglos aus der Tatsache, dass irgendwann der hinzugefügte Vorname zu oft gewechselt hat. Der Liebesbrief scheint sinnlos zu werden, wenn man ihn zu häufig geschrieben haben wird. Das wird womöglich noch deutlicher, wenn die Liebe durch einen Ring symbolisiert wird. Quelle: „Philosophie der Liebe“ von Peter Trawny

Von Hans Klumbies

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