Ab 1860 prägten die Liberalen die Entwicklung Wiens

Die österreichische Hauptstadt Wien war im Jahr 1860 eine aufblühende Stadt, das schnell gewachsene Zentrum einer Vielvölkermonarchie mit moderner Architektur und vielfältigem Kulturleben. Peter-André Alt erläutert: „Wirtschaftliche Macht, technischer Fortschritt und eine euphorische Gründerstimmung zogen Menschen aus allen Teilen des großen Kaiserreichs an.“ Die äußerliche Situation, die von Dynamik und Aufbruchswillen zeugte, verbarg jedoch, dass das Kaiserreich eine krisenhafte Phase durchlief. Seit Dezember 1848 regierte Franz Joseph I. im Zeichen eines Neoabsolutismus, der jegliche parlamentarische Kontrolle ausschloss und die Errungenschaften der Märzrevolution kassierte. Der Deutsche Bund gegen Preußen verkörperte eine immer instabilere Allianz, die 1866 aufgelöst wurde. Außenpolitisch war Österreich in den 1860er Jahren an die Grenzen seiner Expansionsfähigkeit gelangt. Peter-André Alt ist Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Freien Universität Berlin.

Franz Josephs Absolutismus verlor nach 1860 zunehmend den Rückhalt in der Bevölkerung

Die italienische Unabhängigkeitsbewegung und die Niederlage gegen Preußen von Königgrätz bedeuteten massive Verluste an Gewicht und territorialer Vormacht. Auch innenpolitisch befand sich Österreich in geschwächtem Zustand. Franz Josephs Absolutismus verlor nach 1860 zunehmend den Rückhalt in der Bevölkerung. Das Oktoberdiplom von 1860 schuf mittels eines kaiserlichen Manifests die Basis für eine konstitutionelle Monarchie, zu deren tragenden Elementen der Reichsrat mit hundert Mitgliedern gehörte.

Seine Aufgaben erschöpften sich jedoch weitgehend in fiskalischer und juristischer Beratung, ohne dass er politisch Einfluss nehmen konnte. Das Februarpatent von 1861 begründete dann eine Verfassung, welche die Einrichtung aus den Landtagen zu wählenden Abgeordnetenhauses vorsah. Peter-André Alt erklärt: „Damit waren die Fundamente für die konstitutionelle Monarchie gelegt, die zur inneren Befriedung beitrug und gleichzeitig Österreichs außenpolitische Stellung stärkte. Zwar blieben die Rechte des Parlaments auf Empfehlungen zur Gesetzgebung beschränkt, doch bildete die Öffnung des absolutistischen Systems formal einen wesentlichen Schritt auf dem Weg zu einer besseren Regierungskontrolle.“

Am Beginn der 1860er Jahre beauftragte der Kaiser den kompletten Ausbau der Innenstadt

Seit Beginn der 1860er Jahre wuchs das Gewicht des österreichischen Liberalismus, der aus den Parlamentswahlen mit erheblichen Stimmgewinnen hervorging. Ab 1860 stellten die Liberalen die Wiener Regierung und den Bürgermeister; in den folgenden Jahrzehnten prägten sie nicht nur die Entwicklung der Stadt, sondern auch die dynamische Modernisierung ihrer Architektur. Die alten Festungsanlagen mit den aus dem frühen 14. Jahrhundert stammenden Toren und den um 1545 von italienischen Baumeistern errichteten Mauern waren schon 1857 gesprengt worden.

Damit verlor Wien seine bis zur theresianischen Epoche gewachsene Mantelstruktur, die militärischen Zwecken gedient und ein Bollwerk gegen die drohenden Türkenangriffe gebildet hatte. Am Beginn der 1860er Jahre beauftragte der Kaiser den kompletten Ausbau der Innenstadt. Peter-André Alt schreibt: „Es entstand die Ringstraße mit ihrem großartigen Bogenschwung, und neben ihr wuchs eine mächtige Architektur schwindelerregend schnell in die Höhe.“ Die Universität wurde nach den Entwürfen Heinrich Ferstels zwischen 1873 und 1884 erbaut. Quelle: „Sigmund Freud“ von Peter-André Alt

Von Hans Klumbies