Für Peter Scholl-Latour ist die Welt total aus den Fugen geraten

Die Weltpolitik gleicht für den Journalisten und ausgewiesenen Kenner des Nahen Ostens derzeit einem aufziehenden Gewittersturm. Ob in Lateinamerika, Arabien, dem Mittleren Osten oder Schwarzafrika, überall braut sich Unheil zusammen. Auch Europa und die Vereinigten Staaten von Amerika, Orte der Stärke und Stabiliät, werden von Krisen erschüttert wie schon lange nicht mehr. Im ersten Teil seines Buches „Die Welt aus den Fugen“ analysiert Peter Scholl-Latour die aktuelle Weltlage, angefangen von der Mongolei über China, Russland, Libyen, Syrien bis hin zu Deutschland. Der zweite Teil umfasst ältere Artikel und Interviews aus den Jahren 2008 bis 2012. Peter Scholl-Latour arbeitet seit 1950 als Journalist, unter anderem viele Jahre als ARD-Korrespondent in Afrika und Indochina, als ARD-Studioleiter in Paris, als Fernsehdirektor der WDR, als Herausgeber des STERN. Seit 1988 ist er als freier Publizist tätig.

Mit Syrien geht der letzte säkulare Staat der arabischen Welt unter

Im Kapitel „Eine Zarin aus der Uckermark“ kann Peter Scholl-Latour überhaupt kein Verständnis für die ständige Verschärfung der Sanktionen gegen eine ganze Serie von Staaten aufbringen, mit denen Deutschland eigentlich in kooperativer Eintracht leben könnte. Denn er hat noch nie erlebt, dass ein Regime durch Sanktionen und Boykottmaßnahmen zu Fall gebracht wurde. Wenn zum Beispiel die deutsche Regierung auf Weisung Washingtons ein Erdöl-Embargo gegen den Iran verhängt, so schneidet sie sich laut Peter Scholl-Latour dabei nur ins eigene Fleisch.

Im Abschnitt über Syrien kritisiert Peter Scholl-Latour, dass man sich in Deutschland wieder einmal an die Utopie klammert, dass am Ende des „Arabischen Frühlings“, der längst in einen Nebel von Blut eingetaucht ist, eine staatliche Hinwendung zu Menschenrechten, Meinungsfreiheit und Demokratie stehen würde. Keinerlei Verständnis bringt Peter Scholl-Latour dafür auf, dass die Atlantische Allianz die Augen vor der Tatsache verschließt, dass mit dem Syrien Bashar el-Assads der letzte säkulare Staat der arabischen Welt untergeht.

Nur die Chinesen selbst können über ihre politische Zukunft entscheiden

Im Kapitel „Das Zögern der Ayatollahs“ holt Peter Scholl-Latour zum Rundumschlag gegen die Medien aus. Er schreibt: „Es gehört zum Wesen der westlichen Medien, dass sie – meist mit unverzeihlicher Verspätung und betrüblicher Ignoranz – die großen Themen und Krisen der Gegenwart aufgreifen, aufbauschen, mit pamphletärem Eifer anprangern und – sobald ein neues sensationelles Thema auftaucht – aus dem Gesichtsfeld verlieren.“ Als Beispiel nennt er den Irak, der die Gemüter jahrzehntelang erhitzt hatte und heute weitgehend ignoriert wird.

Peter Scholl-Latour ist fest davon überzeugt, dass nur die Chinesen selbst über die Gestaltung ihrer politischen Zukunft entscheiden können. Jede Einmischung von außen wäre seiner Meinung nach nicht nur ungehörig, sondern auch in hohem Maße töricht. Für Peter Scholl-Latour sind in China nach wie vor manche Entgleisungen vorstellbar, aber unbestreitbar herrscht bei allen Schichten des Reiches der Mitte ein glühender Nationalismus vor. Peter Scholl-Latour hat ein Buch geschrieben, das jedem Leser, der sich für Politik interessiert, neue und manchmal unerwartete Einsichten ins Weltgeschehen vermittelt.

Die Welt aus den Fugen
Peter Scholl-Latour
Verlag: Propyläen
Gebundene Ausgabe: 388 Seiten, Auflage 3: 2012
ISBN: 978-3-549-07431-2,  24,99 Euro
Von Hans Klumbies