Der römische Dichter Ovid aus dem ersten Jahrhundert nach Christi Geburt hat wortwörtlich eine Liebeskunst gedichtet: „Ego sum praeceptor Amoris“, ich bin der Lehrmeister des Amor, dieses Gottes, der sich so aufdringlich und ungehobelt benimmt. Liebe braucht demnach eine Lehre, wenn sie sich benehmen soll. Peter Trawny fügt hinzu: „Die Liebe hat didaktische Momente, auch in der erotischen Verdichtung. Man kann lernen – oder man soll es zumindest.“ Daher klingen folgende Worte des italienischen Philosophen Marsilio Ficino groß: „Wir alle lieben unaufhörlich auf irgendeine Weise; aber je mehr wir lieben, desto schlechter lieben wir.“ Das ist eine ernste Bemerkung, die auch ein Gespräch über die Liebe in Platons „Symposion“ einleitet. Trawny gründete 2012 das Martin-Heidegger-Institut an der Bergischen Universität in Wuppertal, das er seitdem leitet.
Die Liebe ist flüchtig und trügerisch
Die unmittelbar überzeugende Feststellung lautet: Die Liebe ist viel eher ein Anlass zu Unmut, Leiden und Trauer, zu Missverständnis und Unerfüllung. Sie ist flüchtig und in ihrer Wollust trügerisch. Das war über Jahrtausende hinweg ein Einwand gegen sie. Heute treten Pathologien zur Melancholie hinzu: Man spricht vom „Gaslighting“ als umfassender Strategie der Täuschung. Überhaupt fordert der Liberalismus seinen Tribut. Alle bestehen darauf, unabhängig zu sein – für den Anderen da zu sein gilt als Schwäche.
Peter Trawny hegt keinen Zweifel daran, dass die gelingende Liebesbeziehung in eine Krise geraten ist. Es scheint so, würden die Nerven all unserer Verhältnisse blank liegen und unter Dauerstrom gesetzt sein. Das Individuum muss Erfolg im Berufsleben haben. Es darf seinen Körper nicht vernachlässigen, muss sexuell aktiv bleiben und sich zugleich als sorgebereit erweisen. Das ist ein Anforderungsprofil, dem kaum einer standhält. Vor diesen Herausforderungen versagen viele, wenn nicht die meisten.
Die Liebe befindet sich in einer tiefen Erschöpfung
Die Liebe befindet sich laut Peter Trawny in einer tiefen Erschöpfung, weil die Gesellschaft sich in einer solchen befindet. Die Menschen unterwerfen sich den disziplinierenden Apparaten, seien diese von technologischer oder ökonomischer Natur, ohne großes Aufmucken. Aber das Leben funktioniert immerhin. Und wenn es unter zu großen Druck gerät, hilft der Couch oder der Therapeut. Aber der funktioniert und beansprucht selber. Was er tut, braucht Coaching.
In dieser Welt ist die Liebe nur noch ein Rest ihrer eigenen großen Geschichte, in der sich die Menschen nach Marsilio Ficino an ihr vergehen. Der italienische Philosoph war natürlich nicht der Einzige, der den Menschen mitteilt, dass sie schlechte Liebesschüler sind: „Nicht sind die Leiden erkannt, nicht ist die Liebe gelernt, und was im Tod uns entfernt, ist nicht entschleiert“, dichtete Rainer Maria Rilke im neunzehnten Sonett an Orpheus. Dieser in Prag geborene Dichter hat sich der Liebe und dem Versagen in ihr in vielerlei Hinsicht zugewendet. Quelle: „Philosophie der Liebe“ von Peter Trawny
Von Hans Klumbies